LG Hamburg verbietet Teile von "Schmähkritik": Der schwie­rige Fall Böh­m­er­mann

von Prof. Dr. Stefan Engels und Verena Haisch

10.02.2017

Weite Teile der "Schmähkritik" bleiben verboten. Stefan Engels und Verena Haisch erklären, warum das LG Hamburg anders entscheidet als die Staatsanwaltschaft und warum das Urteil Respekt verdient, auch wenn man es nicht teilen muss.

Das Landgericht (LG) Hamburg hat mit Urteil vom 10. Februar 2017 (Az. 324 O 402/16) weite Teile des in der Sendung "Neo Magazin Royale" verlesenen Gedichts "Schmähkritik" untersagt. Die Hamburger Richter bestätigten damit ihr bereits im Verfügungsverfahren ausgesprochenes Verbot. Obwohl bei der Abwägung sowohl die Meinungs- als auch die Kunstfreiheit zugunsten des Fernsehmoderators Jan Böhmermann berücksichtigt wurden, müsse Recep Tayyip Erdogan Beleidigungen oder Beschimpfungen nicht hinnehmen, mit denen ihm als inakzeptabel geltende sexuelle Verhaltensweisen unterstellt würden (Kinderpornos schauen), er mit österreichischen Sexualstraftätern auf eine Stufe gestellt (Fritzl und Priklopil) oder als unterhalb eines Schweins bzw. eines "Schweinefurzes" stehend beschrieben werde. Der Rest des Gedichts hingegen sei zulässig, so dass die Klage des türkischen Präsidenten Erdogan nur zum Teil erfolgreich war.

Es ging um das als "Schmähkritik“ betitelte Gedicht, das Böhmermann - mit türkischen Untertiteln -  in seiner Sendung Neo Magazin Royale als Reaktion darauf verlesen hatte, dass der Erdogan wegen eines Satirebeitrages im deutschen Fernsehen den deutschen Botschafter einbestellt hatte.

Das Gedicht soll zeigen, wo die Grenze zur Schmähung überschritten ist. Vordergründig will Böhmermann Erdogan nicht schmähen, sondern ein Beispiel dafür geben, was eine Schmähung wäre. Das war auch mehrfach Gegenstand von Einwürfen des Sidekick Ralf Kabelka.

Anders als im Strafrecht: in weiten Teilen rechtswidrig

Erdogan ist dennoch sowohl straf- als auch zivilrechtlich dagegen vorgegangen. Und während die zuständige Staatsanwaltschaft in Mainz ihr Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann mit der Begründung eingestellt hat, dass ihm der für eine Verurteilung erforderliche Vorsatz nicht mit der erforderlichen Sicherheit würde nachzuweisen sein, hat das LG Hamburg jedenfalls weite Teile des Gedichts jetzt auch im Hauptsacheverfahren für rechtswidrig erachtet.

Die Zivilrichter haben bei ihrer Entscheidung nicht nur den Wortlaut des Textes und den konkreten Sendungskontext  - in einem Satiremagazin -, sondern auch die Gesamtsituation berücksichtigt. Insbesondere den Umgang von Erdogan mit Kritikern und sein Verständnis als Staatsoberhaupt hat das Gericht bei seiner Entscheidung herangezogen.

Auch wenn das LG im Ergebnis offen lassen konnte, ob der Fernsehbeitrag der Kunstfreiheit unterfällt, hat es in der Abwägung deren Gewicht ebenso berücksichtigt wie das der Meinungsfreiheit. Trotzdem meint die Kammer, dass manche "Beleidigungen und Beschimpfungen" derart schwerwiegend seien, dass diese untersagt werden müssten. Dies gelte selbst, wenn man die Annahme zugrunde legte, dass die Zuschauer durchaus verstünden, dass den bis ins Absurde gesteigerten Zuschreibungen der Bezug zur Realität fehlt.

Es hat dafür das Gedicht trotz der künstlerischen Gesamtkonzeption aufgeteilt und die Passagen als zulässig herausgelöst, denen die erforderliche Schwere des Eingriffs fehlt. Dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat, tangiert die Kammer nicht. Im Strafverfahren komme es eben auf den - hier jedenfalls nicht nachzuweisenden – Vorsatz an, der im zivilrechtlichen Unterlassungsstreit ohne Bedeutung sei, da der Anspruch in die Zukunft gerichtet ist.

Eine Frage der Herangehensweise

Dem Hamburger Gericht ist zugute zu halten, dass es dem öffentlichen Druck standgehalten und seine klare Linie beibehalten hat. Mehr noch: Es versucht sehr wohl, bei der Entscheidung sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu berücksichtigen und zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen. Kritiker sollten sich also mit vorschnellen Urteilen zurückhalten.

Hier wurde nämlich Recht gesprochen im eigentlichen Sinne: auf der Grundlage geltenden Rechts in Kenntnis der Sachlage, unabhängig und objektiv. Wenn gleichwohl Fragen bleiben, sind diese einerseits dem Fall selbst geschuldet, der in seiner Zuspitzung besonders ist und das Zeug zum Klassiker hat.

Andererseits kommt zum Tragen, aus welcher Richtung, mit welchem grundsätzlichen Ansatz man den Fall prüft. Das Gericht jedenfalls neigt dazu, vom Persönlichkeitsrecht her kommend zu fragen, ob und inwieweit dessen - hier unstreitige - Beeinträchtigung gerechtfertigt ist.

Freiheitlich denkend müsste man dagegen fragen, ob und inwieweit eine Einschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit erforderlich ist - und im Zweifel für die Freiheit der Rede entscheiden, auch wenn man den Inhalt des Gedichtes nicht gutheißt. Wenn nämlich die Zuschauer den Inhalt des Gedichts nicht ernst nehmen, wenn gleichzeitig höchst relevante gesellschaftliche Fragen einschließlich der Reichweite der Meinungsfreiheit selbst zugespitzt auf den Punkt gebracht werden, wenn es also weiterhin um eine Auseinandersetzung in der Sache und nicht (nur) um die gezielte Herabsetzung der Person geht, dann müsste im Sinne der Meinungs- und Kunstfreiheit entschieden werden. Damit wäre jedoch die neue Frage aufgeworfen, ob die Länge des Gedichtes dafür noch erforderlich war, die das Landgericht mit seiner Grenzziehung nicht beantworten musste.

Ein schwieriger Fall mit ganz viel Potential.

Der Autor Prof. Dr. Stefan Engels ist Partner im Hamburger Büro der internationalen Anwaltskanzlei DLA Piper. Er ist – beratend und insbesondere forensisch – spezialisiert auf Gewerblichen Rechtsschutz (u.a. Urheber-, Werbe- und Wettbewerbsrecht), Presse- und Äußerungsrecht, Rundfunk- und Onlinerecht („Medienrecht”) sowie Datenschutz. Prof. Engels unterrichtet an der Universität Hamburg Presserecht sowie E-Commerce und Werberecht.

Die Autorin Verena Haisch ist Counsel und ebenfalls im Hamburger Büro von DLA Piper tätig. Sie ist auf die Beratung im Bereich des Presse- und Äußerungsrechts spezialisiert. Ihre Mandanten sind nationale und internationale Unternehmen der Medien- und Kommunikationsbranche.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Stefan Engels und Verena Haisch, LG Hamburg verbietet Teile von "Schmähkritik": Der schwierige Fall Böhmermann . In: Legal Tribune Online, 10.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22069/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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