Leitfaden zum Datenzugriff : Wir brauchen Fakten statt Zerrbilder

Dr. Wolfgang Bär

07.12.2011

Der "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" sorgte für einigen Wirbel, als er ein als vertraulich markiertes Arbeitspapier der Generalstaatsanwaltschaft München veröffentlichte. Ein Schreckgespenst über die "totale Erfassung" von Daten durch deutsche Ermittler? Keinesfalls, sondern der Leitfaden zeigt einfach nur die Rechtslage auf, kommentiert Wolfgang Bär.

Ende November stellte der "Arbeitskreis Vorratdatenspeicherung" auf seiner Webseite einen Beitrag mit dem Titel "Ermitteln statt speichern - Totale Erfassung unserer Verbindungen und Bewegungen verhindern" ein. Inhaltlich wird in voller Länge auf einen ausdrücklich mit "VS - nur für den Dienstgebrauch" eingestuften "Leitfaden zum Datenzugriff" der Generalstaatsanwaltschaft München mit Ergänzungen aus Baden-Württemberg verwiesen. Den Bayerischen Ermittlungsbehörden wird vorgeworfen, "dokumentierte Rechtsbrüche" zu begehen. Gleichzeitig wenden sich die Verfasser des Beitrags gegen die Forderung nach einer "ungezielte(n) Vorratsspeicherung des Kommunikationsverhaltens völlig Unverdächtiger", solange die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur gezielten Überwachung Tatverdächtiger nicht ausgeschöpft werden.

An dieser Stelle sollte kurz innegehalten und einige Dinger wieder zurück ins rechte Licht gerückt werden: Bei dem "Leitfaden zum Datenzugriff" der Generalstaatsanwaltschaft München handelt es sich um ein ausschließlich für Zwecke der internen Aus- und Fortbildung der Staatsanwälte auf Wunsch der Kollegen zusammengestelltes Skript. Die Idee dahinter war, dass vor allem die zur Verfügung stehenden Eingriffsbefugnisse nach der StPO im Bereich von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Zugriff auf verfahrensrelevante Daten aufgelistet werden. Kernstück des Leitfadens ist deshalb auch eine dreispaltige Tabelle mit Stichworten für den jeweiligen Eingriff, die durchzuführenden Maßnahmen und die dafür maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen. Daran schließen sich weitere Darstellungen der relevanten rechtlichen Grundlagen sowie im Rahmen eines Glossars "Definitionen und Begriffsbestimmungen" sowie Tipps für die Praxis an.

Die Form der angesprochenen Tabelle entspricht einer Kommentierung der bestehenden gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten, zumindest im Hinblick auf die Eingriffsmöglichkeiten, der Ermittlungsmaßnahmen sowie der rechtlichen Beurteilung. Der Leitfaden belegt damit aber gerade keinen "fahrlässigen Umgang der Ermittlungsbehörden mit verfügbaren Daten und einzuhaltenden Rechtsvorschriften". Das verdeutlicht insbesondere die letzte Spalte zu den gesetzlichen Grundlagen für die jeweiligen Maßnahmen: Hier stehen ausdrücklich nur Hinweise über die Rechtsprechung zu Einzelfragen sowie gesonderte rechtlich umstrittene Gesichtspunkte. Die Inhalte sind demnach keine Geheimnisse, denn sie finden sich auch in anderen fach-juristischen Büchern, Kommentaren zu den einzelnen Gesetzen und Fachbeiträgen.

Aus dem Zusammenhang gerissene Bruchstücke

Aber auch die im Leitfaden enthaltenen Tipps für die Praxis erklären nicht die Aufregung der "Datenschützer", denn hier, werden nur die bei einzelnen Zwangsmaßnahmen bestehenden technischen Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung entsprechender Anordnungen wiedergegeben. Den Staatsanwälten werden lediglich Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise gegeben. Hierbei orientieren sich die im Leitfaden aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten streng an dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen.

Sofern der Internet-Beitrag des "Arbeitskreises Vorratdatenspeicherung" einzelne Punkte konkret als "fragwürdig" bezeichnet, darf nicht verschwiegen werden, dass hier Darstellungen aus dem Zusammenhang gerissen und als negativ bewertet werden. Belege in dieser Form enthält der Leitfaden gerade nicht.

