Mehr Zuschüsse für die Fraktionen: Darf es ein bis­schen mehr sein?

Gastbeitrag von Alexander Hobusch

24.07.2018

Nun sollen auch die Fraktionen mehr Geld bekommen – und zwar erhebliche 30 Prozent. Tatsächlich ist das teilweise in Ordnung, immerhin gibt es zwei zusätzliche Fraktionen. Doch diese Erhöhung ist verfassungswidrig, meint Alexander Hobusch.

Man könnte sagen: Es ist der nächste Streich nach der Erhöhung der Parteienfinanzierung vor wenigen Wochen. Mehr als 30 Prozent mehr Geld sollen die Bundestagsfraktionen im kommenden Jahr nach Informationen der Süddeutschen Zeitung erhalten. In absoluten Zahlen bedeutet das einen Sprung von rund 88 Millionen Euro auf über 115 Millionen Euro. Das sitzt. Die öffentliche Kritik ist dabei nur teilweise berechtigt. Doch insgesamt vertieft die Erhöhung eine bereits bestehende Überfinanzierung der Bundestagsfraktionen und ist damit verfassungswidrig.

Fraktionen sind die wesentlichen Akteure des politischen, parlamentarischen Betriebes. Man könnte die Bundesrepublik auch eine Fraktionendemokratie nennen. Sie machen das schwerfällige Parlament von Einzelabgeordneten erst handlungsfähig, sie organisieren die Willensbildung im Parlament. Sie transformieren die Willensbildung der Parteien aus dem gesellschaftlich-privaten Bereich in den in den parlamentarisch-staatlichen Bereich. Fraktionen bringen den an sich machtlosen einzelnen Abgeordneten erst zu Einfluss: Sie ermöglichen es dem Einzelnen, sich zu spezialisieren und bilden so Fachpolitiker heraus.

Den hohen Stellenwert der Fraktionen kann man in der Geschäftsordnung des Bundestages ablesen: Die Fraktionen haben etwa die bekannten Initiativrechte für Gesetzesvorlagen "aus der Mitte des Bundestages" inne, sie beschicken aber auch etwa die Ausschüsse mit Abgeordneten. Das ganze Parlament ist von der Arbeit der Fraktionen durchdrungen.

Finanzierung der Fraktionen

Die Fraktionen werden heute beinahe ausschließlich staatlich finanziert. Das ist an sich auch kein Problem: Sie sind mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), anders als die Parteien, in die "organisierte Staatlichkeit" eingefügt. Eine Vollfinanzierung aus Staatsmitteln ist daher problemlos möglich. Es ist sogar in der Literatur – durchaus nachvollziehbar – anhand der besonders gewichtigen Funktion der Fraktionen für das Funktionieren des parlamentarischen Betriebs oftmals von einem verfassungsrechtlichen Vollfinanzierungsanspruch die Rede.

Einfachgesetzlich ist die Finanzierung in § 50 Abgeordnetengesetz (AbgG) geregelt. Dort heißt es, dass die Fraktionen Anspruch auf Geld- und Sachleistungen aus dem Haushalt haben. Die Berechnungsmethode wird dann in § 50 Abs. 2 AbgG erläutert. Die Finanzierung teilt sich auf in Grundbetrag, Kopfbetrag und Oppositionszuschlag. Der Grundbetrag soll die Funktionsfähigkeit jeder Fraktion sichern, so klein sie auch sein mag. Der Kopfbetrag errechnet sich anhand der Mitgliederanzahl, soll also dafür sorgen, dass größere Fraktionen auch mehr Geld zur Verfügung haben. Der Oppositionszuschlag ist eine besondere Zulage für die Opposition, mit der strukturelle Nachteile ausgeglichen werden sollen. So können die Regierungsfraktionen etwa "ihre" Ministerien für die Erarbeitung von Gesetzesvorlagen einspannen, was der Opposition naturgemäß verwehrt ist.

Weiterhin ist zu bedenken, dass die Kontrollfunktion des Bundestages gegenüber der Bundesregierung maßgeblich von den Oppositionsfraktionen wahrgenommen wird. Daher hat eine Oppositionsfraktion also im Prinzip "mehr" Aufgaben als eine Regierungsfraktion. Aus all diesen Gründen begegnet eine Bevorzugung der Opposition keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Aufgliederung in diese drei Elemente ist ebenso verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Entscheidend ist für eine Ausgestaltung lediglich, dass durch das gewählte System nicht eine Art von Fraktion unzulässig privilegiert wird (etwa: Entfall des Grundbetrages, nur Abstellen auf die Kopfbeträge begünstigt große Fraktionen). Das wäre dann unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit der übrigen Fraktionen ein Problem.

Das Finanzierungsverfahren: Transparenz? – Fehlanzeige

Die Höhe der jährlichen (Teil-)Zuwendungen wird nicht in Gesetzesform beschlossen, sondern nach § 50 Abs. 2 S. 2 AbgG lediglich vom Bundestag festgelegt. Das geschieht regelmäßig  - gewissermaßen "versteckt" - im Haushaltsplan un d ist damit einer öffentlichen Wahrnehmung und einhergehender Kritik weitestgehend entzogen.

Üblicherweise kommen die Erhöhungen der Fraktionsfinanzierung dann auch erst unmittelbar vor der letzten Lesung im Plenum in der sog. "Bereinigungssitzung" in den Haushaltsplan, sodass auch dadurch eine wirksame Kontrolle ausgeschaltet wird. Auch eine gesetzliche absolute Obergrenze, wie es sie für die Parteienfinanzierung gibt, existiert bei den Fraktionen nicht. Jedenfalls sind die Fraktionsfinanzen immerhin dergestalt öffentlich, als dass die von einem Wirtschaftsprüfer geprüften "Bilanzen" als Bundestagsdrucksache veröffentlicht werden, § 52 Abs. 4 S. 4 AbgG. Im Großen und Ganzen ist das Finanzierungsverfahren aber wenig transparent ausgestaltet, was bei einer "Entscheidung in eigener Sache" durchaus Probleme aufwirft.

