EU will strengeres Medizinprodukterecht: Zu strikte Kontrollen schaden den Patienten

von Prof. Dr. Ulrich M. Gassner

27.05.2013

Die gerichtliche Aufarbeitung des Skandals um Billig-Brustimplantate läuft noch, während EU-Kommission und Parlament bereits an einer strengeren Regulierung arbeiten. Das Zauberwort heißt Zentralisierung. Nichts gegen mehr Sicherheit - aber diese Regulierungswut ist sowohl für die Industrie als auch die Patienten schlecht, meint Ulrich M. Gassner.

Ende Mai wird in Frankreich der erste Strafprozess um die mangelhaften Silikon-Brustimplantate enden. In Deutschland gehen die Zivilprozesse in die zweite Instanz. Derweil schlägt die EU-Kommission eine Reform des Medizinprodukterechts vor, um Patienten besser zu schützen. Die Berichterstatterin im EU-Parlament, Dagmar Roth-Behrendt, will sogar noch weiter gehen.

Schon der Verordnungsvorschlag der Kommission vom 26. September 2012 schießt über das Ziel hinaus. Was nun aber die parlamentarische Berichterstatterin vorschlägt, ist dazu geeignet, einem bewährten Zulassungssystem endgültig den Todesstoß zu versetzen.

Nichts gegen mehr Sicherheit für die Patienten und zusätzliche Kontrollen. Aber auch das rigideste Zulassungssystem kann nicht vor kriminellen Machenschaften schützen. Der Skandal um die fehlerhaften Silikon-Brustimplantate wäre auch in den USA möglich gewesen, obwohl dort sehr viel strengere Kontrollen herrschen als in der EU. Mit genügend krimineller Energie lässt sich jedes Zulassungsverfahren umgehen.

Nur mehr Kosten und Bürokratie

Roth-Behrendt schlägt vor, zwischen drei Marktzulassungsverfahren für drei Gruppen von Medizinprodukten zu unterscheiden: innovative und nicht-innovative Produkte mit hohem Risiko sowie sonstige, das heißt etwa Kontaktlinsenreiniger, Hörgeräte oder Gehhilfen.

Alle innovativen Produkte sollen einem zentralen Zulassungsverfahren unterliegen mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur als Genehmigungsbehörde. Nicht-innovative Produkte mit hohem Risiko sollen dezentral zugelassen werden. Der Rest unterfällt dem bisherigen Regelungsregime der CE-Kennzeichnung, bei dem die sogenannten Benannten Stellen, wie der TÜV Süd, eine zentrale Rolle beim Sicherheitscheck spielen.

Wie aber soll zwischen innovativen und nicht-innovativen Produkten unterschieden werden? Handhabbare Kriterien sind kaum vorstellbar. Zwar soll die Kommission einen entsprechenden Katalog entwickeln. Das kann sie aber nach Art. 290 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht autonom, sondern nur gemeinsam mit Rat und Parlament. Mit Kompromissen zwischen den beteiligten Organen ist daher zu rechnen, was der Rechtssicherheit abträglich sein dürfte.

Im Übrigen ist die vorgesehene Zentralisierung an sich prekär angesichts einer primär mittelständisch strukturierten Medizintechnik-Branche. Die Sachkunde einer heimischen Genehmigungsbehörde kann nicht mehr genutzt werden. Stattdessen haben es die Hersteller mit einer europäischen Behörde zu tun. Das bedeutet mehr Kosten und Bürokratie, ohne dass dies unbedingt mit mehr Sicherheit für die Patienten verbunden wäre.

Imperialismus des Arzneimittelrechts

Vorbild des Regulierungsvorschlags von Roth-Behrendt ist unverkennbar das EU-Zulassungsverfahren für Arzneimittel. Damit negiert sie die elementaren Unterschiede zwischen beiden Produktwelten. Im Gegensatz zu Arzneimitteln wirken Medizinprodukte in der Regel physisch, also etwa als Ersatz oder Unterstützung von Organen oder Körperteilen. Das zeigt sich etwa an dem Vorschlag, auch für Medizinprodukte randomisierte kontrollierte Studien vorzusehen, bei denen es sowohl eine Experimentalgruppe als auch eine Kontrollgruppe gibt und die Zuordnung der Probanden zu einer dieser Gruppen zufällig erfolgt, ohne dass Probanden oder Studienleiter hierüber informiert sind. Diese sind zwar Goldstandard bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln, kommen aber für die meisten Medizinprodukte schon aus praktischen Gründen nicht in Betracht, weil etwa statt einer Hüftendoprothese keine Pseudoprothese als Placebo eingesetzt werden kann.

Bisher gilt für die Kontrolle von Gesundheitsprodukten ein risikobasierter Ansatz. Das heißt, die Intensität der Marktzugangskontrolle orientiert sich strikt an dem mit dem Produkt einhergehenden Risiko. Kommission und Parlament verfolgen mit ihren Plänen nun aber eine ganz andere Richtung. Diese Entwicklung ist nicht nur mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit problematisch, sondern steht auch quer zu dem Umstand, dass die MedTech-Branche ein Drittel ihres Umsatzes mit Produkten erzielt, die jünger als drei Jahre sind.

Regulierung wird selbst zum Risiko

Hohe Zulassungshürden sind eine Innovationsbremse. Gerade kleine und mittlere Unternehmen werden den Zusatzaufwand scheuen und sich auf die Entwicklung von Medizinprodukten mit einem niedrigen Risikoprofil konzentrieren. Innovative Produkte werden später oder gar nicht mehr auf den Markt kommen.

Damit droht die Regulierung riskanter Produkte selbst zum Risiko zu werden. Das schadet Patienten genauso wie eine zu lasche Kontrolle. Das bisherige System der CE-Kennzeichnung sollte daher beibehalten werden.

Politik ist nach Max Weber "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." Noch bleibt Zeit für mehr Augenmaß. Die erste Lesung im Europaparlament ist am 19. November 2013.

Der Autor Prof. Dr. Ulrich M. Gassner ist Direktor der Forschungsstelle für Medizinprodukterecht an der Universität Augsburg und Dozent am Munich Intellectual Property Law Center.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, EU will strengeres Medizinprodukterecht: Zu strikte Kontrollen schaden den Patienten . In: Legal Tribune Online, 27.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8805/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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