Eine Linguistin am Jura-Lehrstuhl: "Einen sprachlichen Fingerabdruck gibt es nicht"

mit Dr. Gabriele Klocke

18.09.2012

Wir kennen sie eher aus CSI als aus unseren Unis: Die forensische Linguistik identifiziert Menschen anhand ihrer Äußerungen in Wort und Schrift.  Am strafrechtlichen Lehrstuhl in Regensburg aber arbeitet Gabriele Klocke, die  Veranstaltungen zum Thema leitet. LTO verrät die habilitierte Linguistin, dass sie  nicht nur Strafrechtlern helfen kann und weshalb sie trotz allem gern mit Juristen arbeitet.

LTO: Frau Dr. Klocke, Sie arbeiten an der Universität Regensburg am Lehrstuhl von Prof. Müller für Strafrecht und Kriminologie, sind aber eigentlich gelernte Linguistin. Wie hat es Sie dorthin verschlagen?

Klocke: Das war ganz abenteuerlich. Es hatte mich ein Nachbar darauf angesprochen, ob ich in seinem JVA-Gottesdienst Orgel spielen wollte. Dort hatte ich dann natürlich auch Kontakt mit den Gefangenen. Und ich habe gemerkt: Ich verstehe sie oftmals gar nicht.

Damit war das Forschungsthema meiner Doktorarbeit im Kasten – die Sprachkultur im geschlossenen Strafvollzug. Ich habe mich im Anschluss fast ein halbes Jahr sehr intensiv mit Kriminologie beschäftigt. Gegen Ende meiner Dissertation habe ich mich dann auf die Stelle am Lehrstuhl Müller beworben - auf die ich lustigerweise von einem Gefangenen hingewiesen worden war.

"Die forensische Linguistik spielt auch im Zivilrecht eine Rolle"

LTO: Wie wird man forensischer Linguist?

Klocke: Grundvoraussetzung ist ein Germanistikstudium. Und während des Studiums sollte man sich recht bald mit der so genannten Fehlerlinguistik beschäftigen und Veranstaltungen im Bereich Dialektologie besuchen.  Im Nebenfach könnte man dann noch Psychologie oder Jura studieren.

LTO: Welche Rolle spielt die forensische Linguistik in der Rechtspraxis?

Klocke: Die forensische Linguistik ist berühmt für ihren Einsatz im strafrechtlichen Bereich – zum Beispiel bei der Analyse von Erpresserschreiben. Aber auch im Zivilrecht spielt sie eine Rolle. Zum Beispiel im Markenrecht, wenn es um die Frage geht, ob eine Marke eingetragen werden kann. Wenn sich ein Begriff wie der Walkman im Sprachgebrauch als Beschreibung für eine Gerätegattung einbürgert, kann er als Marke nicht mehr eingetragen werden.

"Linguisten können keine Beweise erbringen"

LTO: Wie muss man sich die Arbeit des forensischen Linguisten vorstellen?

Klocke: Angenommen, es liegt ein Erpresserschreiben eines Unbekannten vor. Dann schaut der linguistische Sachverständige, was man alles aus dem Text herausholen kann. Er sucht beispielsweise nach Merkmalen des Dialekts oder nach regelmäßig auftretenden orthografischen Fehlern. So kann man den Verfasser eines Erpresserschreibens mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zuordnen. Daraus resultieren entsprechende Ermittlungsansätze. Auch kann man unter Umständen verschiedene Schriftstücke vergleichen und mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, ob sie von ein und demselben Autor stammen. Die Linguisten können aber keine Beweise erbringen.

LTO: So etwas wie einen sprachlichen Fingerabdruck gibt es also nicht?

Klocke: Nein, den gibt es nicht. Das lässt sich auch leicht erklären. Unser wirklicher Fingerabdruck ist überall gleich, egal wo wir ihn hinterlassen. Er ist nicht variabel. Bei der Sprache ist das anders: Da hängt es zum Beispiel von der Situation oder der sozialen Bezugsgruppe ab, wie wir uns äußern.
Ich habe neulich Postkarten verschickt und dabei gemerkt, dass ich sogar diese spezifisch an den Empfänger anpasse. Sicher gibt es einige Merkmale, die sich immer wiederholen, aber dadurch ist keine individuelle Identifikation möglich. Man kann also nur mit Wahrscheinlichkeiten operieren.

"Man kann nicht durch seine Sprache den Verdacht auf eine andere Person lenken"

LTO: Kann man forensische Linguisten auch austricksen?

Klocke: Das kann allenfalls ein Germanist! Spaß beiseite: Es wäre schon sehr anspruchsvoll, in vielen Schriftstücken absichtlich denselben sprachlichen Fehler konsequent immer wieder zu machen. Spätestens bei einer Vernehmung würde man das wohl nicht mehr schaffen. Man kann also nicht durch seine Sprache den Verdacht auf eine andere Person lenken.

LTO: Wie viele forensische Linguisten gibt es überhaupt in Deutschland?

Klocke: Wir haben vom Institut mal eine Exkursion zum Bundeskriminalamt in Wiesbaden unternommen. Dort saßen zum damaligen Zeitpunkt nach meinem Wissen die einzigen festangestellten forensischen Linguisten, die von der Polizei für die Ermittlungsarbeit bereitgehalten wurden. Es gibt dann noch an den Universitäten eine Handvoll Gutachter, die auch Zweitgutachten erstellen können. Aber forensisch-linguistische Beratungsbüros, wie sie in anderen Ländern üblich sind, gibt es hier nicht.

"Mit Juristen sprüht es manchmal nicht so"

LTO: Woran liegt das?

Klocke:  Es gibt natürlich erhebliche Unterschiede im Verfahrensrecht verschiedener Länder. In den Vereinigten Staaten findet beispielsweise der Lügendetektor Anwendung. Dies ist hierzulande nicht denkbar. Und dort wird einem Gutachten eines forensischen Linguisten auch ein wesentlich höherer Beweiswert zugemessen als hier. Außerdem gibt es da gewisse Berührungsängste -  die Juristen wissen nicht so recht, wie die Linguisten arbeiten und umgekehrt.

LTO: Können Juristen und Linguisten voneinander lernen?

Klocke: Mit beiden Disziplinen prallen ganz unterschiedliche Einstellungen und Haltungen aufeinander. Die Juristen sind immer sehr ordentlich und wohl strukturiert. Das ist auch praktisch, hindert aber manchmal die Kreativität – es sprüht dann einfach nicht so. Bei den Sprachwissenschaftlern ist es oft das genaue Gegenteil. Gerade deshalb kann eine Zusammenarbeit unheimlich fruchtbar sein.

LTO: Frau Dr. Klocke, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Dr. Gabriele Klocke ist seit 2000 Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug von Henning E. Müller der Universität Regensburg. Ferner ist sie habilitierte Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft von Prof. Dr. Rössler und Mitglied im Arbeitskreis Sprache und Recht an der Universität Regensburg.

Das Interview führte Jens Kahrmann.

Zitiervorschlag

Dr. Gabriele Klocke, Eine Linguistin am Jura-Lehrstuhl: "Einen sprachlichen Fingerabdruck gibt es nicht" . In: Legal Tribune Online, 18.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7079/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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