KG Berlin entscheidet über Graffiti-Film-Verbot: Der letzte Dokumentarfilm

von Christopher Hauss

22.10.2012

Im Mai haben die Berliner Verkehrsbetriebe eine Dokumentation über die Berliner Sprayer-Szene verbieten lassen. Kurz vor der Berufungsverhandlung wenden sich die Macher des Films nun mit einem Brief an die Öffentlichkeit. Wenn das Urteil gegen sie bestätigt wird, wäre es das Ende des kritischen Dokumentarfilms, befürchten sie. Und könnten damit sogar Recht haben, meint Christopher Hauss.

Die Filmproduzenten Henrik Regel und Björn Birg haben gerade eigentlich anderes zu tun. Auch wenn es sie schmerzt, dass sie ihren Film "Unlike U" nach dem Verbotsurteil des Berliner Landgerichts nicht mehr vertreiben dürfen, stecken sie längst bis über beide Ohren im nächsten Projekt. "Uns geht es nicht mehr um unseren alten Film. Für einen ordentlichen Vertrieb ist der Zug sowieso schon längst abgefahren", sagt Regel und stellt schnell zwei Telefone lautlos, weil die sonst ununterbrochen klingeln würden.

"Was uns ärgert ist, dass missliebige Dokumentationen künftig ziemlich problemlos verboten werden können. Wenn das Urteil so bestehen bleibt, gefährdet das mehr als nur ein paar Filmemacher. Hier wird auch Journalisten ein wichtiges Instrument aus der Hand geschlagen, um gesellschaftliche Grauzonen auszuleuchten. Das betrifft Foto und Film, Print und TV gleichermaßen." Deshalb haben sie einen Brandbrief an alle Landesmedienanstalten und die großen Filmverbände geschrieben, in dem sie auf die möglichen Folgen des Urteils aufmerksam machen.

Dokumentarfilmer als Postkartenfotografen

Das Urteil des Landesgerichts setzt der Meinungs- und Pressefreiheit tatsächlich sehr klare Grenzen. Laut Begründung müssen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Nutzung von Filmaufnahmen dann nicht dulden, wenn diese erstens ohne Genehmigung und zweitens auf ihren Grundstücken gemacht wurden (Urt. v. 10.05.2012, Az. 16 O 199/11). Eine Abwägung zwischen Eigentumsrechten und Pressefreiheit findet nicht statt. Genau das macht die Entscheidung in den Augen der Regisseure so brisant. Regel befürchtet: "Das Bildrecht am Eigentum könnte zum Maulkorb für jede Form der kritischen Bildberichterstattung werden."

Vorbild für die Berliner Kammer ist der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall "Preußische Schlösser und Gärten" (BGH, Urteil vom17.12.2010, Az. V ZR 44/10), auf den sich Richterin Christiane Klinger explizit bezieht. Damals wehrte sich die Stiftung "Preußische Schlösser und Gärten" dagegen, dass fremde Fotografen beispielsweise Motive des Schlosses Sanssouci als Postkarten verkaufen. Der BGH gab ihnen Recht. Die kommerzielle Nutzung sollte allein der Stiftung vorbehalten bleiben.

Produzent Regel hält diese Gleichsetzung von Dokumentarfilmen und Postkartenfotografie für Unsinn: "Es ist doch nicht so, dass wir die pittoresken Betriebsbahnhöfe der BVG darstellen wollten. Unser Thema ist das Trainwriting. Da sind die Bahnhöfe Kulisse, mehr nicht."

BVG mit kompromissloser Haltung

Die BVG hat jedoch kein Interesse daran, dem Trainwriting ein Forum zu bieten. Auch zu einer Stellungnahme war das Unternehmen nicht bereit.

Das wäre verständlich, würde der Film die Grafittikultur verherrlichen. Allein im Jahr 2010 musste das Unternehmen 6,4 Millionen Euro ausgeben, um Züge und Bahnhöfe von Farbe zu befreien. Das ist viel Geld, das letztlich auch die Fahrkarten teurer macht. Doch der Film selbst gibt kaum Anlass für ein kompromissloses Vorgehen.

"Unlike U" ist nicht besonders aufregend, gegen Ende sogar fast belehrend. Dann nämlich steht das Schicksal von Sprayer Stefan alias RUZD im Zentrum, der sich derart im Graffiti-Lebensstil verloren hat, dass er Selbstmord begeht. Sprayen ist für eine Weile erfüllend, führt aber letztlich in eine Sackgasse. Keine sehr ermutigende Botschaft.

Anwalt kritisiert "steinzeitliche Verhandlungsführung"

Darüber hinaus waren Regel und Birg zu Kompromissen bereit. Mehrfach sei man auf die Verantwortlichen zugegangen, so die Regisseure. Man wollte die BVG im Film als Geschädigte zu Wort kommen lassen oder bestimmte Szenen verändern. Regel und Birg hatten sogar angeboten, einen Imagefilm für die BVG zu drehen, um auf die Gefahren des Sprayens aufmerksam zu machen. "Mehr Glaubwürdigkeit als jede BVG-Eigenproduktion hätte das gehabt. Aber die PR-Abteilung lehnt ein Treffen mit uns ab", erzählt Regel.

Diese Haltung ist auch für die Anwälte der Filmemacher außergewöhnlich. "So wie sich die BVG verhält, das habe ich als Anwalt noch nicht erlebt. Normalerweise spricht man miteinander und versucht eine gerichtliche  Auseinandersetzung wenn möglich zu vermeiden. Die BVG wollte aber nur  eines: den Film verbieten. Das ist Verhandlungsführung aus der Steinzeit", so Andreas Schumacher von Spieß Schumacher Schmieg & Partner.

Wenn der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Berliner Kammergerichts, Ralf Neuhaus, am kommenden Donnerstag verhandelt, hat er deshalb gleich mehrere Baustellen. Er muss nicht nur klären, wie weit das Eigentumsrecht die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken darf. Sondern auch, ob er die Mauertaktik der BVG dadurch belohnt, dass er das Urteil des Landgerichts bestätigt und "Unlike U" verboten bleibt. In der Vergangenheit hat Neuhaus schon oft Fingerspitzengefühl bewiesen, wenn es darum ging, verschiedene Interessen gegeneinander abzuwägen. Das könnte Regel, Birg und dem Dokumentarfilm als solches durchaus nützen.

Der Autor Christopher Hauss ist Jurist und Berater für strategische und politische Kommunikation in Berlin.

Zitiervorschlag

Christopher Hauss, KG Berlin entscheidet über Graffiti-Film-Verbot: Der letzte Dokumentarfilm . In: Legal Tribune Online, 22.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7358/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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