Pro und Contra Warnhinweismodell: Ein Streit über den Umgang mit Files­ha­rern

von Dr. Florian Drücke und Oliver Süme

09.12.2011

Seit Jahren kämpft die Musik- und Filmindustrie gegen "digitale Piraten". Rechteinhaber, Internetwirtschaft, Nutzer und Politik diskutieren über Alternativen zum teuren Abmahnvorgehen. Nun soll es ein "Warnhinweismodell" richten. Der Bundesverband Musikindustrie und der Verband der deutschen Internetwirtschaft haben dazu naturgemäß verschiedene Meinungen. Ein Pro & Contra.

Filesharer, die illegal im Internet einzelne Songs, ganze Alben oder Filme herunterladen, machen den Urhebern der Werke wie auch deren Verwertern das Leben schwer. Die Abmahnwellen haben trotz der Deckelung von Rechtsverfolgungskosten nicht signifikant nachgelassen, freiwillige Kooperationsansätze zwischen Rechteinhabern und Internetwirtschaft zur Eindämmung der Internetpiraterie scheiterten.

Siegfried Kauder (CDU) beklagte vor kurzem den Stillstand der Urheberrechtsreform und kündigte einen Gesetzentwurf für ein Warnhinweismodell bei Urheberrechtsverletzungen im Internet an. Ähnlich den Ansätzen in Frankreich oder den USA sollen User, die bei einem konkreten Rechtsverstoß von Rechteinhabern bemerkt werden, Warnhinweise erhalten. Diese klären über die Zuwiderhandlung auf und informieren, dass im Wiederholungsfall eine Sanktion folgen wird.

Pro: Sinnvolle Kombination aus Aufklärung und Abschreckung

Warnhinweise sind ein sinnvolles Modell mit Zukunft, auch wenn sie es nicht allein werden richten können, meint Dr. Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie e. V.

Die Idee des Warnmodells ist alles andere als neu. Um die Entwicklung freiwilliger Lösungen zwischen Rechteinhabern und der Internetwirtschaft zur Eindämmung der Internetpiraterie zu diskutieren, wurde 2008 unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) der "Wirtschaftsdialog für mehr Kooperation bei der Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen" eingerichtet. Dem Dialog gingen einige "Runde Tische" voraus, die es nicht schafften, die emotionale Diskussion zu versachlichen. Man präsentierte Geschäftsmodelle, debattierte Aufklärungsansätze und diskutierte Systeme der "individuellen Ansprache". Stets unter der Prämisse der Kooperation bei dieser großen gesellschaftlichen Herausforderung.

Wo Selbstregulierung versagt, muss Politik handeln. Um die Umsetzbarkeit eines Warnmodells zu prüfen, hatte das BMWi im August 2011 ein Gutachten in Auftrag gegeben, welches Modelle zur Versendung von Warnhinweisen durch Internet-Zugangsanbieter vergleichen soll. Damit werden letztlich Forderungen der FDP-Fraktion im Jahr 2008 umgesetzt, die die damalige Bundesregierung aufgefordert hatte, einen ähnlichen Bericht vorzulegen und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzuzeigen (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/8783). Forderungen, die heute, drei Jahre und einige Runde Tische später, endlich in greifbare Nähe rücken.

Seit Anfang 2011 liegt eine detaillierte Stellungnahme der beteiligten Rechteinhaber zur technikneutralen Ausgestaltung eines Warnmodells sowie zur nachhaltigen Eindämmung der Internetpiraterie auf Streaming-Portalen und Cyberlockern vor – die Provider lehnen jedoch jegliche Mitverantwortung grundsätzlich ab.

Das Gutachten als Katalysator

Hierbei übersehen sie jedoch die Vorteile: So werden zunächst der durch die hohe Tauschbörsennutzung verursachte Datenverkehr und die damit zusammenhängenden Netzwerkkosten reduziert. Durch die steigende Nutzung legaler Content-Angebote könnten die Internetdienstanbieter zudem am Verkauf digitaler Inhalte stärker als bisher teilnehmen.

Aktuell herrscht ein unerträglicher Stillstand, der zu Lasten der Künstler sowie der Schaffenden in den 237.000 kleinen und mittleren Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft geht.

Mit dem Gutachten nimmt das Warnmodell wieder Fahrt auf. Klar ist, dass es ein an den deutschen Rechtsrahmen angepasstes Modell sein muss – dies betrifft vor allem die Wahl der Sanktionen und den Datenschutz. Wohlgemerkt: Die Daten des Anschlussinhabers würden den Rechteinhabern erst im Wiederholungsfall übermittelt werden.

