OLG Köln zum Werbeverbot für Medikamente: Phar­ma­riesen im Shit­s­torm machtlos?

von Maximilian Amos

19.01.2018

Arzneimittelhersteller dürfen viele Medikamente nicht öffentlich bewerben. Was aber, wenn Falschbehauptungen über ein Produkt verbreitet werden? Eine Entscheidung des OLG Köln zeigt, wie schwer sie dem beikommen können.

Wenn ein Unternehmen in der Öffentlichkeit Opfer von Verleumdungen oder Hetzkampagnen wird, steht es gerade aufgrund der Eigendynamik der sozialen Medien oft auf verlorenem Posten. Doch kann es normalerweise wenigstens mit einer Gegendarstellung dem Sturm der Kritik ein wenig entgegensetzen. Schwieriger ist das aber für Arzneimittelkonzerne, wie ein aktueller Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln zeigt (Urt. v. 12.01.2018, Az. 6 U 92/17).

Dort stritten Bayer und die MSD-Tochter Intervet darum, ob § 10 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) es einem Arzneimittelhersteller verbietet, mit einer Gegendarstellung öffentlich der Kritik an seinem Produkt zu begegnen. Die Norm sieht vor, dass verschreibungspflichtige Medikamente nicht außerhalb bestimmter Fachkreise (Ärzte, Apotheker, etc.) beworben werden dürfen.

Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber damit verhindern wollte, dass Verbraucher - animiert durch Werbung - Medikamente illegal besorgen und diese falsch anwenden könnten (BVerfG, Beschl. v. 30.04.2004, Az. BvR 2334/03).

RTL "Punkt 12" verbreitete Falschmeldungen

Im Streit vor dem OLG Köln ging es um Bravecto, ein Mittel zur Zecken- und Flohbekämpfung bei Hunden. Was harmlos klingt war aber der Ausgangspunkt für eine öffentliche Kritikwelle geworden, der sich Intervet plötzlich ausgesetzt sah. So wurden zunächst in sozialen Medien, speziell auf Facebook, Behauptungen laut, das Mittel könne schädlich für die behandelten Tiere sein, RTL berichtete gar in seiner Nachrichtensendung "Punkt 12" über die angeblichen Gefahren.

Es gründeten sich bald Facebook-Gruppen, in denen über die schädlichen Auswirkungen von Bravecto diskutiert wurde. Der RTL-Beitrag kursierte bald auf diversen Plattformen und wurde vielfach geteilt. Inzwischen zeigt sich unter dem Youtube-Link nur noch der Hinweis: "Dieser Inhalt ist aufgrund einer Verleumdungsbeschwerde in dieser Landes-Domain nicht verfügbar."

Das Mittel allerdings wies die beschriebenen Nebenwirkungen sämtlichen Studien zufolge überhaupt nicht auf. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlichte am 01.02.2017 eine Klarstellung auf seiner Website. Doch den sich verbreitenden Falschmeldungen ist so nur schwer beizukommen. Aus diesem Grund sah sich Intervet genötigt, etwas gegen die kursierenden Falschbehauptungen zu unternehmen. So ging man in die Gegenoffensive und veröffentlichte auf Facebook Posts, in denen man Bravecto als "wirksam", "zuverlässig" und "sicher" bezeichnete.

LG: Gegendarstellung war unerlaubte Werbung

Konkurrent Bayer wurde darauf aufmerksam und erwirkte schließlich vor dem Landgericht (LG) Köln eine einstweilige Verfügung und schließlich ein Urteil (Az. 84 O 72/17) gegen Intervet. Das Unternehmen musste daraufhin die Social-Media-Texte abändern und durfte darin nicht mehr auf Bravecto verweisen, beließ aber den Namen des Wirkstoffes und das MSD-Logo darin.

Das ging Bayer aber noch nicht weit genug, der Konzern hielt Intervets Gegendarstellung nach wie vor für unzulässige und zudem irreführende Werbung und erwirkte vor dem LG Köln erneut eine Verfügung, die jegliche Werbung für das Mittel und die Aussage, der Wirkstoff sei sicher und wirksam, untersagte. Die Einwände von Intervet, mit rechtlichen Schritten sei den vielfachen Verleumdungen im Netz nicht beizukommen, weshalb man öffentlich selbst aktiv werden müsse, fanden kein Gehör.

In der Berufung gegen dieses Urteil bestätigte nun das OLG die Entscheidung des LG insoweit, als dass die Aussage, der Wirkstoff sei wirksam und sicher, eine nach § 10 HWG verbotene Werbung darstelle. In den Entscheidungsgründen, die LTO vorliegen, sah sich das Gericht zunächst zu umfangreichen Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der Norm genötigt, in denen es diese gegen Einwände aufgrund der Art. 5 und 12 Grundgesetz (GG) verteidigte. Schließlich kam es zu dem Schluss, dass es sich auch bei dem Post, der dem Flohmittel die Attribute "sicher" und "wirksam" zuschrieb, immer noch um verbotene Werbung handele.

Bei konkretem Bezug auf Diffamierungen ist "Werbung" erlaubt

Er sei auch nicht  ausnahmsweise zulässig, um sich gegen die Falschbehauptungen im Netz zu verteidigen, da in der Kampagne kein Bezug zu den Negativaussagen hergestellt werde. Dafür, so die Richter, müsse schon deutlich werden, dass sich der Hersteller gegen eine solche Schmutzkampagne wende.

Doch ganz wollte man Unternehmen, die in der heutigen Zeit immer häufiger und immer schneller Opfer von sich rasant verbreitenden und kaum aufzuhaltenden Verleumdungen werden, die Hände nicht binden. So gestand das OLG zu, dass § 10 HWG im Einzelfall verfassungsgemäß durchaus so auszulegen sein könne, dass sich ein Unternehmen mit einer öffentlichen Darstellung seines Produkts gegen einen Shitstorm verteidigen dürfe.

So sah es das Kölner Gericht dann auch hinsichtlich des zweiten, zuvor erstinstanzlich untersagten Posts von Intervet: Dieser enthielt zwar auch Logo und Namen der Firma, versprach aber unter einem Link und dem Satz "Ist dieses verschreibungspflichtige Medikament sicher für meinen Hund?" sodann "Alle Fakten zum Floh- und Zeckenschutzmittel". Das reichte in den Augen der Richter aus, um einen hinreichend konkreten Bezug zu der Verleumdungskampagne im Internet herzustellen. Grund dafür sei vor allem die Wortwahl gewesen, die nun nur noch auf einen begrenzten Empfängerkreis abziele, nämlich derer, die von den kursierenden Falschaussagen gehört hätten.

Aus Sicht von Hogan-Lovells-Partnerin Dr. Tanja Eisenblätter, die MSD bzw. Intervet in dem Verfahren vertreten hat, hat das OLG Köln mit diesem Urteil "Rechtsgeschichte geschrieben". Für das betroffene Unternehmen sei es immens wichtig gewesen, den Gerüchten im Internet entgegenzutreten, sagt sie.*

 

* ergänzt am 19.01.2018, 12:20 Uhr (LTO-Redaktion)

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, OLG Köln zum Werbeverbot für Medikamente: Pharmariesen im Shitstorm machtlos? . In: Legal Tribune Online, 19.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26565/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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