Sigmar Gabriel will doch noch die Klimaschutzziele 2020 erreichen. Seinen Plan, teilweise aus der Kohleverstromung auszusteigen, halten viele Experten für europarechtswidrig. Dabei wäre selbst ein kompletter Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht nur verfassungsrechtlich mittelfristig möglich, sondern EU-wasserrechtlich sogar naheliegend, meint Felix Ekardt.
Das geplante Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung soll sicherstellen, dass bis 2020 - gemessen an 1990 - 40 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Zwar ist ein großer Teil der Reduktion durch die Industriezusammenbrüche nach der Wiedervereinigung und durch zunehmende Produktionsverlagerungen in Länder wie China – ohne dass dem Klimaschutz damit wirklich gedient wäre – bereits erreicht. Deutschland verzeichnet aber Wirtschaftswachstum, so dass zusätzliche Emissionen entstehen und das gesetzte Ziel dennoch nicht einfach zu erreichen ist.
Kohle für Strom und Wärme ist der Energieträger mit den höchsten Treibhausgasemissionen. Deshalb steht ihre weitere Nutzung nun politisch zur Disposition. Abgesehen von aktuell unsicheren politischen Mehrheiten für einen Kohleausstiegsplan ist auch rechtlich zu klären, ob man tatsächlich beispielsweise eine Reihe älterer Kohlekraftwerke abschalten dürfte. Dies könnte man wie beim Atomausstieg durch eine nachträgliche Befristung der Genehmigungen, aber auch durch strengere Grenzwerte für Treibhausgasemissionen oder Quecksilberemissionen versuchen. Letztere könnten zunächst ältere und dann eventuell alle Kraftwerkbetreiber schrittweise zur Abschaltung bewegen.
Aktuell am wahrscheinlichsten ist eine Lösung, bei denen den Kohlekraftwerksbetreibern – geringe – Quoten an Emissionsreduktionen pro Kraftwerk bis 2020 vorgegeben werden. Die Unternehmen dürfen dann selbst entscheiden, ob sie die Quote beim jeweiligen Kraftwerk erfüllen oder eine Umverteilung zwischen ihren Kraftwerken vornehmen. Obwohl der Plan lediglich zu einer geringfügigen Drosselung der Kraftwerke führen dürfte, wirft auch dies verfassungs- und europarechtliche Fragen auf.
EU-Emissionshandel und Eigentumsgarantie
Wäre beispielsweise ein Kohleausstieg über nachträglich eingeführte Treibhausgasgrenzwerte für Kohlekraftwerke mit dem Recht des EU-Emissionshandels (ETS) vereinbar? Schließlich nehmen Kohlekraftwerke am ETS teil, welcher die zulässigen Emissionsmengen reguliert.
Dennoch hat die EU-Kommission zum Beispiel in Großbritannien nationale Maßnahmen akzeptiert, die zusätzlich zum ETS klimaschutzbezogene Anforderungen an emittierende Anlagen stellen. Ginge man den Weg über nachträgliche Befristungen der Kraftwerksgenehmigungen, würde dieses Problem sich nicht stellen. Sehr wohl aber, wenn – wie aktuell geplant – den Kraftwerken über den ETS hinaus Emissionsbudgets zugewiesen werden.
Relativ klar beantwortbar erscheint eine andere Frage. Ob nachträglich festgesetzte Treib-hausgrenzwerte, Budgets oder nachträgliche Befristungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Kohlekraftwerke: Ein Ausstieg aus der Kohle wäre, besonders wenn er schrittweise erfolgen würde wie der Atomausstieg, auch verhältnismäßig und mit der Eigen-tumsgarantie aus Art. 14 Grundgesetz (GG) vereinbar.
Vertrauensschutz und die Lernfähigkeit des Rechts
Solche Maßnahmen stellen eine verfassungsgemäße Inhaltsbestimmung des Eigentums dar. Weder nachträgliche Treibhausgasgrenzwerte noch ebensolche Befristungen von Genehmi-gungen oder Budgets würden - wie bei einer Enteignung - auf einzelne Eigentumsgegenstände zugreifen. In allen drei Fällen würde vielmehr eine allgemeine Regelung getroffen. Problematisch könnte allenfalls das Vertrauen der Betreiber in den Fortbestand der derzeit gültigen Regelungen sein.
Der Vertrauensschutzgedanke verbietet es allerdings nur, einmal getroffene Regelungen später willkürlich abzuändern, da grundrechtliche Freiheit eine gewisse Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen benötigt.
Ebenso aber wie der Vertrauensschutz Ausfluss der Grundrechte ist, ist auch die Lernfähigkeit des Rechts notwendigerweise in einer Grundrechtsordnung mitgedacht. Denn hinter den Grundrechten steht seit der Aufklärung die Vorstellung von Vernunft und damit konstant wachsender Erkenntnis. Dies erlaubt zumindest einen schrittweisen Kohleausstieg mit Übergangsfristen, egal ob explizit als Ausstieg oder über neue Grenzwerte und Budgets.
