Inhaber eines privaten WLAN-Anschlusses können auch dann haften, wenn jemand anderes illegal Musik und Filme herunterlädt. Gleichzeitig bieten immer mehr Cafés WLAN an und Städte bauen den Internetzugang auf öffentlichen Plätzen aus. Eine Haftung haben sie nicht zu befürchten, meinen Reto Mantz und Thomas Sassenberg. Trotzdem befürworten sie eine gesetzliche Klarstellung.
LTO: Sie befürworten möglichst viele offene WLAN-Zugänge auf öffentlichen Plätzen und Flughäfen, in Cafés und Hotels. Wieso?
Sassenberg: Die Zunahme von WLANs ist die Folge einer veränderten Nachfrage. Wir wollen überall kommunizieren. Die Mobilfunknetze können gleichzeitig das Datenvolumen aber derzeit noch nicht aufnehmen. Der WLAN-Nutzung kommt daher eine wesentliche Bedeutung zu. Ob das Angebot kostenpflichtig oder kostenlos erfolgt, etwa weil sich das Angebot für ein Café finanziell rechnet, das ist letztlich egal. Ein per se kostenloses WLAN fordern wir nicht.
LTO: In anderen Ländern sind offene WLAN-Zugänge viel verbreiteter. Warum hinkt Deutschland da hinterher?
Mantz: Grund dafür ist zum einen die Angst vor Pflichten nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG). Anbieter wissen nicht so genau, was sie da zu beachten haben. Zum anderen schreckt viele die öffentliche Debatte um die Haftung für Rechtsverletzungen Dritter ab.
LTO: Zunächst zur Haftung: In Deutschland gelten also strenger Regeln als in anderen Ländern?
Mantz: Ja, die zivilrechtliche Haftung ist ziemlich streng. Wir haben in Deutschland das Institut der Störerhaftung. Das kennen andere Länder in dieser Form nicht. Da die Störerhaftung Richterrecht ist, besteht eine große Unsicherheit darüber, wer nun am Ende tatsächlich wofür haftet. Die Rechtsprechung zu WLANs beruht ursprünglich auf einem Urteil des Landgerichts Hamburg von 2006 (Anm. der Red.: v. 26.07.2006, Az. 308 O 407/06). Danach sollen Inhaber von WLAN-Zugängen für Rechtsverletzungen haften, die über diesen Anschluss begangen werden. Die Rechtsprechung hat sich aber weiterentwickelt. Es gilt nach dem Bundesgerichtshof (BGH) zunächst die Vermutung, dass der Anschlussinhaber selbst der Täter ist. Er muss diese Vermutung erschüttern, indem er darlegt, dass die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass jemand anderes die Rechtsverletzung begangen haben könnte. Diese Rechtsprechung hat insgesamt für große Unsicherheit gesorgt.
"WLAN-Anbieter sind schon heute haftungsprivilegiert"
LTO: Dennoch bieten mittlerweile auch in Deutschland immer mehr Cafés, Hotels und Städte auf öffentlichen Plätzen offene WLANs an. Wie gehen sie mit den Haftungsrisiken um?
Mantz: Nach § 8 Telemediengesetz (TMG) sind Betreiber von Internetzugängen privilegiert, wenn es um die Haftung für Rechtsverletzungen geht, solange sie sich auf den neutralen Dienst der Bereitstellung des Internetzugangs beschränken. Diese Haftungsprivilegierung ist nach unserer Auffassung auch auf Anbieter offener WLANs anzuwenden. Das ist allgemeine Meinung in der Literatur. Die Rechtsprechung musste darüber bisher noch nicht entscheiden. Die Fälle, mit denen sich die Gerichte zu beschäftigen hatten, bezogen sich meist auf private, geschlossene WLAN-Zugänge. Sobald ein Privater allerdings ein offenes WLAN betreibt – also der Öffentlichkeit einen Zugang zum Internet gewährt – gilt die Haftungsprivilegierung auch für ihn.