Die aktuelle Erhöhung: Größtenteils in Ordnung

Die Beträge für die Fraktionen sind seit Jahren – fernab öffentlicher Kritik wie man sie bei den Abgeordnetendiäten oder der Parteienfinanzierung erlebt – in schwindelerregende Höhen gestiegen. Zuletzt lagen sie bei rund 88 Millionen Euro. Dazu kommen noch Sachmittel. Diese Höhe an sich ist bereits bedenklich, 2002 lag die Gesamthöhe der Finanzierung noch bei rund 62 Millionen Euro, wie sie bis 1990 aussah, ist öffentlich einsehbar.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Höhe der Zuweisungen an die Fraktionen an dem Aufwand zu bemessen, den diese zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen. Seziert man nun den gigantischen Sprung der Fraktionszuschüsse einmal in seine Einzelteile, so sind Beträge für Kopf- und Grundbetrag weitestgehend gleichgeblieben, es ergibt sich wegen der vergleichsweise hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst ein rechnerischer Anpassungsvorschlag in Höhe von gut drei Prozent.

Die enorme Steigerung kommt durch die Erhöhung der Anzahl der Fraktionen zustande: Im Bundestag der 18. Wahlperiode waren eben auch nur vier Fraktionen vertreten. Das hat sich nun geändert: Alleine die zwei hinzugetretenen Fraktionen von AfD und FDP sind durch ihren Grundbetrag für eine Erhöhung von fast 10,2 Millionen Euro verantwortlich. Die Kopfbeträge der AfD erhöhen die Zuweisungen daneben etwa erneut um etwa 10 Millionen Euro, hinzu kommt noch der Oppositionszuschlag von 10 Prozent auf Kopf- und 15 Prozent auf den Grundbetrag. Soweit diese Erhöhungen also anhand der errechneten Steigerung bzw. durch den Neueintritt zweier Fraktionen zustande gekommen sind, wäre ein öffentlicher Aufschrei hier deplatziert. Diese Kalkulation zugrunde gelegt käme man auf einen Ansatz von rund 112 Millionen Euro.

Verfassungswidrige Überfinanzierung

Daneben haben die beiden Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD aber noch eine extra Erhöhung um gut drei Millionen Euro eingeplant. Ähnlich wie bei der vom BVerfG geforderten absoluten Obergrenze bei der Parteienfinanzierung stellt sich aber auch hier die Frage: Warum orientiere ich mich für die Anpassung an einem Index – also hier u.a. den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst, den der Bundestagspräsident bei seinem Anpassungsvorschlag zugrunde legt – wenn ich dann die empfohlene Erhöhung überschreite? Jedenfalls diese Extraportion hat die entsprechende Kritik mehr als verdient. Denn sie vertieft die bereits bestehende Überfinanzierung der Fraktionen.

Diese Überfinanzierung lässt sich am einfachsten an den bestehenden Rücklagen der Fraktionen ablesen: Die Bundestagsfraktionen haben allesamt enorme Rücklagen angespart. Bei der CDU/CSU-Fraktion waren es für 2016 sogar über 20 Millionen Euro. Bei der SPD-Fraktion liegen knapp zehn Millionen Euro auf der hohen Kante, bei Grünen und Linken-Fraktion sind es gut fünf Millionen Euro. Die Bundestagsfraktionen können ihre "Sparschweine" auch über Legislaturperioden hinweg befüllen: Denn § 54 Abs. 7 AbgG ermöglicht die Durchbrechung des Diskontinuitätsgrundsatzes – die Fraktionen können also die Rechtsnachfolge einer Fraktion der vorangegangenen Wahlperiode antreten und damit auch die Rücklagen "mitnehmen".

Das ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit zu neu eintretenden Fraktionen problematisch, die noch nicht auf Rücklagen zurückgreifen können. Auch vertieft eine Mitnahme von angespartem Geld eine offensichtlich zu hoch angesetzte Zuwendung. Anders wäre es den Fraktionen nicht möglich, solche Beträge von ihrem jährlichen Budget abzuzweigen. Weiterhin ist die Zuschusshöhe so zu bemessen, dass die Fraktion in dem Zuschussjahr ihre Arbeit sachgerecht erledigen kann. Das scheint, wenn man die Rücklagen betrachtet, auch mit deutlich weniger Geld möglich. Außerdem ist die Extraportion von drei Millionen Euro in der diesjährigen Erhöhung noch weniger verständlich, wenn man die hohen Rücklagenbildungen der vergangenen Jahre betrachtet.

Was bleibt? Die gigantische Erhöhung von 88 Millionen Euro auf 115 Millionen Euro ist also für sich genommen größtenteils in Ordnung. Der Zuschlag über den Anpassungsvorschlag hinaus ist problematisch und vertieft die bereits bestehende Überfinanzierung der Fraktionen.

Der Autor Alexander Hobusch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Prof. Dr. Martin Morlok). Hobusch hat den Zusammenhang von staatlicher Überfinanzierung und Rücklagenaufbau der Fraktionen empirisch und verfassungsrechtlich untersucht (Hobusch, DÖV 2018, 552).

Zitiervorschlag

Alexander Hobusch, Mehr Zuschüsse für die Fraktionen: Darf es ein bisschen mehr sein? . In: Legal Tribune Online, 24.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29925/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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