Münchens OB Christian Ude im Interview: "Ich wollte mich nicht nur noch im Paragraphenwald aufhalten"

Interview mit Christian Ude

21.09.2012

Schon zum vierten Mal tagt der Deutsche Juristentag in München. Mit dem Oberbürgermeister Christian Ude, selbst Jurist, Journalist und Kabarettist, sprach LTO im Interview über seine Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung bei Großprojekten, die Vorteile der Politik gegenüber der Juristerei und Münchner Reize.

LTO: Sie selbst sind Jurist und waren jahrelang als Rechtsanwalt tätig. Was bedeutet es Ihnen, dass der Juristentag in diesem Jahr nun schon zum vierten Mal in München stattfindet?

Ude: Sehr viel natürlich.

LTO: Haben Sie schon einmal an einem Juristentag teilgenommen?

Ude: Nur als Grüß-Gott-Onkel.

LTO:  Im Referat für Öffentliches Recht wird dieses Jahr das Thema "Bürgerbeteiligung" diskutiert. Sie können zu diesem Thema sicherlich einiges beitragen: Sie selbst sind mit Großprojekten auch schon an Volksabstimmungen und Protesten aus der Bevölkerung gescheitert. Erst im vergangenen Juni wurde die dritte Startbahn am Münchner Flughafen, für die Sie sich eingesetzt haben, per Bürgerentscheid gestoppt. Hand auf’s Herz: Was halten Sie von der viel diskutierten direkten Demokratie vor allem im Umwelt- und Planungsrecht?

Ude: Im Ernst: Sehr viel! Deshalb habe ich ja auch dafür gekämpft, den kommunalen Bürgerentscheid in Bayern durchzusetzen. Man kann die Bevölkerung nicht sechs Jahre lang auf die Zuschauertribüne verbannen, sie muss die Chance haben, einzelne Entscheidungen an sich zu ziehen. Gerade bei kontroversen Themen, die eine Stadtgesellschaft dauerhaft spalten können, stiften Bürgerentscheide Rechtsfrieden.

Christian Ude (c) Edith von Welser-UdeDie Bevölkerung ist keineswegs pauschal gegen Großprojekte, wie nicht nur die endgültige Entscheidung über Stuttgart 21 beweist. In München hat die Bürgerschaft den Bau der Tunnels am Mittleren Ring (gegen unsere Stadtratsmehrheit) durchgesetzt und sowohl wichtige Wohnungsbauprojekte als auch den Bau des neuen Stadions im Sinne des Stadtrats und gegen Nachbarproteste unterstützt.

Bei der 3. Startbahn ging es um die Abwägung zwischen Wachstumschancen einerseits und Beeinträchtigungen von Nachbarn, Natur und Umwelt andererseits– wer sollte diese Abwägung mit größerer Legitimation vornehmen als die Bevölkerung selbst?

"Für die Olympia-Bewerbung 2022 schon zu Beginn Bürgerentscheide"

LTO: Ist es purer Populismus, mehr Bürgerbeteiligung bei Vorhaben zu fordern, die den Bürgern technisch und wissenschaftlich enorm viel Verständnis und Einarbeitung abverlangen? 

Ude: Erfordert die Beurteilung politischer Parteien und ihrer Einstellung zu sämtlichen Themen nicht auch viel "Verständnis und Einarbeitung"? Trotzdem wird hoffentlich niemand die Demokratie abschaffen wollen.

LTO: Auch die Münchner Bewerbung um die olympischen Winterspiele 2018 ist letztlich an Protesten aus der Bevölkerung gescheitert. Aber es gibt schon Überlegungen, 2022 erneut ins Rennen zu gehen. Wie wollen Sie diesmal sichergehen, dass Sie die Unterstützung der gesamten Bevölkerung haben?

Ude: Die Münchner Bewerbung ist keineswegs an Protesten gescheitert, sondern ausschließlich an der älteren und finanzstärkeren Bewerbung aus Südkorea. Die Bevölkerung war in München, in Bayern und im gesamten Bundesgebiet bei allen Umfragen mit rund 70 Prozent dafür, selbst im angeblichen "Widerstandsnest" Garmisch-Partenkirchen beim Bürgerentscheid mit 58 Prozent.

Da wir jetzt wissen, dass es im politischen Raum auch Widerstand gibt, würden wir diesmal bereits zu Beginn Bürgerentscheide herbeiführen. Positive Entscheide müssten dann auch von den Bewerbungsgegnern akzeptiert werden.

LTO: Völlig ohne die Bevölkerung, aber ebenfalls nicht unbedingt zur Zufriedenheit der bayerischen Landeshauptstadt wurde entschieden, dass das neue EU-Patentgericht seinen Sitz in Paris haben soll, München hat nur eine Nebenstelle bekommen. Konnten Sie die entscheidenden Stellen nicht vom Gerichtsstandort München überzeugen?

Ude: Ich habe mich zwar brieflich an alle Regierungschefs gewandt, aber in erster Linie waren hierfür die Bundes- und Landesregierung zuständig. Wie viele Gesichtspunkte in internationalen Organisationen bei einer Standortentscheidung eine Rolle spielen, müssen Sie doch wissen.

"Jura studiert, weil man damit angeblich 'alles machen kann'"

LTO: Der letzte Juristentag in München fand im Jahr 1990 statt. Es war das Jahr, in dem Sie Ihre Zulassung zurückgegeben haben. Schon vor Ihrer Anwaltstätigkeit waren Sie als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung tätig, seit 1993 sind Sie Oberbürgermeister Ihrer Heimatstadt. Noch heute schreiben Sie als Kolumnist und treten manchmal sogar als Kabarettist auf. War Ihnen die Juristerei zu langweilig?

Ude: Sie sagen es! Ich habe Jura studiert, weil man damit angeblich "alles machen kann", nicht etwa, weil ich mich nur noch im Paragraphenwald aufhalten wollte. Meine zwölf Anwaltsjahre mit dem Schwerpunkt Mietrecht und Familienrecht habe ich zwar sehr genossen, der Journalismus und die Politik sind aber schon abwechslungsreicher.

LTO: Hilft Ihr juristischer Hintergrund Ihnen heute bei Ihrer politischen Tätigkeit?

Ude: Selbstverständlich! Schon das Studium ist eine wichtige Denkschule, außerdem lernt man, sich in verschiedenen Verfahren zu bewegen und in verschiedene Rollen hineinzudenken. Vor allem fällt man nicht so leicht auf juristische Ratgeber herein, die ihre persönliche Meinung als herrschende Lehre verkaufen wollen.

LTO: Was wünschen Sie den Teilnehmern und Mitarbeitern des diesjährigen Juristentags?

Ude: Viel Glück, neue Einsichten und eine schöne Zeit in München.

LTO: Zu guter Letzt: Wo sollten diejenigen, die München noch nicht so gut kennen, abends ausgehen? Was muss man gesehen haben, wo können die Kolleginnen und Kollegen München kennenlernen, wie es typisch ist?

Ude: Vor allem muss man sich klar darüber sein, dass die Zeit eines Juristentages nicht ausreicht, um auch nur einen Bruchteil der Münchner Reize kennenzulernen. Also: Wiederkommen!

LTO: Herr Ude, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führten Dr. Claudia Kornmeier und Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Christian Ude, Münchens OB Christian Ude im Interview: "Ich wollte mich nicht nur noch im Paragraphenwald aufhalten" . In: Legal Tribune Online, 21.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7139/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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