So viel wie dieser Tage wurde selten über Internetpornos geredet. Kein Wunder: Kurz vor Weihnachten erhalten zehntausende Nutzer der Plattform Redtube Abmahnungen. Ob die gegen sie erhobenen Ansprüche bestehen, ist zweifelhaft. Immer wahrscheinlicher wirkt hingegen, dass der Versand erst durch das Versagen einer überforderten Justiz ermöglicht wurde. Carl Christian Müller mit einer umfassenden Bestandaufnahme.
Eine neue Abmahnwelle rollt durchs Land. Quelle dieses vorweihnachtlichen Unbills ist die Kanzlei Urmann + Collegen aus Regensburg*, die in den vergangenen Jahren bereits mit der Ankündigung Schlagzeilen gemacht hatte, die Namen von Personen, die unerlaubt pornographische Filme heruntergeladen hätten, veröffentlichen zu wollen. Nunmehr hat sie ihr Tätigkeitsfeld auch auf Streaming-Portale ausgeweitet. Die Kanzlei mahnt im Auftrag der in der Schweiz ansässigen The Archive AG Nutzer der Plattform Redtube für das Anschauen erotischen Filmmaterials ab und verlangt von diesen neben der Abgabe einer Unterlassungserklärung einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR. Die mediale Beachtung der Abmahnungen ist enorm. Dies erklärt sich zum einen durch die schiere Masse der Schreiben, die versendet wurden. Die Schweizer Firma hatte vor dem Versand beim Landgericht (LG) Köln nach Auskunft der dortigen Pressestelle 89 Drittauskunftsanträge nach § 101 Abs. 2 i.V.m. 9 UrhG gestellt, mit denen von Seiten der Internetprovider die Herausgabe der Nutzerdaten begehrt wurde. Insgesamt 16 verschiedene Zivilkammern waren hiermit befasst. Die Anträge enthielten jeweils zwischen 400 und 1.000 IP-Adressen. Von den Anträgen wurden 27 zurückgewiesen bzw. nach Hinweis der Kammer von der Antragstellerin zurückgenommen. Geht man für die 62 bewilligten Anträge von einem Mittelwert von 700 IP-Adressen aus, könnte sich die Zahl der erteilten Auskünfte im mittleren fünfstelligen Bereich bewegen.
Neue Streaming-Abmahnungen im alten Gewand
Der Abmahnwelle wird aber auch deshalb Sensationswert beigemessen, weil es sich um die ersten Abmahnungen wegen des Streamens geschützter Werke handelt. Dabei war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die unter den neuen gesetzlichen Restriktionen und zurückgehenden Rechtsverletzungen leidenden Massenabmahner versuchen würden, diesen Bereich für sich zu erschließen. Das Tauschen über Peer-to-Peer-Netzwerke ist nicht nur wegen der massenhaft ausgesprochenen Abmahnungen für die Nutzer zunehmend uninteressant geworden. Bei immer schnelleren Internetverbindungen ist das Streamen auch technisch eine interessante Alternative.
Die neuen Streaming-Abmahnungen kommen nun quasi im Gewand der altbekannten Filesharing-Abmahnung daher. Dabei liegen Streamen und Filesharing nicht nur technisch verschiedene Vorgängen zu Grunde; auch die rechtliche Beurteilung unterscheidet sich: Beim Filesharing verfolgt der Nutzer das Ziel, eine Datei dauerhaft auf seinem Rechner zu speichern. Zudem wird das Film- oder Musikwerk beim Herunterladen gleichzeitig auch wieder in das Internet eingestellt. Hierin liegt eine öffentliche Zugänglichmachung nach § 19a Urheberrechtsgesetz (UrhG), die ohne Zustimmung des Rechteinhabers rechtswidrig ist. Beim Streamen dagegen geht es dem Nutzer um den reinen Werkgenuss, der urheberrechtlich frei ist. Der Konsument will die Datei nicht dauerhaft auf seinem Rechner speichern, sondern den Film nur anschauen. Die auf der Streaming-Plattform bereitgestellten Inhalte werden nicht auf den Rechner des Nutzers heruntergeladen, sondern im Browser abgespielt. Hierbei werden die für das Abspielen des Werks erforderlichen Daten lediglich im Zwischenspeicher vorgehalten, auf den der Nutzer in der Regel keinen Zugriff hat. Wird das Video geschlossen, verschwinden unmittelbar oder bald darauf auch die Daten wieder aus dem Zwischenspeicher.