Der Verbraucher selbst kann informiert entscheiden

Sicher ist auch: Ein freiwilliges Warnmodell, wie zum Beispiel in den USA zwischen Rechteinhabern und Internetwirtschaft vereinbart, sollte dem Ansatz nach im deutschen Kontext bei aller Emotionalität der Debatte nicht völliges Befremden auslösen. Schlussendlich steht fest, dass ein Warnmodell nur eine Komponente bei der nachhaltigen Reduzierung der Internetpiraterie sein kann. Um zum Beispiel die Problematik der Streaming-Dienste sowie der Cyberlocker ins Auge zu fassen, bedarf es weiterer flankierender Regelungen.

Letztlich ist es jedoch insbesondere die Kombination aus Aufklärung und Abschreckung, die für ein solches Warnmodell spricht: Verbraucher erhalten die Chance, ihr unrechtmäßiges Handeln zu überdenken, einzustellen oder zu reagieren, wenn etwa das WLAN durch Dritte genutzt wurde.

Vor allem aber wird ein solches Konzept von den aktiven deutschen Filesharern selbst als wirksam angesehen: Laut der aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zum Nutzungsverhalten von digitalen Inhalten glauben 81 Prozent von ihnen, dass Personen, die illegal Medieninhalte anbieten oder herunterladen, ihr Handeln nach einer Verwarnung einstellen würden. Auch Studien aus dem Ausland kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Bislang wird die vielgescholtene Abmahnung zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Internet genutzt. Diese droht bereits nach der ersten Verletzungshandlung. Umso erstaunlicher ist es, dass die Diskussion um angemessene Sanktionen nach vorheriger Warnung regelmäßig Wellen der Entrüstung zur Folge hat. Und das übrigens nicht nur, wenn die zeitweise Aussetzung der Internetverbindung als Sanktion in Rede steht.

Eine Chance für den Gesetzgeber

Der Gesetzgeber sollte die Chance nutzen und nun endlich handeln. Immerhin geht es nicht um "das eine Modell", sondern um die Neubalancierung von Vorschriften, die über verschiedene Gesetze verstreut sind. Das Problem darf nicht weiter allein den Rechteinhabern aus der Buch-, Film-, TV-, Games- oder Musikbranche überlassen werden. Auch die Kooperation der Internetwirtschaft ist gefordert, selbstverständlich unter Abwägung verschiedener tangierter Grundrechte und Interessen.

Entgegen wiederkehrenden Vorhaltungen und trotz anhaltender Piraterie hat die Musikindustrie übrigens das legale Angebot im Internet stetig weiter ausgebaut: Mehr als 60 legale Dienste existieren allein in Deutschland. Dienste, die durch die illegalen Umsonst-Angebote massiv unter Druck stehen – denn selbst das beste legale Angebot kann mit illegalen Quellen, die den gleichen Content gratis anbieten, nicht konkurrieren.

Die Rechteinhaber wünschen sich eine Versachlichung und eine Analyse, die eine zügige politische Willensbildung ermöglicht. Eine erneute Bagatellisierungsdebatte würde dagegen alle Beteiligte um Jahre zurück werfen.

Contra: Gegen Rechtsprivatisierung und die Aufweichung von Datenschutz

Warnhinweise gibt es längst, nur nutzt sie niemand. Und das aus guten Gründen, denn nicht die Provider sollten prüfen dürfen, ob jemand Rechtsverletzungen begeht, kommentiert Oliver Süme, Vorstand Recht und Regulierung des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (ECO).

Die von vielen Rechteinhabern geforderten Warnhinweise, die Provider bei Urheberrechtsverletzungen an ihre Kunden versenden sollen, begegnen einer Vielzahl von rechtlichen und tatsächlichen Bedenken.

Die Möglichkeit, Warnhinweise zu versenden, besteht eigentlich für die Musikindustrie seit mehren Jahren. Erst im Jahr 2008 wurde aufgrund einer EU-Richtlinie ein Auskunftsanspruch in § 101 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG) eingeführt. Dieser ermöglicht es Rechteinhabern, auf der Grundlage eines gerichtlichen Beschlusses von einem Provider die Kundendaten zu einer IP-Adresse zu erhalten, über die eine offensichtliche Urheberrechtsverletzung stattgefunden haben soll.

Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern funktioniert dieses Auskunftsverfahren in Deutschland auch ausgezeichnet - zu gut, würde mancher sagen. Über 300.000 Datensätze werden von den deutschen Providern jeden Monat auf Basis gerichtlicher Beschlüsse geprüft, die Kundendaten werden an die Rechteinhaber  weitergegeben. Diese haben dann die freie Wahl, ob sie Warnhinweise oder massenhaft kostenpflichtige Abmahnungen versenden wollen.

Warnhinweise gibt es längst – nur nutzt sie niemand

Das Ergebnis ist bekannt. Eine Erklärung dafür, warum das bestehende Instrument dennoch nicht einmal ansatzweise für den Versand von Warnhinweisen verwendet wird, fehlt allerdings bisher.