Doch auch in der Sache sind die einzelnen Vorwürfe nicht gerechtfertigt. Die Kritik etwa, dass eine Sicherung ausländischer Daten ohne Einschaltung der zuständigen Behörden erfolgen würde, ist nicht zu rechtfertigen. Vielmehr weist der Leitfaden ausdrücklich auf die bestehende Rechtslage und die dabei zu beachtenden Voraussetzungen hin. Soweit von Seiten der Telekommunikationsanbieter keine ausreichenden technischen Kapazitäten zur Überwachung der ausländischen Einzelgespräche zur Verfügung gestellt werden, kann den Ermittlungsbehörden nicht vorgeworfen werden "die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur gezielten Überwachung" nicht auszuschöpfen. Ebenso erlaubt die Gesetzeslage, in schriftlichen Auskunftsersuchen an Telekommunikationsanbieter die Mitarbeiter als Zeugen zu vernehmen. Der kritisierte Hinweis hierauf gibt also nur das bestehende Recht wieder. Auch die erhobene Unterstellung, Zeugen müssten bei einer Vernehmung "Daten mitteilen, die ihnen nie bekannt gewesen sind", kann dem Leitfaden gerade nicht entnommen werden.

Ohne Vorratsdaten ist Aufklärung oft schwierig

Letztlich kann die Forderung nach einem Verzicht auf eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung nicht nachvollziehbar begründet werden. Im Gegenteil haben gerade die Vorfälle um die rechtsextremistische Terroristengruppe in Thüringen gezeigt, wie wichtig bei der weiteren Aufklärung und Ermittlung der Täter ein Rückgriff auf Telefon- und Internetkontakte der Verdächtigen ist. Mit einer Vorratsdatenspeicherung wäre das Umfeld dieser Gruppe aller Voraussicht nach rasch einzukreisen gewesen.

Zudem belegen die Erfahrungen bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaften, wie schwierig die Verfahren, bei denen das Internet als Tatmittel eingesetzt wird, aufgeklärt werden können, nachdem die Möglichkeit der Vorratsdatenspeicherung weggefallen ist. Diese Option kann daher keinesfalls als nutzlos bezeichnet werden. Wie soll  man die fehlenden Aufklärungsmöglichkeiten dem Opfer einer über das Internet begangenen Straftat erklären? Was wäre, wenn von Konten illegal größere Geldbetrag abgebucht worden wären, weil eine Vielzahl von Kontodaten von einem Straftäter durch entsprechende Manipulationen erlangt wurden? Die Opfer bekämen vermutlich bei der Erstattung einer Strafanzeige die Antwort, dass eine Tataufklärung leider wegen fehlender Verkehrsdaten nicht möglich sei. Ist dies im Hinblick auf die rechtsstaatlichen Aufgaben der Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung hinnehmbar?

Vor allem aus dem Blickwinkel der Opfer von Straftaten wird deshalb deutlich, weshalb eine entsprechende gesetzliche Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung dringend benötigt wird. Da die Verkehrsdaten auch nur vom Provider gespeichert und nur auf entsprechende richterliche Anordnung an die Strafverfolgungsbehörden bei bestehendem Tatverdacht für ganz bestimmte Straftaten herausgegeben werden dürfen, besteht gerade nicht  - wie behauptet - ein Zugriff  auf "das Kommunikationsverhalten völlig Unverdächtiger."

Selbst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 2. März 2010 klargestellt, dass eine Speicherung von Telefon- und Internetdaten bei entsprechender rechtlicher Ausgestaltung mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Az. 1 BvR 256/08, 263/08  und 586/08). Im Übrigen ist die Bundesrepublik Deutschland auch europarechtlich zur Umsetzung der entsprechenden Richtlinie der Europäischen Union verpflichtet. Dies hat auch der frühere Präsident des BVerfG Papier in einem Interview gegenüber der "Welt" nochmals ausdrücklich bekräftigt. Im Interesse aller sollten wird daher bei diesem brisanten Thema keine Zerrbilder zeichnen, sondern uns an die Fakten halten.

Der Autor Dr. Wolfgang Bär ist Richter am Oberlandesgericht Bamberg.

 

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Zitiervorschlag

Dr. Wolfgang Bär, Leitfaden zum Datenzugriff : Wir brauchen Fakten statt Zerrbilder . In: Legal Tribune Online, 07.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4999/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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