Kastration Strafgefangener: Zur Heilung eines abnormen Geschlechtstriebs

von Dr. Ulrike Golbs

05.08.2014

Der Europarat stört sich daran, dass Strafgefangene in Deutschland kastriert werden können. Grundsätzlich eine schwere Körperverletzung, ist der Eingriff nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt. Bei Inhaftierten ist aber schon die Freiwilligkeit der Einwilligung schwierig, wenn eine Kastration zur vorzeitigen Entlassung führen kann. Trotzdem sollte die Möglichkeit erhalten bleiben, meint Ulrike Golbs.

In Deutschland dürfen sich Strafgefangene unter strengen Voraussetzungen kastrieren lassen. Das Anti-Folter-Komitee des Europarates hält das für eine "menschenunwürdige körperliche Verstümmelung" und fordert eine Änderung des Kastrationsgesetzes (KastrG) von 1969. Die Bundesregierung verspricht nun eine "multidisziplinäre Debatte" unter Beteiligung des Ethikrats wie Die Welt berichtete.

Das Anti-Folter-Komitee hat für seinen Bericht die Justizvollzugsanstalten in Frankfurt, Diez (Rheinland-Pfalz), Freiburg und die Sozialtherapeutische Anstalt in Hohensperg (Baden-Württemberg) aufgesucht sowie den Kontakt zum Bundesjustizministerium aufgenommen. Die Untersuchung dauerte wenige Monate. Während zwischen 1970 und 1980 deutschlandweit noch ca. 430 Häftlinge kastriert wurden, gab es im Untersuchungszeitraum (2000 bis 2013) lediglich 29 Anträge, wovon 11 bewilligt wurden. Die Behandlungsmethode ist also stark im Rückgang begriffen.

Nur zulässig gegen die Auswirkung eines abnormen Geschlechtstriebes

Bevor man eine Änderung des KastrG diskutiert, sollte man einen Blick auf den Zweck des Gesetzes werfen. Eine Kastration ist grundsätzlich als schwere Körperverletzung strafbar nach §§ 223, 226 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Aufgrund der Schwere und Nachhaltigkeit einer Kastration kann in diese nicht ohne weiteres eingewilligt werden wie in andere medizinische Heileingriffe. Das KastrG regelt die besonderen Voraussetzungen, unter denen ein solcher Eingriff gerechtfertigt ist.

Dabei geht es allerdings nur um die Kastration von Männern, die gegen die Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes gerichtet ist und durch welche die Keimdrüsen entfernt oder dauernd funktionsunfähig gemacht werden, § 1 KastrG.

Abnorm ist der unbedingte Wille zur sexuellen Befriedigung, wenn er von dem eines Durchschnittsmenschen abweicht, also ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand ist, der eine Heilbehandlung notwendig macht. Der Geschlechtstrieb muss intensiver und stärker als üblich ausgeprägt sein, wobei sich das Merkmal der Stärke an der Fähigkeit des Betroffenen orientiert, seinen Trieb zu steuern, oder an einer suchthaften Verfallenheit.

Freiwillige Einwilligung bei Strafgefangenen möglich?

Erlaubt ist eine Kastration nur, wenn der Betroffene eingewilligt und das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat. Die Behandlung muss außerdem nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um schwerwiegende Krankheiten, seelische Störungen oder Leiden, die mit dem abnormen Geschlechtstrieb zusammenhängen, zu verhüten, zu heilen oder zu lindern. Die Kastration darf außerdem keine körperlichen oder seelischen Nachteile zur Folge haben, die zu dem mit der Behandlung angestrebten Erfolg außer Verhältnis stehen. Zustimmen muss außerdem ein Gutachterausschusses.

Die Einwilligung ist außerdem nur dann wirksam, wenn sie freiwillig erfolgt und der Betroffene vorher über Grund, Bedeutung und Nachwirkungen der Kastration, über andere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten sowie über sonstige Umstände aufgeklärt worden ist, denen er erkennbar eine Bedeutung für die Einwilligung beimisst.

Die Freiwilligkeit der Einwilligung ist  bei Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten problematisch, da sie sich durch die Kastration eine Strafvergünstigung oder gar eine Freilassung erhoffen können.

Hat eine Kastration aber nicht die Behebung des abnormen Geschlechtstriebes und seiner Folgen zum Ziel, ist der Eingriff strafrechtlich von vornherein nicht zu rechtfertigen und bleibt als schwere Körperverletzung strafbar – egal ob der Mann eingewilligt hat oder nicht.

Der schwerwiegende Entschluss zur Kastration muss ohne andere Zielrichtungen erfolgen. Er darf gegenüber dem Betroffenen nicht von anderen Zusagen oder Aussichten abhängig gemacht werden, die ihn in einen Entscheidungskonflikt bringen: keine Freiheit ohne Kastration? Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten muss bei ihren Leiden beigestanden werden, unabhängig davon wer sie sind.

Abschaffung der Kastration für Strafgefangene wäre Ungleichbehandlung

Auch im Gefängnis ist die Entschlussfreiheit aber nicht per se aufgehoben. Willigt jemand in eine Kastration ein, auch um weitere Unterbringungen zu vermeiden, führt dies nicht automatisch zur Unzulässigkeit der Einwilligung, wenn er gleichzeitig ernsthaft seinen Sexualtrieb und die sich für ihn daraus ergebenden krankhaften Folgen und seelischen Belastungen erkennt und ernsthaft deren Beseitigung wünscht. Der Betroffene hat immer zwischen beiden Übeln, dem der Unterbringung und dem seines krankhaften Triebes zu entscheiden.

Häftlingen darf jedoch für eine Kastration kein direkter Vorteil versprochen werden, etwa eine Strafmilderung oder Entlassung aus der Sicherungsverwahrung, da die Einwilligung in den Eingriff dann möglicherweise vorschnell ohne eingehende Überlegung der Kastration und ihrer Folgen getroffen werden könnte. Die Freiwilligkeit ist dann eingeschränkt, wenn nicht sogar gar nicht vorhanden. Unfreiwillig ist eine Einwilligung, wenn eine Zwangslage herbeigeführt wird, um die Einwilligung zu erlangen. Allein eine Inhaftierung oder eine sonstige Unterbringung ist allerdings noch keine Zwangslage, die eine freiwillige Einwilligung unmöglich macht, da ausschließlicher Zweck der Unterbringung die präventive Strafe und Maßregelung ist.

Das deutsche Gesetz sollte so belassen werden, wie es ist. Eine Kastration bleibt danach als schwere Körperverletzung strafbar, wenn die hohen Voraussetzungen des KastrG nicht erfüllt sind.

Würde man der Empfehlung des Anti-Folter-Komitees folgen, würde dies zu einer Ungleichbehandlung zwischen Strafgefangenen und nicht-untergebrachten Personen mit derselben medizinischen Indikation führen, da der Europarat eine Abschaffung der Kastration nur für Strafgefangene fordert. Das aber wäre ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) sowie den Gleichheitssatz des Art. 1 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte der UN.

Die Autorin Dr. Ulrike Golbs ist Rechtsanwältin und Verfasserin eines Kommentars zum Kastrationsgesetz.

Zitiervorschlag

Dr. Ulrike Golbs, Kastration Strafgefangener: Zur Heilung eines abnormen Geschlechtstriebs . In: Legal Tribune Online, 05.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12791/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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