NRW plant Sperrklausel für Kommunalwahlen: Kräf­te­messen mit Karls­ruhe

von Robert Hotstegs, LL.M.

23.01.2016

CDU, SPD und Die Grünen wollen in NRW eine Sperrklausel von 2,5 Prozent für Kommunalwahlen ab 2020 einführen. Der Landtag sucht dabei die direkte Konfrontation mit dem BVerfG, meinen Robert Hotstegs und Jan Stock.

Mit einer vorprogrammierten, überwältigenden Mehrheit haben die Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90 / Die Grünen in NRW den Entwurf eines Kommunalvertretungsstärkungsgesetzes vorgelegt. Es soll eine Sperrklausel von 2,5 Prozent bei nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen einführen. Dazu soll nicht nur das Kommunalwahlgesetz geändert oder eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers geschaffen werden, sondern die Sperrklausel soll unmittelbar in die Landesverfassung.

Ein Taschenspielertrick, um das Landes- und das Bundesverfassungsgericht zu umgehen. Das Risiko, gegen Art. 28 Grundgesetz (GG) zu verstoßen, ist dem Landtag bekannt und bewusst. Er geht es ein, weil er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für falsch hält. Und weil er seine Möglichkeiten überschätzt, dem BVerfG den Boden dieser Rechtsprechung zu entziehen.

Dabei müssten die Abgeordneten eigentlich erkennen, dass sie spätestens seit der Expertenanhörung am gestrigen Donnerstag "bösgläubig" sind.

Verlorene Stimmen: Gleichheit der Wahl tangiert

Zwei Ausschüsse, jeweils sieben Stunden Anhörung und ein Landtag, der seine Autonomie gegenüber dem BVerfG behaupten möchte, das ist das Resultat der Sachverständigen-Anhörung in Düsseldorf. Dabei haben die Fachleute zu Recht deutlich gemacht, dass sich der Gesetzgeber, wenn er eine Sperrklausel einführen will, stets in einer Verteidigungsposition gegenüber den Verfassungsgerichten befindet.

Jede Sperrklausel berührt den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 31 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen niedergelegt ist. Denn eine solche Klausel hat zur direkten Folge, dass den Stimmen für Wahlbewerber, welche die Grenze nicht erreichen, kein Erfolgswert zukommt. Sie gehen quasi verloren. Das akzeptiert das BVerfG, wenn zwingende Gründe vorliegen. Der Wunsch nach einfach zu handhabenden Mehrheitsverhältnissen genügt nicht.

Will der Gesetzgeber dennoch von Sperrklauseln Gebrauch machen, kann er dies also nur, wenn er den Eingriff rechtfertigt. Anerkanntermaßen kann die Wahlrechtsgleichheit daher eingeschränkt werden, um die Funktionsfähigkeit von Räten und Kreistagen sicherzustellen.

Bei jeder Änderung an den Stellschrauben des Wahlrechts ist aber Vorsicht geboten und eine Begründung mitzuliefern. Schließlich bestimmt der Landtag in quasi eigenen Angelegenheiten. Je nach Partei und geplanter Änderung nutzt das neue Wahlrecht also vielleicht den Mitgliedern des Landtags selbst.

Wenn der Wähler nicht wählt, wie man's gern hätte…

So auch in Nordrhein-Westfalen. Die bisherige Gesetzesbegründung, zwei Gutachten der SPD-Fraktion und die von CDU, SPD und Grünen benannten Experten machten im Kern deutlich, dass die Sperrklausel in diesem Jahr vor allem dazu dienen soll, den Willen des Wählers zu korrigieren. Der macht nämlich nicht, was die Mitglieder des Landtags gern hätten, er wählt nicht etwa die etablierten großen Parteien und er sorgt auch nicht für stabile Mehrheiten hinter den Bürgermeistern.

Der Wähler orientiert sich seit vielen Jahren immer wieder um. Auf ihn ist kein Verlass. Er gibt vor Ort Parteien und Bündnissen, ja manchmal sogar Einzelkandidaten eine Chance auf ein Mandat, die man im fernen Düsseldorf nicht als politischen Mitbewerber ernst nimmt.

Das kann man beklagen. Man kann es aber auch für die natürliche Folge einer Demokratie halten.

Vielleicht wäre für die verfassungsändernde Mehrheit im Landtag sogar akzeptabel, dass Räte statt aus drei Fraktionen heutzutage gerne aus fünf bis sieben Gruppen bestehen. Vielleicht würde die Mehrheit auch Einzelkandidaten akzeptieren, wenn, ja wenn diese in Räten und Kreistagen nicht aus etablierter Sicht unangenehm auffallen würden. Sie beanspruchen nämlich finanzielle Mittel von der jeweiligen Kommune. Sie haben Antragsrechte im Rat und in den Ausschüssen.

Schließlich gibt es ganz unterschiedliche Wahrnehmungen von der konkreten Mitarbeit von Einzelmandatsträgern, Gruppen und kleinen Fraktionen. Während die einen in der Expertenanhörung beklagten, dass die "Kleinen" politisch unerfahren seien, kein Fachwissen einbrächten und kaum mitwirkten, gaben die kommunalen Spitzenverbände eine enorm erhöhte Arbeitsbelastung ihrer Mitglieder zu Protokoll. Anfragen an die Verwaltung seien zum Teil um bis zu 40 Prozent gestiegen, ebenso Anträge auf Akteneinsicht in Verwaltungsvorgänge.

Das ist lästig. Das macht Arbeit. Das bindet Personal und verschleißt mitunter sicherlich auch Nerven.

Aber es taugt nicht zur Begründung eines einfachen Sperrklausel-Gesetzes. Darin waren sich alle Experten und auch die Landtagsabgeordneten einig.

Zitiervorschlag

Robert Hotstegs, NRW plant Sperrklausel für Kommunalwahlen: Kräftemessen mit Karlsruhe . In: Legal Tribune Online, 23.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18245/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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