Abmahnungen unwirksam?
Ob hierin eine rechtswidrige Vervielfältigungshandlung zu sehen ist und das Streamen somit eine abmahnfähige Urheberrechtsverletzung darstellt, ist mehr als fraglich. Denn es spricht viel dafür, dass die Zwischenspeicherung nach § 44a UrhG zulässig ist. Diese Frage war jedoch bisher nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen und wird in der juristischen Literatur kontrovers beurteilt. Selbst wenn man aber das Streamen als zustimmungsbedürftige Vervielfältigungshandlung einordnen wollte, wäre diese möglicherweise nach § 53 Abs. 1 UrhG privilegiert. Danach ist es zulässig, eine Kopie eines urheberrechtlich geschützten Werkes anzufertigen, sofern dies nicht für eine gewerbliche oder öffentliche Nutzung geschieht und sofern für den Nutzer nicht erkennbar ist, dass zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.
Letzteres ist bei Redtube aber nicht der Fall. Anders als beispielsweise bei YouTube ist es hier gerade nicht möglich, dass sich Nutzer ohne weiteres registrieren und Beiträge einstellen. Vielmehr entscheidet über die Veröffentlichung der Filme allein der Portalbetreiber, in diesem Fall ein im Bereich der Internet-Pornografie einschlägig bekanntes Unternehmen. Der Nutzer kann daher grundsätzlich davon ausgehen, dass zumindest dieser die erforderlichen Rechte an den Filmen erworben hat. Dies ist tatsächlich oftmals der Fall – viele Produzenten stellen etwa einige ihrer Videos Portalen wie Redtube aus Werbegründen zur Verfügung. Für den Nutzer ist absolut nicht erkennbar, ob es sich im Einzelfall um ein Video handelt, das mit oder ohne die Zustimmung des Produzenten auf das Portal gelangt ist. Ob die Abmahnungen also überhaupt berechtigt sind, ist äußerst zweifelhaft.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst, die Kanzlei sitze in Augsburg. Geändert am 12.12.2012, 16:21
2/3: Landgericht Köln – Nicht so genau hingeschaut
Jedenfalls einige Kammern des Landgerichts Köln scheinen dennoch eine Urheberrechtsverletzung anzunehmen – könnte man jedenfalls meinen. Denn andernfalls hätten sie dem Interprovider – betroffen war hier die Deutsche Telekom – nicht gestatten dürfen, die von der abmahnenden The Archive AG im Drittauskunftsverfahren nach § 101 Abs. 2 i.V.m. 9 UrhG begehrten Namen und Anschriften der jeweiligen Nutzer der Plattform herauszugeben. In jedem diesen Abmahnungen vorausgehenden Drittauskunftsverfahren hatte das Gericht nämlich zu prüfen, ob in dem vom Antragsteller vorgetragenen Lebenssachverhalt eine offensichtliche Rechtsverletzung zu sehen ist.
In den bisher im Internet veröffentlichten bzw. besprochenen Beschlüssen des Landgerichts Köln findet allerdings eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich beim Streamen tatsächlich um eine offensichtliche Rechtsverletzung handelt, nicht statt. Vielmehr heißt es in einem der betroffenen Beschlüsse kurz und bündig: "... durch das unbefugte öffentliche Zugänglichmachung des geschützten Werkes … über eine Tauschbörse liegt zudem eine Rechtsverletzung i.S.v. § 19a UrhG vor." Die Richter gingen also offenbar von einer Rechtsverletzung über eine Tauschbörse aus. Eine solche war mit dem diesem Beschluss zugrundeliegenden Antrag, der übrigens nicht durch die Kanzlei U + C, sondern von dem Rechtsanwalt Daniel Sebastian gestellt wurde, jedoch gar nicht vorgetragen. Vielmehr ist dort die Rede von Download-Portalen.
