Piraten verklagen sich selbst: Kandidatenwahl per Videokonferenz

von Ludwig Hogrebe

09.05.2013

Ein Pirat aus Niedersachsen hat die Wahl der Hildesheimer Direktkandidatin angefochten, obwohl er sie gerne im Bundestag sehen möchte. Die Partei hatte die Wahlversammlung an drei Orten gleichzeitig abgehalten und per Videokonferenz abgestimmt. Das erlaubt das BWahlG bisher nicht. Die widersprüchliche Aktion der Piraten könnte dies jedoch ändern.

Die Piratenpolitikerin Felicitas Steinhoff hat in Santa Fe, in Boston und im marokkanischen Ifrane gelebt. Ihre Direktkandidatur für den Bundestag scheitert nun möglicherweise an der Entfernung zwischen drei niedersächsischen Provinzstädten.

Als Kandidaten für den Bundestag kann eine Partei nur Bewerber vorschlagen, die in einer Mitgliederversammlung gewählt worden sind, so regelt es § 21 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG). "Das ist bisher wörtlich verstanden worden", erklärt der Wahlrechtler Sebastian Roßner von der Universität Düsseldorf. Ein Kandidat müsse also in "einer" Mitgliedversammlung gewählt werden, nicht in zwei und auch nicht in drei wie bei den Piraten in Hildesheim.

Der Kreisverband aus der zweitkleinsten Großstadt Niedersachsens sieht das nicht ganz ein. Er hat es deshalb darauf ankommen lassen und seine Mitglieder dazu eingeladen, sich an drei verschiedenen Orten gleichzeitig zu versammeln. Per Videokonferenz und Sprach-Chat  wurden die drei Gruppen verschaltet. Außer in Hildesheim selbst konnte man Steinhoff auch in der 20.000-Einwohner-Stadt Alfeld am südlichen Ende des Wahlkreises und im nördlichen Sarstedt wählen.

Meinungsaustausch am Bulettenstand

Mit dieser dezentralen Wahl wollen die Piraten einen Präzedenzfall schaffen. Für Roßner kein aussichtsloses Unterfangen. Die Vorschrift im BWahlG sei allerdings keine reine Schikane, sondern diene dazu, den persönlichen Kontakt der Teilnehmer zu stärken. "Man ist nicht nur bei der Abstimmung dabei, sondern auch auf dem Gang, in der Raucherpause oder am Bulettenstand und kann sich da austauschen."

Auch für den Kandidaten sei es ein Vorteil, mit allen Stimmberechtigten im selben Raum zu sein. "Vielleicht stellt er sich auf einer Versammlung vor und kommt da sehr gut an, auf dem Video aber nicht so gut rüber", sagt der Wahlrechtler. Das Kernproblem sei aber, dass alle Teilnehmer den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen müssten. "Hier wird der Hase im Pfeffer liegen. Eine Wahl ist nicht demokratisch, wenn nicht bereits die Bewerberaufstellung demokratisch abläuft."

Bei drei unterschiedlichen Versammlungen wisse man nicht, wo die entscheidenden Leute säßen, wo die Stimmung gemacht werde und ob vielleicht eine der Versammlungen schon wegen der geringen Teilnehmerzahl auf das Ergebnis gar keinen Einfluss nehmen könne.

Videokonferenzen könnten die Auslegung des BWahlG verändern

Solche Ungleichheiten müssten unbedingt vermieden werden, erläutert Roßner. Die niedersächsischen Piraten könnten über das Gleichheitsgebot stolpern, weil in Hildesheim an der Versammlung mehr Akkreditierte teilgenommen haben als an den beiden anderen Versammlungsorten zusammen.

Die Internetpartei ist jedoch so optimistisch, dass ein Parteimitglied die Wahl beim Landesschiedsgericht der Piraten angefochten hat (Az. LSG-NI-2013-05-05-1). "Wir sind zuversichtlich, dass die Klage aussichtslos ist", verkündet Kandidatin Steinhoff auf Nachfrage.

Auch Roßner hält es für möglich, dass Videokonferenzen die hergebrachte Auslegung des BWahlG verändern könnten. "Man muss den Parteien auch einen gewissen Spielraum zugestehen, ihre innere Demokratie auszugestalten." Schließlich könnten so Kosten gespart werden und gleichzeitig mehr Parteimitgliedern die Möglichkeit gegeben werden, mitzustimmen.

Ein Punkt, der den Piraten sehr wichtig ist. Die Partei ist stolz darauf, kein Delegiertensystem zu haben, so dass jedes Mitglied über die Kandidaten für Bundes- oder Landtagswahlen abstimmen darf. Im Flächenland Niedersachsen möchte die Onlinepartei ihren Mitgliedern dafür lange Wege ersparen. Ein Komfort, der auch seine Risiken hat. Denn so können Teilnehmer mitwählen, die die 17 Kilometer von Sarstedt nach Hildesheim gescheut hätten. Ein schlechtes Omen für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Kandidaten? Steinhoff sieht darin kein Problem. "Man kann es auch so sehen, dass der bisher für die Anreise verwendete Aufwand jetzt in eine bessere inhaltliche Vorbereitung gesteckt werden kann."

Gefährliche Transparenz

Die Piraten haben sich Transparenz auf die Fahnen geschrieben, aber ausgerechnet an ihrer übergroßen Offenheit könnten sie nun scheitern. Denn schon im Vorfeld hatte die Partei angekündigt, die Wahl anfechten zu wollen, und auch der Kläger selbst, der Basispirat Christian Koch, macht keinen Hehl daraus, was er eigentlich von einer Abstimmung per Videokonferenz hält: "Das ist Klasse und hat meine volle Unterstützung", schreibt er auf seinem Blog. Dort entschuldigt er sich gar dafür, die Aufstellung "geschendelt" zu haben, was im Piratenjargon bedeutet, eine Kandidatenwahl durch Klagen zu sabotieren.

Es gehe ihm rein um das "Formalfoo", erläutert er per E-Mail, also um die Formalien einer virtuellen Versammlung, die das Gericht für die Zukunft klären soll. "Ich fände es gut, wenn Frau Steinhoff die Piraten im Bundestag vertreten könnte." So viel Ehrlichkeit könnte der Klage das Rechtsschutzbedürfnis nehmen, fürchtet Roßner: "Das Gericht soll schließlich nicht als Gutachter tätig werden."

Genau das aber wollen die Piraten erreichen. Die Wahl in Hildesheim ist als Blaupause für Parteiversammlungen in Land und Bund gemeint. Dafür ist Steinhoff auch bereit, ihre Kandidatur zu riskieren. "Wir Piraten treten an, um mit neuen Technologien allen Menschen demokratische Prozesse zugänglich zu machen. Da muss man auch mal ein Risiko eingehen."

Vielleicht sind die Piraten aber auch bereit, mit der Direktkandidatur in Hildesheim zu experimentieren, weil sie einen Erfolg auf diesem Weg längst abgeschrieben haben. Der letzte Direktkandidat der Piraten im Wahlkreis Hildesheim kam auf zwei Prozent der Stimmen. 39 Prozent erhielt der Gewinner von der SPD. Auf der Landesliste hat Steinhoff dagegen einen guten Platz.

Zitiervorschlag

Ludwig Hogrebe, Piraten verklagen sich selbst: Kandidatenwahl per Videokonferenz . In: Legal Tribune Online, 09.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8698/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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