Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen: Der Natio­nal­staat hat nicht viel zu sagen

2/2: Abschiebeverbote gelten auch bei Obergrenzen

Der vierte Haken: Ein erfolgloser Asylantrag nach einer Quotenüberschreitung bedeutet nicht, dass eine Person automatisch abgeschoben werden darf. Es müsste noch in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Abschiebung mit den Menschenrechten vereinbar ist. Deutsche und europäische Gerichte betonen seit Jahren, dass eine Abschiebung auch ohne Schutzstatus immer zu unterbleiben habe, wenn etwa eine konkrete Lebensgefahr drohe oder die Lebensverhältnisse unangemessen seien. So verbot das Bundesverfassungsgericht zuletzt mehrfach, Familien mit kleinen Kindern nach Italien zu überstellen, wenn dort die Unterbringung nicht gesichert war.

Solche Entscheidungen würden bei strikten Obergrenzen zunehmen. Es wäre eine Wiederkehr der Situation der neunziger Jahre: Damals gab es weder die großzügige Flüchtlingsanerkennung von heute noch den subsidiären Schutz bei Bürgerkriegen, sodass sehr viel mehr Asylanträge erfolglos blieben als heute. Dies führte aber nicht dazu, dass abgelehnten Asylbewerber in großer Zahl aus der Bundesrepublik ausreisten.

In vielen Fällen ordneten die Gerichte ein Abschiebeverbot an. Selbst wenn die Rückführung rechtlich möglich war, scheiterte diese häufig an der fehlenden Kooperation der Betroffenen und der Herkunftsstaaten sowie am Vollzugsunwillen der deutschen Behörden. Es wurde eine "Duldung" erteilt, die faktisch als Aufenthaltstitel zweiter Klasse diente, auch wenn sie formal nur die Aussetzung der Abschiebung bestätigte. Zu dieser Zeit hatten mehrere hunderttausend Personen einen solch prekären Aufenthaltsstatus.

Zwar ist der temporäre Abschiebungsschutz mit weniger Rechten verbunden als der Flüchtlingsstatus oder ein subsidiärer Schutz: Es gibt weniger Sozialleistungen, nur eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten und auch keinen Familiennachzug. Zwar wäre eine Höchstgrenze auch dann, wenn sie nicht konsequent umgesetzt werden könnte, ein Signal an die eigenen Bürger und in alle Welt, dass nicht jeder nach Deutschland oder Österreich kommen soll. All dies ändert jedoch nichts daran, dass feste Obergrenzen keine Ideallösung sind, zumal man Personen, die auf absehbare Zeit in Deutschland bleiben werden, eine vernünftige Integrationsperspektive geben sollte, die eine Duldung eben nicht bietet. 

Restriktive Asylpolitik ohne Begleitmaßnahmen wirkungslos

So ist erkennbar, dass feste Obergrenzen vor allem dann etwas bringen, wenn man zugleich sicherstellt, dass von Anfang an weniger Personen kommen, eine Ausreisepflicht in der Praxis auch vollzogen wird und die Gerichte weniger Gründe haben, menschenrechtliche Abschiebeverbote zu verhängen. All diese Ziele können weder Deutschland noch Österreich im Alleingang erreichen. Eine wirkungsvolle Grenzschutz- sowie Abschiebepolitik ist auf die Kooperation der Herkunfts- und Transitstaaten angewiesen.

Ohne solche Begleitmaßnahmen bringt eine restriktivere Asylpraxis mit einer festgelegten Obergrenze wenig. Dies wiederum ist nicht neu, sondern die Logik des Asylkompromisses des Jahres 1992, der nur deshalb funktionierte, weil man die Grundgesetzänderung durch ein ganzes Netz an internationalen Verträgen und praktischen Kooperationsformen ergänzte, die letztlich zum europäischen Asylsystem von heute führten. All diese Maßnahmen kann man auch isoliert verfolgen, ohne dass man feste Begrenzung der Flüchtlingszahl festlegt.

Es geht schlicht darum, das Dublin-System so zu reformieren, dass man Asylbewerber wieder auf andere EU-Staaten verweisen kann. Eine Rückführung nach Italien oder Griechenland werden die Gerichte aber nur dann erlauben, wenn die Aufnahme dort angemessen ist. Ähnliches gilt für die Türkei. Die zeigt, dass feste Obergrenzen mehr versprechen als sie halten können. Sie suggerieren, dass der Nationalstaat die Migration eigenständig steuern könnte. Dies ist jedoch eine Illusion: Ohne europäische Einbettung werden auch die Obergrenzen weitgehend wirkungslos bleiben.

Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).

Zitiervorschlag

Daniel Thym, Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen: Der Nationalstaat hat nicht viel zu sagen . In: Legal Tribune Online, 22.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18244/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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