Islamkritik: "Das wird man doch noch sagen dürfen!?"

Dr. Stefan Seiterle

19.10.2010

Im Prozess um die islamkritischen bis –feindlichen Äußerungen von Geert Wilders hat die Staatsanwaltschaft Freispruch in allen Anklagepunkten gefordert. Hat sich der Rechtspopulist also mit Recht als Kämpfer für die Meinungsfreiheit stilisiert? Oder sind Sätze wie der von dem angeblichen "Islamisierungs-Tsunami" nicht doch als Volksverhetzung strafwürdig?

 

as wohl bekannteste Wilders-Zitat lautet: "Der Kern des Problems ist der faschistische Islam, die kranke Ideologie von Allah und Mohammed, die niedergelegt ist im islamistischen 'Mein Kampf', dem Koran." Die 22-seitige Anklageschrift enthält weitere Zitate aus Interviews und Filmen, in denen Wilders auch ein Verbot des Korans fordert. Die Staatsanwaltschaft in den Niederlanden hatte ihm deshalb unter anderem Anstachelung zum Hass gegen Anhänger des Islams vorgeworfen. Dieser Vorwurf war aber offenbar nicht haltbar - am vergangenen Freitag beantragten die Ankläger einen Freispruch. Das Urteil wird nun für den 5. November erwartet.

Nach deutschem Recht ist Volksverhetzung strafbar gemäß § 130 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB): "Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet", erhält mindestens drei Monate Freiheitsstrafe.

Als volksverhetzend werten deutsche Gerichte etwa die Darstellung von Ausländern als "Sozialparasiten". Das Rufen der Parole "Ausländer raus" soll hingegen nur unter besonderen Umständen ausreichen, wenn etwa begleitend eine Reichskriegsflagge gehisst und "Sieg Heil" gerufen wird.

Das freie Wort gilt nicht uneingeschränkt

Aber weshalb ist Volksverhetzung überhaupt strafbar? Schließlich herrscht doch Meinungsfreiheit. Auf die Kritik an den jüngsten Äußerungen Thilo Sarrazins – auch ihm werfen einige Volksverhetzung vor –hörte man häufig den Satz: "Aber das wird man doch noch sagen dürfen!"

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird garantiert von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG): "Jeder hat das Recht, seine Meinung ... frei zu äußern und zu verbreiten ..." Das Bundesverfassungsgericht fand einst große Worte für die Bedeutung der Meinungsfreiheit: "Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt ... Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend … Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt …" ("Lüth"-Urteil vom 15.01.1958, Aktenzeichen 1 BvR 400/51).

Ungeachtet dieser Wertschätzung geht die Meinungsfreiheit aber nicht so weit wie zum Beispiel in den USA, wo auch rassendiskriminierende Äußerungen erlaubt sind. Wie in anderen europäischen Ländern kann sie in Deutschland stärker beschränkt werden. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet sie "ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen." Das sind Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sondern meinungsunabhängig ein Rechtsgut schützen wollen. § 130 Abs. 1 StGB ist ein solches "allgemeines Gesetz", das für den Fall einer Volksverhetzung dem Wert des öffentlichen Friedens Vorrang vor der Meinungsfreiheit einräumt.

Meinungsfreiheit ist immer auch Auslegungsmaßstab

Die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit wirkt sich noch auf einer anderen Ebene aus. Sie muss bei der Auslegung des einschränkenden Gesetzes immer berücksichtigt werden. Für § 130 Abs. 1 StGB bedeutet das: Immer dann, wenn eine Äußerung mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine strafbar ist, darf diese nur dann Anknüpfungspunkt für eine Verurteilung sein, wenn die anderen Deutungen überzeugend ausgeschlossen werden können.

Bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bestimmt die Meinungsfreiheit insofern das Verständnis der Norm, als nicht jede Verletzung der Ehre schon als "Angriff auf die Menschenwürde" angesehen werden kann. Vielmehr muss dafür der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt werden.

So verhielt es sich etwa im Fall des dunkelhäutigen deutschen Fußballprofis Gerald Asamoah, dessen Konterfei ein Rechtsradikaler auf Plakaten zusammen mit dem Foto eines Affen und dem Titel "Nein, Du bist nicht Deutschland“ verbreitet hatte. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart zielte die Aktion darauf ab, alle in Deutschland lebenden dunkelhäutigen Menschen als minderwertig darzustellen und auszugrenzen (Urteil vom 19.05.2009, Aktenzeichen 2 Ss 1014/09).

Wilders' Reden müssten Zuhörer beeinflussen können

Die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB sind also unter anderem deshalb recht hoch, weil sowohl bei Formulierung und Änderung des Gesetzes, als auch bei der konkreten Anwendung der Norm immer das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu beachten ist.

Ob ein deutsches Gericht die Äußerungen von Wilders als volksverhetzend einstufen würde, lässt sich ohne genaue Kenntnis der Umstände schwer einschätzen. Am ehesten käme die Variante "Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung" (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB) in Betracht. Dafür reichte es aber nicht aus, den Äußerungen Wilders' bloße Ablehnung oder Verachtung gegenüber Muslimen zu entnehmen.

Das Tatgericht müsste vielmehr feststellen, dass die Äußerungen zumindest geeignet sind, eine darüber hinausgehende feindselige Haltung gegen Muslime zu erzeugen oder zu verstärken, die emotionale Grundlage für gegen sie gerichtete Aktionen sein kann.

Dr. Stefan Seiterle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, insbesondere Internationales Strafrecht und Rechtsvergleichung, Rechtsphilosophie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Zitiervorschlag

Dr. Stefan Seiterle, Islamkritik: "Das wird man doch noch sagen dürfen!?" . In: Legal Tribune Online, 19.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1731/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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