Berufungsverfahren in Wuppertal: Schwerer Landfriedenssalafismus

von Dr. Philip von der Meden

20.10.2014

Ab Montag stehen in Wuppertal nach einer eskalierten Demonstration drei Salafisten vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen u.a. gefährliche Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch zur Last. Einem von ihnen aber nicht einmal eine Tathandlung. Das Strafrecht ist nicht das richtige Mittel für die Empörung über junge bärtige Männer, erinnert Philip von der Meden.

Die Angeklagten sind nicht unbedingt das, was die meisten Menschen als Sympathieträger bezeichnen würden. Ihre Glaubensgenossen des selbsternannten Islamischen Staats werden als dämonische Gespenster, die Unschuldigen die Köpfe abhacken, hinter ihnen stehen, wenn ihnen ab Montag der Prozess gemacht wird.  In der Berufungsinstanz wird ihnen vor dem Landgericht (LG) Wuppertal gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und schwerer Landfriedensbruchs zur Last gelegt.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Hasan K. (30), Akin Y. (29) und Michael W. (29) vor, für die Verletzung mehrerer Polizisten bei einer Demonstration in Solingen verantwortlich zu sein. Der Angeklagte Hasan K., auch bekannt als "Abu Ibrahim", rief zu einer Gegendemonstration auf, nachdem die rechtsextreme Partei "Pro NRW" eine Kundgebung unter dem Motto "Freiheit statt Islam" für den 1. Mai 2012 angekündigt hatte. Nach den Feststellungen der amtsgerichtlichen Urteile genehmigte die zuständige Behörde kurzfristig die Gegendemonstration der Salafisten. Die Lage eskalierte, als einige der Rechtsextremisten Plakate mit Karikaturen Mohammeds in die Höhe hielten, woraufhin zahlreiche Salafisten gegen Polizeisperren anrannten, die beide Demonstrationen trennten. Dabei verletzten einige der Teilnehmer mit mitgeführten Stangen Polizeibeamte.

Zu diesen Teilnehmern gehörten die drei Angeklagten nach den Feststellungen nicht. Die Angeklagten Hasan K. und Akin Y. sollen Schlagbewegungen ausgeführt haben, ohne dabei jemanden getroffen zu haben. Der Angeklagte Michael W. soll hingegen – darin erschöpft sich der gesamte Vorwurf – auf eine Polizeiabsperrung zugelaufen und auf diese gesprungen sein. Weitere Handlungen wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Michael W. nicht vor. Auch Feststellungen zu einem gemeinsamen Tatplan hat das in erster Instanz zuständige Amtsgericht (AG) Solingen nicht getroffen und den nicht vorbestraften Angeklagten Michael W. dennoch als Mittäter zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Gesinnungsstrafrecht ist ein Zeichen des Totalitarismus

Für einen studierten Strafjuristen ist die Erhebung der Anklage gegen Michael W. nur schwer nachzuvollziehen. Was bezweckt die Staatsanwaltschaft mit einer Anklage, die in der Sache nicht zu begründen, weil nach allen vertretenen und vertretbaren Auffassungen zur Mittäterschaft falsch ist? Soll – der  Verdacht liegt nahe – der salafistische Glaube als die Mittäterschaft begründendes Merkmal herhalten?

Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wuppertal teilt hierzu lediglich mit: "Die Staatsanwaltschaft ist an Recht und Gesetz gebunden." Das ist sicherlich richtig. Doch wie kann dann aus der Ausübung von Grundrechten – der Teilnahme an einer genehmigten Demonstration – ein strafbares Verhalten werden?

Strafrecht knüpft an Handlungen an, daran kommt auch die Staatsanwaltschaft nicht vorbei. Für mutmaßlich verquere Gedanken wenden Salafisten gelegentlich Gewalt an. Der freiheitliche Rechtsstaat verbietet seiner Strafjustiz, allein an die Phantasie oder religiöse Einstellung des Einzelnen strafrechtliche Sanktionen zu knüpfen. Gesinnungsstrafrecht ist ein Zeichen des Totalitarismus. Doch nicht nur bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal, sondern auch beim AG Solingen scheint sich diese Selbstverständlichkeit noch nicht herumgesprochen zu haben.

Ab Montag hat nun das LG Wuppertal die Gelegenheit, klarzustellen, dass sich eine freiheitliche Gesellschaft nicht mit den Mitteln des Strafrechts gegen Intoleranz und Dummheit, gegen moralische und religiöse Perversionen wehrt. "Der freiheitliche, säkularisierte Staat", schreibt Ernst-Wolfgang Böckenförde, "lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist."

Klima der Angst – auch an Gerichten

Man kann dieses Diktum als Leitsatz für den juristischen Umgang mit politischen Extremisten verstehen. In einer seiner Ausprägungen liegt in ihm das Bekenntnis zum Glauben an die Stärke und Durchsetzungskraft des Rechts. Das Recht kann seine autoritative Kraft nicht selbst durch Zwang sicherstellen. Es ist auf die Akzeptanz der Massen angewiesen, doch es verträgt – genau deshalb – auch die Angriffe einiger Intoleranter. Das heißt nicht, dass sich das (Straf-)Recht nicht schützend an die Seite derer stellen darf und muss, denen Gefahr durch politische Extremisten droht. Hilfe gegenüber Bedrohten und Verfolgten kann Rechtspflicht sein. Aber die moralische Empörung über die auch öffentlich bekundeten Ansichten junger bärtiger Männer rechtfertigt niemals die Mobilisierung strafrechtlicher Ressourcen.

Dies gilt auch und besonders in einem Klima der Angst, das mittlerweile in der sogenannten freien Welt herrscht. Diffuse Bedrohungsszenarien sind, wie das Urteil gegen Michael W. zeigt, geeignet, auch die sich gern rational und objektiv gebende Justiz schneller zu erschrecken als ihr gut tut.

Zwar kämpfen vermutlich auch in Deutschland radikale Salafisten für Gottesstaat und Scharia und vielleicht gehört sogar der ein oder andere der Solinger Demonstranten zu dieser Gruppe, die Freiheiten für sich in Anspruch nimmt, die sie eigentlich verachtet. Doch muss dieses widersprüchliche Verhalten niemandem Angst machen. Die Überzeugungskraft mittelalterlicher Interpretationen des Korans hält sich nach allem, was wir wissen, stark in Grenzen.  Der Salafismus mag eine gewisse Anziehungskraft auf Pubertierende und andere Haltlose auch in Deutschland ausüben. Aber er stellt gewiss keine Bedrohung dar, die deutsche Strafgerichte zum Verlust dogmatischer Contenance treiben sollte.

Der Autor Dr. Philip von der Meden ist Strafverteidiger bei Römermann Rechtsanwälte in Hamburg und unterrichtet Strafrecht an der Bucerius Law School.

Zitiervorschlag

Dr. Philip von der Meden, Berufungsverfahren in Wuppertal: Schwerer Landfriedenssalafismus . In: Legal Tribune Online, 20.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13530/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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