Nahezu jede Kammer muss mal ran
Auch wenn die jetzt bekanntgewordenen Antragsschriften nach Form und Inhalt denjenigen Anträgen, die in Filesharing-Fällen gestellt werden, sehr ähneln, hätten die Richter natürlich genauer hinschauen müssen. Sollte sich in den nächsten Tagen und Wochen herausstellen, dass noch weitere solcher Beschlüsse ergangen sind, wäre dies ein veritabler Skandal. Wie aber konnte es dazu kommen?
Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Köln sind dort für das Urheberrecht zwei Spezialkammern gebildet. Die Auskunftsverfahren nach § 101 UrhG sind hiervon jedoch ausgenommen. Für diese sind nach dem Geschäftsverteilungsplan 28 der 40 eingerichteten Zivilkammern im sogenannten Turnusverfahren U zuständig. Dabei wechselt die Zuständigkeit wöchentlich. Da jede Woche zwei Kammern parallel zum Zuge kommen, ist jede der 28 Kammern im Jahr ca. fünf Mal mit der Bearbeitung derartiger Auskunftsanträge befasst. Es liegt auf der Hand, dass diese auch mit Wochenenddienst versehene Arbeit nicht jedem Richter Freude bereitet und ein Einarbeiten in die recht dynamische und rechtlich wie technisch komplexe Spezialmaterie nicht jedermanns Sache ist. Wenn man sich obendrein nur wenige Male im Jahr damit befassen muss, ist es menschlich nachvollziehbar, dass Fehler passieren. Die Absicht des Gesetzgebers wird dadurch gleichwohl konterkariert – er wollte durch den Richtervorbehalt gerade gewährleisten, dass vor Herausgabe der Daten an den Rechteinhaber eine fundierte Prüfung und Abwägung der Interessen der Betroffenen erfolgt.
Dabei war der in § 101 Abs. 9 UrhG vorgesehene Richtervorbehalt im Gesetzgebungsverfahren nicht unumstritten. Der Bundesrat hatte insbesondere die Belastung der Justiz mit diesen Massenverfahren als Argument dagegen angeführt. Gleichwohl hat sich der Entwurf der Bundesregierung durchgesetzt. Insofern liegt auch der Grund für die Verteilung der Verfahren auf den Großteil der Kammern des Landgerichts Köln auf der Hand: Als für die Deutsche Telekom zuständiges Sitzgericht hatte es seit der Einführung des Gestattungsverfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG schlicht zu viele Anträge zu bewältigen. Sollte jedoch die Vermutung zutreffen, dass eine Reihe weiterer Gestattungsbeschlüsse in der falschen Annahme ergangen sind, es handele sich um einen Filesharing-Sachverhalt, weil die Anträge nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit geprüft wurden, liefe der vom Gesetzgeber für das Anordnungsverfahren vorgesehene Richtervorbehalt faktisch ins Leere.
3/3: Das Landgericht mauert
Mindestens genauso interessant ist derzeit allerdings die Frage, wie die abmahnende Rechteinhaberin an die den Auskunftsanträgen zugrunde liegenden IP-Adressen gekommen ist. Die bisher öffentlich gemachten Antragsschriften bleiben hierzu im Vagen. Dort wird eine Überwachungssoftware (GLADII 1.1.3.) genannt, mit der angeblich die Teilnahme von Nutzern sogenannter Download-Portale für Filme im Internet überwacht werden kann. Wie diese Software genau funktioniert, steht jedoch nicht im Antrag. Dies soll sich aus einem der Antragsschrift beigefügten Gutachten der Patentanwaltskanzlei Diehl & Partner ergeben. Die Herausgabe des Gutachtens verweigert das Landgericht Köln jedoch. Eine Einsicht in das Gutachten könne von Seiten der Pressestelle nicht gewährt werden. Über die Akteneinsicht Dritter – auch der Medien – entscheide allein der Kammervorsitzende, so die Begründung des Pressesprechers auf Anfrage.