LTO: Wenn man seinen privaten WLAN-Zugang grundsätzlich dem Zugriff Dritter verschließt und im Zweifel auch sichert, dann haftet man also für Rechtsverletzungen, die ein Mitbewohner oder Gast begangen hat, sofern man die Vermutung für die eigene Täterschaft nicht erschüttern kann. Wenn man sein WLAN aber für jeden öffnet, dann haftet man gar nicht mehr. Ist das nicht widersprüchlich?
Mantz: Haftungsprivilegiert ist man nur für das, was andere Nutzer tun, ohne dass man davon weiß. Für eigene Rechtsverletzungen haftet man hingegen immer. Wenn eine Privatperson ihr WLAN nur öffnet, um gefahrlos Rechtsverletzungen begehen zu können, um sich also hinter dem offenen WLAN zu verstecken, kann es durchaus passieren, dass die Gerichte doch eine persönliche Haftung annehmen. Wir denken aber generell eher an Cafés oder Initiativen wie Freifunk, die ihr WLAN als Dienst an der Öffentlichkeit anbieten.
Sassenberg: WLAN-Anbieter können zudem Auskunftspflichten haben. Wenn sie die Daten ihrer Nutzer speichern, dann müssen sie diese unter bestimmten Voraussetzungen auch herausgeben. In Cafés ist allerdings die anonyme Nutzung die Regel. Registrierungspflichten bestehen meist nur dann, wenn das WLAN nicht dauerhaft kostenlos angeboten wird oder der Anbieter die Daten anschließend für Werbung nutzen möchte.
Mantz: Es gibt keine gesetzliche Pflicht, die Daten der Nutzer zu speichern.
2/2: "Filesharing wird klassisch nicht in offenen WLANs betrieben"
LTO: Wenn die Haftungsprivilegierung tatsächlich schon heute für die Anbieter von WLAN-Zugängen gilt, braucht es dann überhaupt noch eine Gesetzesänderung, wie sie die Oppositionsparteien und die FDP im Wahlkampf gefordert haben und die später im Koalitionsvertrag vereinbart wurde?
Mantz: Eine gesetzliche Klarstellung wäre hilfreich, um Unsicherheiten zu beseitigen und den Ausbau von offenen WLANs zu fördern.
LTO: Aus der Perspektive der Rechteinhaber ist die Verbreitung offener WLANs keine so gute Entwicklung – je mehr offene WLANs es gibt, desto schwieriger wird es wohl werden, Rechteverletzer ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen. Kann und muss man dem entgegensteuern?
Mantz: Rechteverletzungen über offene WLANs sind bisher nicht in nennenswertem Umfang bekannt geworden. Außerdem geht der Gesetzgeber ausdrücklich von der Möglichkeit einer anonymen Nutzung des Internets aus. Gerade bei Privatanschlüssen werden Rechteverletzungen durch Abmahnungen auch aktiv verfolgt.
Sassenberg: Filesharing wird klassisch nicht in offenen WLANs betrieben. Da hat der Nutzer zu Hause an seinem DSL- oder Kabelanschluss eine deutlich höhere Bandbreite, die das Runterladen attraktiver macht. Offene WLANs sind in der Regel weniger attraktiv.
"TKG-Informationspflichten passen nicht auf WLAN-Anbieter"
LTO: Sie sagten vorhin, dass es neben der Frage der Haftung auch Verpflichtungen nach dem TKG zu beachten gäbe. Wovor haben WLAN-Anbieter da Angst?
Sassenberg: Hotels oder Cafés mit WLAN werden zum gewerblichen Anbieter von öffentlichen Telekommunikationsdiensten. Dies hat verschiedene regulatorische Pflichten zur Folge. Die Anbieter müssen sich etwa bei der Bundesnetzagentur melden und datenschutzrechtliche Spezialvorschriften berücksichtigen. Auch müssen sie zum Beispiel Regeln zur Aufbewahrungsdauer von Verkehrsdaten beachten. Außerdem muss ein Sicherheitsbeauftragter bestellt und ein Sicherheitskonzept aufgestellt werden, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Das WLAN ist nämlich durch technische und organisatorische Maßnahmen vor unberechtigten Zugriffen und Störungen abzusichern. Kurz, es bestehen ganz viele – im Ergebnis aber kleine – Verpflichtungen, die ein Café oder ein Hotel erst einmal überfordern können.
