Patientenverfügung nach Vorgaben des BGH: Der kom­p­li­zierte Wunsch zu sterben

von Wolfgang Putz und Tanja Unger

22.01.2018

Zwei jüngere Entscheidungen des BGH zu den Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung haben für große Unsicherheit gesorgt. Wer selbstbestimmt bleiben will, muss nun handeln, erklären Wolfgang Putz und Tanja Unger.

Der Betreuungssenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in der jüngeren Vergangenheit mit zwei Entscheidungen zur Auslegung und Wirksamkeit von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten viele Verbraucher verunsichert (Beschl. v. 06.07.2016, Az. XII ZB 61/16 und v. 08.02.2017, Az. XII ZB 604/15). Dabei lieferte er auch keinerlei brauchbare Anleitung zur Abfassung mit. Letztendlich lassen sich die Aussagen des BGH, die er in den beiden Entscheidungen zu einem bereits sehr betagten Vorsorgetext der evangelischen Kirche macht, so zusammenfassen: "Wir hätten es gerne etwas genauer, aber zu genau muss es auch nicht sein!" Fakt ist jedoch, dass eine Vielzahl der im Umlauf befindlichen PV und Vorsorgevollmachten nach dieser Rechtsprechung in Teilen unwirksam sind.

In beiden Beschlüssen ging es um dieselbe Patientenverfügungsvorlage der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern von 1989, die in ähnlicher Form auch von anderen Quellen verwendet wurde, so dass diese Texte bis heute extrem verbreitet sind. Im Entstehungszeitraum der 80er- und 90er-Jahre zwar tendenziell sehr "fortschrittlich", sind sie wenig praxistauglich formuliert. Es entsprach dem Zeitgeist, so sensible Dinge wie die Wünsche zum eigenen Sterben "nicht zu juristisch" zu formulieren.

So ist u.a. bestimmt, dass eine ärztliche Behandlung nur dann erfolgen soll, wenn "eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht". Lebensverlängernde Maßnahmen sollten dagegen unterbleiben, wenn "keine Aussicht auf Wiederherstellung des Bewusstseins" besteht oder ein "schwerer Dauerschaden des Gehirns" zurückbleibt. In diesen Fällen sollten "Behandlung und Pflege (…) auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist."

Zusätzlich enthält der Vordruck für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit (Hier wird übersehen, dass Vollmachten bedingungsfeindlich sind!), eine Vollmachterteilung, mit dem Inhalt, der Bevollmächtigte solle dann "an meiner Stelle mit dem behandelnden Arzt (…) alle erforderlichen Entscheidungen ab(zu)sprechen" und "(…) meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen".

Wunsch nach "würdevollem Sterben" reicht nicht

Der gesundheitliche Zustand der Betroffenen war in beiden Fällen medizinisch nahezu identisch: Die je über 70-jährigen Patientinnen waren seit mehreren Jahren mit einer PEG-Sonde versorgt im Wachkoma ohne realistische Aussicht auf Besserung. In beiden Verfahren ging es um die gerichtliche Genehmigung einer Therapiezieländerung, nämlich Einstellung der künstlichen Ernährung zugunsten eines palliativ begleiteten Sterbens.

In der ersten der beiden Entscheidungen kritisierte der BGH, die Vollmacht erfülle die Anforderungen an eine klare Bestimmung der Vertretungsbefugnisse nicht, weil der Text den Bevollmächtigten nur zur "Mitsprache", nicht aber zur Bestimmung der Vorgehensweise ermächtige und eine Verpflichtung zur Umsetzung des Patientenwillens nicht deutlich werde.

Dem Text der Patientenverfügung fehlte dem BGH zufolge zudem die medizinrechtlich gebotene Struktur: Es müssen zuerst Situationen beschrieben werden, die erfasst werden sollen; sodann müssen klare Behandlungsverbote folgen. Denn der Patient kann dem Arzt alles verbieten, ihm aber nichts vorschreiben. Eine Patientenverfügung sei, so der BGH, für alle Beteiligten nur bindend, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können - soweit ohnehin der Gesetzestext des § 1901 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Von vornherein nicht ausreichend seien allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Dies ist dann aber bereits medizinisch geboten, eine andere Behandlung wäre nicht indiziert und folglich rechtswidrig (So auch OLG München vom 21.12.2017, AZ 1 U 454 /17, noch nicht rechtskräftig).