Allerdings gab er erste Auskünfte zu dem Inhalt des Gutachtens. Mit diesem habe festgestellt werden sollen, ob mit der im Auftrag der Rechteinhaberin eingesetzten Überwachungssoftware Download-Aktionen von im Internet betriebenen Medien-Hostern korrekt erfasst werden können. Hierbei sollen insbesondere die Identität der heruntergeladenen Datei, die Uhrzeit des Beginns des Downloads sowie die IP-Adresse des herunterladenden Computers Gegenstand der Überprüfung gewesen sein. Die Überprüfung soll anhand dreier Testdateien auf drei verschiedenen Webseiten (drtuber, tnaflix und xvideos) erfolgt sein, bei denen die Darstellung der Videos im Webbrowser erfolgte.
Laut Gutachten sollen die hinterlegten Testdateien sodann von dem Gutachter mit verschiedenen Browsern abgerufen und die Uhrzeit protokolliert worden sein. Im Anschluss hieran habe der Gutachter über die Software GLADII 1.1.3 eine Übersicht der überwachten Medien-Hoster aufgerufen. Die Software habe eine Reihe von Informationen, unter anderem die IP-Adressen der Besucher der jeweiligen Seite, angeboten. Dabei seien auch die testweise erfolgten Abrufe der oben genannten Dateien angezeigt worden. Die protokollierten Zeiten und Aktionen sollen nach dem Inhalt des Gutachtens exakt mit den testweise durchgeführten Abrufen übereingestimmt haben. Nach der vom LG Köln gegebenen Zusammenfassung des Inhalts des Gutachtens beruhten die bei den Tests durchgeführten Aktionen "technisch auf üblichen Internet-Technologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen ließen".
Gutachten könnte Klärung technischer Fragen bringen
Wie genau GLADII 1.1.3 an die IP-Adressen der Nutzer gelangt ist, bleibt trotz dieser Ausführungen im Dunkeln. Anders als beim Filesharing besteht beim Streaming in der Regel nur eine Verbindung zwischen dem Rechner des Nutzers und dem Server des Videoportals. Dritte – etwa die Rechteinhaber bzw. ihre Anwälte – können im Normalfall keine Daten über diese Verbindung abrufen. Klärung würde womöglich eine Freigabe des Gutachtens durch das LG Köln bringen. Die Weigerung des Gerichts in diesem Punkt ist schwer nachvollziehbar, zumal ein erhebliches öffentliches Interesse besteht und Gutachten dieser Art in der Regel keine der Veröffentlichung entgegenstehenden Daten Dritter beinhalten.
Denkbar ist allerdings auch, dass sich zu der Frage der IP-Ermittlung aus dem Gutachten gar nichts entnehmen lässt. Dann hätten die für die Gestattungsanordnungen zuständigen Kammern sich mit dem Problem auseinandersetzen müssen. In den bisher bekannten Beschlüssen ist dies gerade nicht erfolgt. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob dies bei denjenigen Kammern, die im Gestattungsverfahren bei der antragstellenden Rechteinhaberin Rückfragen gestellt haben, geschehen ist. Jedenfalls aber wird an der aktuellen Abmahnwelle eines offenbar: In Massenverfahren mit komplexen technischen Fragestellungen droht der Richtervorbehalt seinen Zweck zu verfehlen, wenn die Justiz – vielleicht auch in Folge fehlenden Personals – auf die Bewältigung der Verfahren nicht hinreichend eingerichtet ist.
Der Autor Carl Christian Müller, LL.M. ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Kanzlei MMR Müller Müller Rößner, Berlin, die unter anderem auf das Medienrecht, das Presse- und Äußerungsrecht, das Breitbandkabelrecht und das Urheberrecht spezialisiert ist. Er fungiert zudem als Justiziar des Deutschen Medienverbandes (DMV) und Betreiber des Themenblogs SOS-Abmahnung.de.
Carl Christian Müller, Abmahnwelle gegen Redtube-Nutzer: Vom Leerlaufen des Richtervorbehalts . In: Legal Tribune Online, 12.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10344/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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