Zudem passen viele Pflichten nicht auf WLAN-Anbieter, wie beispielsweise die Informationspflichten bei Vertragsschluss gegenüber dem Kunden. Es ist aus unserer Sicht bei WLANs zum Beispiel in der Regel nicht sinnvoll, auf die "Dauer bis zur Bereitstellung des Anschlusses" hinzuweisen, da bei WLANs ein Anschluss nicht extra zur Verfügung gestellt wird.
Auf europäischer Ebene gibt es Bestrebungen, das mit der Verordnung über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents zu ändern. Bisher ist das nur ein Entwurf, der vorsieht, dass WLANs künftig im Hinblick auf die regulatorischen Pflichten privilegiert werden. Wer einen WLAN-Zugang nur "nebenbei" und nicht als eigentlichen Kern seiner Geschäftstätigkeit anbietet, würde danach nicht mehr als Telekommunikationsanbieter für die Öffentlichkeit gelten. Solche Anbieter müssten dann im Wesentlichen nur noch die bereichsspezifischen Datenschutzverpflichtungen einhalten.
LTO: Werden diese Regulierungsvorschriften denn in der Praxis eingehalten?
Sassenberg: Nein, die Regeln sind gerade kleineren Anbietern weitgehend unbekannt.
Mantz: Viele Kleinanbieter wenden sich außerdem an einen großen Telekommunikationsanbieter, der die Vorschriften kennt und sich um deren Einhaltung kümmert. Die Frage ist aber, ob das tatsächlich notwendig ist.
Sassenberg: Gerade bei größeren Hotel und Café-Ketten handelt es sich regelmäßig um Angebote größerer Provider. Kleine Cafés haben hingegen häufig eine selbst gebastelte Lösung und wissen von den Regelungen nichts.
LTO: Und ist das schlimm?
Mantz: Die regulatorischen Bestimmungen haben unterschiedliche Ziele. Die Meldung soll der Bundesnetzagentur insbesondere eine Überwachung des Markts ermöglichen. Das Sicherheitskonzept schützt einerseits im Interesse der Öffentlichkeit vor Störungen und andererseits die personenbezogenen Daten. Die Kundenschutzvorschriften sorgen für Transparenz gegenüber dem Kunden. Fernmeldegeheimnis und Datenschutz stellen den ordnungsgemäßen Umgang mit Bestands- und Verkehrsdaten sicher.
Die Regeln, die teilweise als Hemmschuh angesehen werden, sind daher sinnvoll und sollten von allen Telekommunikationsanbietern, auch von WLAN-Anbietern, beachtet werden. Insbesondere kann bei offenen und unverschlüsselten WLANs auf Fernmeldegeheimnis und Datenschutz nicht verzichtet werden. Lediglich die umfassenden Kundenschutzbestimmungen passen bei WLANs teilweise nicht. Generell alle Pflichten aus dem TKG als unnötig und überflüssig anzusehen, ginge aber zu weit.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. jur. Dipl.-Inf. Reto Mantz ist Richter beim Landgericht Frankfurt.
Dr. Thomas Sassenberg, LL.M. ist Rechtsanwalt bei KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Frankfurt und Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht.
Ihr gemeinsames Buch "WLAN und Recht – Aufbau und Betrieb von Internet-Hotspots" ist im Mai 2014 in erster Auflage im Erich Schmidt Verlag erschienen.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Dr. Reto Mantz und Dr. Thomas Sassenberg, LL.M., Offene WLANs: "Ein Dienst an der Öffentlichkeit" . In: Legal Tribune Online, 16.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11996/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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