Der Betroffene müsse umschreibend festlegen, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituationen will bzw. nicht will, ohne seine Biografie als Patient oder gar künftige Fortschritte der Medizin vorausahnen zu müssen. Die bloße Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, sei, so der BGH 2016, für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Die aufgeführte Behandlungssituation eines "schweren Dauerschadens des Gehirns" beschreibe auch keine Gesundheitssituation, von der auf einen konkreten Willen der Betroffenen rückgeschlossen werden könne. Das gelte auch für Begriffe wie "Erhaltung eines erträglichen Lebens" oder "angemessene Möglichkeiten".

BGH korrigiert sich

In seiner Folgeentscheidung vom 08.02.2017 rudert der BGH in einigen ganz wesentlichen Punkten deutlich zurück und modifiziert seine Anforderungen an Textpassagen, die es natürlich wortgleich auch im vorausgegangenen Fall gab.

Abweichend von der Vorentscheidung sah der BGH den Patientenwunsch nun hinreichend konkretisiert durch die aufgeführte Behandlungssituation der medizinisch festgestellten fehlenden Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins in Zusammenschau mit der Vorgabe, dass dann die Behandlung auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein solle. So könnte (der Konjunktiv bezieht sich auf das damals noch fehlende gerichtliche Sachverständigengutachten im zweiten Fall) die Patientenverfügung so auszulegen sein, dass die Betroffene in dieser besonderen Situation in den Abbruch der künstlichen Ernährung vorausschauend eingewilligt hat. Auch wenn die Formulierung, "keine lebensverlängernden Maßnahmen" zu wünschen, für sich allein nicht hinreichend bestimmt sei, so spräche sie im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung durchaus für den Wunsch nach einem Abbruch bestimmter lebenserhaltener Maßnahmen. Somit maß der BGH dieser sehr üblichen Formulierung nunmehr eine hohe Indizwirkung zu. Dieses Indiz muss jedoch im Rahmen der Gesamtwertung durch Zeugenaussagen zum Patientenwillen ergänzt und untermauert werden.

Was folgt aus den Beschlüssen?

Einen Rechtsratgeber stellen die Urteile natürlich nicht dar. Für eine laienhafte Selbst-Formulierung von Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sind die Beschlüsse nicht hilfreich. Einzige Erkenntnis für die Praxis ist: Man sollte tunlichst seine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht auf den neuesten rechtlichen Stand bringen. Die umfangreichen Anforderungen an eine valide Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind allerdings von juristisch qualifizierten Autoren solcher Formulare in der Regel seit Jahren beachtet worden. Solche Texte sind in jeder Buchhandlung erhältlich.

Die ärztlicherseits häufig erhobene Forderung nach "viel genaueren, situationsspezifisch formulierten" PV ist ein schlechter Rat. Die genaue Aufzählung einzelner bestimmter Krankheiten birgt die Gefahr, dass eben die Krankheit, die letztlich zur Situation der dauerhaften Entscheidungsunfähigkeit führt, nicht benannt ist.

Man kann mit den "Situationen, für die die Patientenverfügung gilt" nur wenige Krankheitszustände erfassen. Grundsätzlich geht es um die künstliche Lebensverlängerung im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit (die auch noch so plötzlich eingetreten sein muss, dass die vorrangigen Arzt-Patientengespräche nicht mehr möglich waren). Regelungen braucht es also nur dann, wenn jemand aus völliger geistiger Gesundheit heraus das Bewusstsein verliert oder – seltener – bei plötzlicher und unerwarteter Verschlechterung eines fortschreitenden Krankheitsverlaufs in dauerhafte Bewusstlosigkeit.

Die breite Diskussion um die Formulierung tauglicher Patientenverfügungen übersieht also deren eingeschränkten Anwendungsbereich. Es wird übersehen, dass in den allermeisten Fällen der Arzt mit dem noch einwilligungsfähigen Patienten klären kann (und muss), ob und wie dieser eine weitere Behandlung wünscht. Doch in der Praxis zeigt sich häufig: Ärzte wollen Patientenverfügungen, am liebsten für alle Patienten und am besten punktgenau formuliert, in der Hoffnung, dann nicht mit dem Patienten über das Sterben sprechen zu müssen. Die Medizin am Lebensende braucht aber nicht möglichst viele und schon gar nicht möglichst detaillierte Patientenverfügungen, sondern die Rückkehr zur "sprechenden Medizin".

Der Autor Wolfgang Putz ist Rechtsanwalt bei Putz Sessel Steldinger und Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Autorin Tanja Unger ist Rechtsanwältin bei Putz Sessel Steldinger.

Zitiervorschlag

Wolfgang Putz und Tanja Unger , Patientenverfügung nach Vorgaben des BGH: Der komplizierte Wunsch zu sterben . In: Legal Tribune Online, 22.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26601/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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