Für die deutschen Provider ist das ebenso unverständlich wie für viele Verbraucher. Mit der Forderung nach einem Warnhinweismodell sind ohnehin dieselben rechtlichen Bedenken verknüpft, die bereits bei der Einführung des Auskunftsanspruchs rechtspolitisch sehr kontrovers diskutiert wurden.

Soll tatsächlich ein Provider und nicht ein Gericht darüber entscheiden, ob eine Urheberrechtsverletzung stattgefunden hat oder nicht? Soll diese Entscheidung eine ausreichende Grundlage dafür sein, dass der Provider Kundendaten prüft und herausgibt, die dem Datenschutz und dem Fernmeldegeheimnis unterliegen?

Ohne Richterkontrolle wird der Provider zum Überwacher

Eine derartige Privatisierung des Rechts zugunsten einer bestimmten Interessengruppe ist dem deutschen Recht nicht nur fremd. Ein Warnhinweismodell führt auch dazu, dass ein solches Vorgehen eben nicht in ein rechtstaatliches Verfahren eingebettet ist. Der Vorwurf und die Verfolgung von Urheberrechten und der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis sowie der Schutz personenbezogener Daten stehen allein zur Disposition von Privatunternehmen.

Weil gerade dies verständlicherweise vom Gesetzgeber nicht gewollt war, wurde der Auskunftsanspruch in § 101 Abs. 9 UrhG mit einem Richtervorbehalt für den Fall versehen, dass die gewünschte Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten erteilt werden kann. Dieser Grundsatz soll nun quasi durch die Hintertür wieder ausgehebelt werden, denn der Provider muss für diesen Vorgang zwingend auf die Verkehrsdaten seiner Kunden zugreifen und selbst beurteilen, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt.

Da nach den Vorstellungen der Rechteinhaber die Warnhinweise zudem durch die Provider selbst versendet werden sollen, würde sich aus Kundensicht deren Rolle von einem neutralen Kommunikationsdienstleister zu einem parteiischen Überwachungsprovider wandeln. Einen so tiefgreifenden Bruch in der Vertrauensbeziehung zum Verbraucher wollen und können die Provider nicht hinnehmen. Ganz zu schweigen davon, dass dadurch ein Sonderweg für eine einzige Zielgruppe innerhalb der Kreativindustrie eingeschlagen würde.

Rechteinhaber sparen Geld und geben den Schwarzen Peter weiter

Der eigentliche Grund für die seit vielen Jahren gleichlautende Forderung der Rechteinhaber nach einem Warnhinweismodell liegt auf der Hand: Das gesetzlich vorgesehene Auskunftsverfahren kostet Geld. Natürlich ist es auch einfacher, anderen den Versand von Warnhinweisen zu übertragen, als dies selbst wahrzunehmen.

Zudem schiebt man den schwarzen Peter des "Überwachers" dem Provider in die Schuhe. Der Rechteinhaber vergrault die Konsumenten also nicht. Deren Stimmung ist ohnehin im Keller: Zu viel Porzellan ist durch die exzessive Ausweitung der massenhaften Abmahnung in den letzten Jahren zerschlagen worden und viele Verbraucher haben beim Thema Urheberrecht inzwischen ausschließlich negative Assoziationen. "Die Bürger hören das Wort 'Copyright' und hassen das, wofür es steht", betonte EU-Kommissarin Neelie Kroes jüngst in einer Rede vor französischen Kreativen.

Übersehen wird schließlich auch, dass sich die Problematik illegaler Downloads seit Einführung des Auskunftsanspruches erheblich entschärft hat. Obwohl immer mehr Menschen online sind und die Internetanschlüsse den Haushalten immer höhere Übertragungsgeschwindigkeiten ermöglichen, geht die Anzahl illegaler Downloads kontinuierlich zurück. Gleichzeitig konsumieren immer mehr Menschen legale digitale  Musikangebote und bescheren der Musikindustrie immer höhere Umsätze.

Die Stellschraube für den erfolgreichen Umbruch der überkommenen Geschäftsmodelle vieler Rechteinhaber heißt daher nicht "Warnhinweise", sondern "attraktive Angebote". Eine Rechtsprivatisierung und die Aufweichung von Datenschutz und Fernmeldegeheimnis ohne richterliche Kontrolle sind hingegen weder angemessen noch erforderlich.

Dr. Florian Drücke ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie e. V. in Berlin. Oliver Süme arbeitet im Vorstand "Recht und Regulierung" des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (ECO).

 

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Zitiervorschlag

Dr. Florian Drücke und Oliver Süme, Pro und Contra Warnhinweismodell: Ein Streit über den Umgang mit Filesharern . In: Legal Tribune Online, 09.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5062/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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