Lagerung von Atomwaffen: Bomben in der Nachbarschaft verstoßen nicht gegen das Friedensgebot

von Dr. Jana Hertwig

21.07.2011

Erstmals lag einem Gericht die Frage vor, ob die Bundesregierung die angeblich in Deutschland verbliebenen US-Nuklearsprengköpfe entfernen und ihre Beteiligung an der Abschreckungsstrategie der NATO beenden muss. Trotz der juristischen Niederlage einer Apothekerin aus der Eifel sollten nun die sicherheitspolitischen Konzepte gründlich überdacht werden. Von Jana Hertwig.

Die Klägerin hatte behauptet, dass auf dem Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel noch bis zu zwanzig US-Atomwaffen lagern. Außerdem halte die Luftwaffe der Bundeswehr regelmäßig Übungen ab, um die Bomben nach der Freigabe durch den US-Präsidenten auch einzusetzen. Dies gehöre zur so genannten nuklearen Teilhabe, der politischen Abschreckungsstrategie der NATO.

Weil sie nur etwa 3,5 Kilometer von Büchel entfernt wohnt, sah sich die Frau nun der Gefahr terroristischer Anschläge ausgesetzt. Hierdurch sei sie selbst und individuell in ihren Rechten verletzt. Zur Begründung verwies die Klägerin insbesondere auf die Verletzung des in Art. 25 und 26 Grundgesetz (GG) geregelten Friedensgebotes.

Ohne Erfolg: Das Verwaltungsgericht (VG) Köln lehnte zum einen den Antrag ab, die Bundesrepublik dazu zu verpflichten, gegenüber den USA auf den Abzug der vermeintlichen US-Atomwaffen hinzuwirken. Zum anderen sah das Gericht keine Verpflichtung der Regierung, alle Handlungen einzustellen, die auf die Fortführung der so genannten nuklearen Teilhabe als politische Abschreckungsstrategie der NATO abzielen (Az.: 26 K 3869/10).

Völkerrechtliche Prinzipien im Grundgesetz gelten grundsätzlich nur für den Staat

Dabei verneinte das VG schon die Klagebefugnis: Es könne nicht festgestellt werden, dass die Frau möglicherweise durch einen Deutschland zurechenbaren Hoheitsakt in ihren Rechten verletzt ist. Die Einschätzung, auf welche Weise der Frieden gesichert und welche Folgen mit der Stationierung von Atomwaffen verbunden sind, sei allein Aufgabe der für Außen- und Verteidigungspolitik zuständigen Bundesorgane. Offensichtliche Willkür liege im konkreten Fall nicht vor, sodass sich auch insofern keine andere Rechtsauffassung ergebe. Zudem, so das Gericht, sei die von der Klägerin angegriffene Strategie der nuklearen Abschreckung völkerrechtlich zulässig.

Tatsächlich ist umstritten, ob ein Bürger aus Art. 25 Satz 2 und 26 GG ein individuelles Klagerecht gegen den Staat ableiten kann mit dem Ziel, den Staat zur Unterlassung einer rechtswidrigen Kriegsführung zu verpflichten. Beide verfassungsrechtlichen Normen sind Ausdruck des im Grundgesetz enthaltenen Friedensgebotes. Nach Art. 25 Satz 2 GG erzeugen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, wie zum Beispiel das völkerrechtliche Gewaltverbot, Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Art. 26 GG sieht insbesondere die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig an.

Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere im Hinblick auf Art. 25 GG in mehreren Urteilen entschieden, dass mit der Eingliederung der allgemeinen Völkerrechtsregeln in das Bundesrecht grundsätzlich kein Bedeutungszuwachs und kein Adressatenwechsel hin zum Individuum einhergeht. Individualrechte oder -pflichten werden nur insoweit begründet, als die betreffenden Regeln schon auf völkerrechtlicher Ebene ihrem Inhalt nach Einzelpersonen berechtigen oder verpflichten. Grundsätzlich dürften sie sich daher nicht ausschließlich an Staaten oder sonstige Völkerrechtssubjekte richten.

Gerade das ist beim völkerrechtlichen Friedensgebot - auch Gewaltverbot genannt - aber nicht der Fall. Es ist in Art. 2 Ziff. 4 Charta der Vereinten Nationen und im Völkergewohnheitsrecht anerkannt und gilt nur zwischen den Mitgliedsstaaten der Charta. Das Friedensgebot begründet damit weder Rechte noch Pflichten für Individuen – auch nicht für die klagende Nachbarin der möglicherweise in Büchel lagernden Atomwaffen.

Mehr Beteiligung Deutschlands in Beratungsgremien der NATO erforderlich

Das Urteil betrifft den sensibelsten Bereich deutscher Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bei Anfragen, ob und wenn ja, wie viele US-Atomwaffen in Deutschland lagern würden, verweist die Bundesregierung deshalb regelmäßig auf sicherheitspolitische Belange und nationale Geheimhaltungsinteressen. Dass die zwanzig US-Atomwaffen in Büchel lagern, kann deshalb auch nur vermutet werden.

Welche konkreten Konsequenzen hat die Entscheidung nun für die Bundesregierung? Sollte es tatsächlich zutreffen, dass in Büchel US-Atomwaffen lagern und Deutschland vor allem in die technische nukleare Teilhabe der NATO in Form von Übungen und Einsatz eingebunden ist, könnte dies einen Verstoß gegen Art. II Nichtverbreitungsvertrag (NVV) bedeuten.

Denn Art. II NVV verpflichtet jeden Nichtkernwaffenstaat, also auch Deutschland, von niemandem unmittelbar oder mittelbar solche Waffen oder die Verfügungsgewalt darüber anzunehmen. Würde die deutsche Luftwaffe im Ernstfall US-Atomwaffen mit an Bord nehmen, hätte sie genau diese unmittelbare Verfügungsgewalt erlangt. Die gleichen Erwägungen würde die USA betreffen, die als Kernwaffenstaat gem. Art. I NVV die entsprechende Pflicht trifft, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben.

Zumindest die technische nukleare Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO sollte die Bundesregierung deshalb noch einmal überdenken. Früher oder später könnte nämlich die Frage gestellt werden, warum die Bundeswehr überhaupt Übungen für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen durchführt. An der politischen nuklearen Teilhabe sollte die Bundesregierung dagegen festhalten, und zwar indem sie sich an Beratungen und Entscheidungen in den NATO-Gremien beteiligt. Auf diese Weise kann sie entscheidenden Einfluss auf das nukleare Konzept der NATO nehmen - und das ohne rechtlich zweifelhafte waffentechnische Unterstützung.

Dr. iur. Jana Hertwig, LL.M. (Eur. Integration) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der Ruhr-Universität Bochum. Sie hat zur europäischen Nichtverbreitungspolitik von atomaren, biologischen und chemischen Waffen promoviert.

 

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Zitiervorschlag

Dr. Jana Hertwig, Lagerung von Atomwaffen: Bomben in der Nachbarschaft verstoßen nicht gegen das Friedensgebot . In: Legal Tribune Online, 21.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3817/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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