Der Preis ist zu hoch: Klimaschäden und hohe gesellschaftliche Kosten
Ferner müssen Fragen nach Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz wachsende Kenntnisse über den globalen Klimawandel und dahinterstehend das Grundrecht auf Leben und Gesundheit berücksichtigen.
Außerdem steht gerade die Braunkohle gesamtwirtschaftlich zunehmend in Frage, weil ihre gesellschaftlichen Gesamtkosten in puncto Klimaschäden, Grundwasser- und Landschafts-schäden höher sind als ihr wirtschaftlicher Nutzen. Das hat nicht zuletzt der EU-Subventionsbericht jüngst gezeigt. Auch für die Versorgungssicherheit ist Kohle zunehmend entbehrlich, da Deutschland schon heute weit mehr Strom erzeugt, als es verbraucht.
Schließlich ist in die Abwägung schutzmindernd einzubeziehen, dass die großen deutschen Energiekonzerne mit dem Staat vielfach historisch verflochten sind, der Gewinnung elektri-scher Energie durch die Verbrennung von Kohle jahrzehntelang gefördert hat. Das betrifft sowohl die Subventionen der Kohleverstromung wie Kohlepfennig und ermäßigte Förderabgaben als auch die indirekten Förderungen. Letztere bestehen darin, dass die Kohlenutzung hohe gesellschaftliche Kosten hinterlässt, die faktisch der Steuerzahler übernimmt. Beispiele sind die erwartbaren Schäden des von der Kohle forcierten Klimawandels, aber auch Folgen etwa von Braunkohletagebauen zum Beispiel für das Grundwasser, die Böden und die Ökosysteme.
Vom Wasserrecht sogar geboten: Quecksilbergrenzwerte
Diskutiert werden auch Quecksilbergrenzwerte für Kohlekraftwerke. Denn die Kohleverstro-mung gerät aufgrund ihrer hohen und technisch bisher nicht voll zu beseitigenden Quecksilberemissionen in Konflikt mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL).
Diese enthält ein strenges Verbesserungsgebot und Verschlechterungsverbot. Innerhalb bestimmter Zeithorizonte müssen Gewässer in diesem Sinne besser bewirtschaftet werden, zusätzlich sieht die Richtlinie spezifische Vorgaben und Grenzwerte für Stoffe vor, von denen ein besonders hohes Umweltrisiko ausgeht. Den Ausstoß solcher prioritär gefährlichen Stoffe, zu denen auch das Quecksilber gehört, müssen die Emittenten nach Art. 4 Abs. 1a bis zum Jahr 2015 "beenden oder schrittweise einzustellen".
Die Quecksilberbelastung in den Gewässern selbst, also unabhängig von der genannten Regelung für Emittenten wie Kohlekraftwerke, muss auch unter Berücksichtigung bereits vorhandener Verunreinigungen massiv verbessert werden. Nach der Vorgabe des Art. 16 Abs. 1, 2, 6 WRRL, der EU-Entscheidung Nr. 2455/2001/EG und der EU-Umweltqualitätsnormen-Tochterrichtlinie muss zum Jahr 2028 die Quecksilberbelastung auf null gebracht werden.
All diese Regelungen rechtfertigen nachträgliche Quecksilbergrenzwerte für Kohlekraftwerke nicht nur. Sie lassen sie angesichts der heutigen Gewässerbelastung sogar geboten erscheinen. Können Kohlekraftwerke unter Beachtung solcher Grenzwerte nicht betrieben werden, steht ihr weiterer Betrieb in Frage – und zwar umso mehr, je älter und emissionsintensiver das Kraftwerk ist.
Gegen die Pfadabhängigkeit: Keine neuen Genehmigungen mehr
Von vornherein rechtlich unproblematisch wäre es trotz des Eingriffs in die Berufsfreiheit, keine neuen Genehmigungen für Kohlekraftwerke mehr zu erlauben. Schon eine solche Regelung würde Pfadabhängigkeiten in Richtung Kohlenutzung beseitigen helfen, weil sie verhindern würde, dass immer neue Kraftwerke und Tagebaue entstehen und damit ein Sachzwang ("Pfad") in Richtung weiterer Kohlenutzung entsteht.
Zwar können durch den ETS Emissionen, die in deutschen Kohlekraftwerken wegfallen, zumindest teilweise in andere Sektoren oder andere Länder verschoben werden, statt einfach fortzufallen. Die Pfadabhängigkeit aber würden weniger Kohlekraftwerke dennoch beseitigen.
Eine Begrenzung oder auch Rückführung der Anzahl an deutschen Kohlekraftwerken wäre deshalb nicht etwa umweltpolitisch sinnlos und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes ungeeignet für den Klimaschutz. Speziell der Weg über Quecksilbergrenzwerte erscheint sogar europarechtlich geboten.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., ist Jurist, Philosoph und Soziologe an der Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Er ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und internationales Energie-, Klimaschutz-, Landnutzungs- und Verfassungsrecht sowie transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.
Felix Ekardt, Klimaschutz-Pläne für Kohlekraftwerke: Sogar ein Komplettausstieg wäre möglich . In: Legal Tribune Online, 25.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13912/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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