Ersatzpersonalausweis für potenzielle Islamisten: Terrorismusbekämpfung durch Stigmatisierung

2/2: Der Unterschied zwischen Pass und Personalausweis

Doch für die Betroffenen ist der Unterschied zwischen beiden Dokumenten im Alltag unmittelbar deutlich und wird durch die eingangs beschriebene Situation markiert. Der Personalausweis ist nach § 20 Abs. 1 PAuswG explizit als Legitimationspapier auch für den privaten Bereich bestimmt. In bestimmten Situationen ordnet der Gesetzgeber seine Vorlage an, beispielsweise bei der Kontoeröffnung. Auch ohne Anordnung ist die Vorlage in vielen privaten Situation (Paketabholung, Registrierung im Hotel, etc.) üblich. Diese Stellen geht das Vorliegen von Passversagungsgründen in aller Regel schlicht nichts an.

Auch gegenüber Behörden können sich Stigmatisierungseffekte einstellen: Der Staat ist kein Informationsmonolith; das Wissen einer Behörde ist nicht bei allen anderen Behörden verfügbar. Wieso muss die Sehteststelle zur Prüfung des Sehvermögens vor der Führerscheinprüfung (diese muss sich nach § 12 Abs. 2 Satz 2 FeV Pass oder Ausweis vorlegen lassen) wissen, dass die Personalausweisbehörde einen entsprechenden Verdacht hegt? Und wieso will man den Betroffenen ein Ersatzdokument ohne Chip geben und ihnen so die Möglichkeit nehmen, sich an innovativen Diensten des E-Government und E-Commerce zu beteiligen?

Die Sicht der Sicherheitsbehörden ist demgegenüber eine andere. Sie bemühen sich derzeit vor allem, die Ausreise verdächtiger Personen in die Türkei zu unterbinden, da diese ihre Grenzen zu Syrien und dem Irak offenbar nicht effektiv kontrollieren kann. Der Personalausweis ist innerhalb der Europäischen Union und – im konkreten Fall entscheidend – auch für die Türkei ein zulässiges Reisepapier. Da der Ausweis trotz aller pass- und personalausweisrechtlichen Maßnahmen im Besitz des Betroffenen verbleibt und nicht gekennzeichnet wird, kann dieser an der Grenze nach wie vor ein Dokument vorweisen.

Effektiver: Kontrollen an den Schengen-Grenzen

Gegen das Ziel, gewaltbereite deutsche Staatsbürger an der Beteiligung jihadistischer Bestrebungen zu hindern, kann man nicht ernsthaft etwas einwenden. Die Sicherheitsratsresolution Nr. 2178 (2014) verpflichtet überdies zu ausreiseverhindernden Maßnahmen. Aber rechtfertigt dieses Ziel die Stigmatisierung der Betroffenen in Alltagssituationen – und zwar auch dann, wenn es sich um reine Prognoseentscheidungen handelt, also nicht um Rückkehrer aus Kampfgebieten?

Verfassungsrechtlich ist angesichts des Eingriffs in Gleichheitsrechte und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach milderen Mitteln zur Verhinderung der Ausreise zu fragen. Hierzu bieten sich zum Beispiel Meldeauflagen und die Speicherung im Grenzfahndungsbestand an. Diese Datei müsste dann aber allen zuständigen Stellen verfügbar gemacht werden.

Zuständig sind die Grenzkontrollstellen des Schengen-Raums, im konkreten Fall also beim Landübertritt zwischen Griechenland und der Türkei. Sofern hier effektiv unter Abgleich mit einer europaweiten Fahndungsliste kontrolliert wird – das Problem betrifft ja nicht nur Deutschland –, bedarf es an sich des Entzugs des Personalausweises nicht. Fehlt es an effektiven Kontrollen, kann auch der Entzug nicht helfen.

Die Entziehung des Ausweises zielt folglich nur auf Situationen, in denen die Kontrollstellen an der Schengen-Außengrenze keine Informationen über eine Beschränkung der nationalen Personalausweise haben. Dazu gibt es das Schengener Informations-System (SIS), in dem entsprechende Personen ausgeschrieben werden können. Dass dies bisher offenbar nicht erfolgt, ist schwer verständlich und soll jetzt völlig zu Recht geändert werden. Sofern nicht alle Kontrollstellen an den Schengen-Außengrenzen über entsprechendes technisches Gerät verfügen, muss eine Nachrüstung erfolgen. Dabei könnten andere Mitgliedstaaten oder die europäische Grenzschutzagentur Frontex den jeweiligen Ländern helfen.

Rechtsstaatliche Grenzen

Ob man unter diesen Rahmenbedingungen die erläuterten Gefahren der persönlichen Diskreditierung durch ein Ersatzdokument verfassungsrechtlich rechtfertigen kann, hängt entscheidend an der Tatsachengrundlage und den Anforderungen, die man an die Gefahrenprognose stellt.

Dabei dürften die Personalausweisbehörden in ein Dilemma laufen: Interpretieren sie die Voraussetzungen eng, so wird nur eine relativ kleine Gruppe erfasst, die mutmaßlich ohnehin so stark unter polizeilicher Beobachtung steht, dass Reisebewegungen frühzeitig erkannt werden.

Soll der Entzug des Ausweises dagegen einen echten Mehrwert für die Verhinderung von Ausreisebestrebungen haben, muss er schon bei geringen Verdachtsgraden angeordnet werden. Dann allerdings droht die verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Stigmatisierung auf unsicherer Tatsachengrundlage oder sogar eine weitere Radikalisierung der Betroffenen. Beides kann man auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in Syrien nicht wollen.

Der Autor Prof. Dr. Gerrit Hornung, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, IT-Recht und Rechtsinformatik der Universität Passau. Er hat über biometrische Identitätspapiere und die elektronische Gesundheitskarte promoviert und einen Kommentar zum Pass- und Personalausweisrecht verfasst.

Zitiervorschlag

Gerrit Hornung, Ersatzpersonalausweis für potenzielle Islamisten: Terrorismusbekämpfung durch Stigmatisierung . In: Legal Tribune Online, 03.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13678/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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