Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: "Ich wage keine Prog­nose"

Interview von Tanja Podolski

20.02.2020

Am Montag beginnt die Anhörung zum Auslieferungsverfahren gegen den Wikileaks-Gründer, der seit über neun Monaten in Haft sitzt und laut UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer psychologischer Folter ausgesetzt ist. Im Gespräch mit Wolfgang Kaleck über den anstehenden Prozess.

LTO: Herr Kaleck, am Montag beginnt das Anhörungsverfahren um die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange von Großbritannien in die USA. Können Sie den anstehenden Prozesses kurz skizzieren?

Wolfgang Kaleck: Vor dem Woolwich Crown Court, ein Strafgericht, welches dem Belmarsh-Gefängnis angegliedert ist, in dem Assange inhaftiert ist, wird darüber verhandelt, ob Großbritannien Julian Assange wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in die USA ausliefern kann. Dabei stellen sich eine Vielzahl von tatsächlichen Fragen, aber auch viele Rechtsfragen.

Es kommt aus meiner Sicht dabei auf die beiden Fragen an. Erstens: Bedeuten die Spionage-Vorwürfe seitens der USA politische Verfolgung im Sinne des Auslieferungsrecht? Und zweitens: Wie gewichtig sind  der Status eines Journalisten von Assange und die Pressefreiheit? Beides würde einer Auslieferung in die USA entgegenstehen. Das wird keine leichte Entscheidung für das Gericht.

Assange ist seit 2010 Adressat vielfältiger Vorwürfe, Schweden hat das Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung zwischenzeitlich eingestellt. Was wird dem Mann aktuell noch konkret vorgeworfen?

Zunächst warfen die USA Assange vor, die ehemalige US-Soldatin Chelsea Manning – welche Dokumente an Wikileaks weitergegeben hatte – zum Geheimnisverrat angestiftet zu haben und ihr beim Hacken von Passwörtern geholfen zu haben. Im Mai 2019 wurden die Anklage um Verstöße gegen das Spionagegesetz („Espionage Act“) erweitert und Assange vorgeworfen, sich auf illegale Weise militärische und diplomatische Dokumente zu US-Einsätzen in Afghanistan und im Irak beschafft und veröffentlicht zu haben.

Held oder Verräter?

Für einige Menschen ist Assange ein Verräter, für andere ein Held. Welche objektiveren Aspekte spielen aus Ihrer Sicht bei der Beurteilung des Falles eine Rolle?

Assange hat über das journalistische Medium Wikileaks Menschenrechtsverletzungen, namentlich Kriegsverbrechen der USA im Irak, publik gemacht. Sollte ein solcher Mensch in den USA zu einer Freiheitsstraße von 175 Jahren verurteilt werden? Das ist unverhältnismäßig - auch im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dass ein solches Strafmaß bei Meinungsäußerungsdelikten verhängt werden darf und dies schon vor einem eventuellen Verfahren in den USA absehbar ist, spricht für sich genommen dafür, dass die Auslieferung nicht gestattet werden dürfte.

Problematisch ist aus europäischer Sicht aber auch die Frage, ob Assange in den USA einen fairen Prozess erwarten darf. Das fängt damit an, dass der dortige Espionage Act die Erörterung der Frage, warum jemand etwas veröffentlicht hat, nicht erlaubt. Nach dortigem Recht ist es egal, ob jemand Dokumente aus Gewissensgründen veröffentlicht oder von den Nordkoreaner dafür eine Million Dollar kassiert hat. In einem Rechtsstaat sollte aber die Frage, in welchem Umfang sich jemand schuldig gemacht hat, zu einem Verfahren dazu gehören.

Wie lange wird es dauern, bis es zu einer Entscheidung kommt?

Es sind zwei Anhörungstermine angesetzt, am kommenden Montag und ein weiterer Verhandlungstermin im Mai. Kommt das Gericht zu einem Urteil, kann Assange zunächst Berufung zur nächsten Instanz, dem  High Court, später zum Obersten Gericht, dem Supreme Court  einlegen und schließlich steht ihm der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) offen - und zwar auch nach dem Brexit. Es sind neue und schwierige Fragen, deren Beantwortung sich eine ganze Zeit hinziehen wird.

Hinzu kommt, dass die britische Regierung dem Urteil des Gerichts zustimmen muss. Ein solches zweistufiges Auslieferungsverfahren findet sich auch im deutschen Auslieferungsrecht. Selbst wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass Assanges Auslieferung rechtmäßig wäre, verbleibt der Regierung ein eigenes Ermessen. Auch diese Entscheidung wäre dann noch einmal anfechtbar.

Soll an Assange ein Exempel statuiert werden?

Ist es vorstellbar, dass eine Auslieferung von Assange in die USA ausgeschlossen ist?

Das Auslieferungsrecht basiert auf bilateralen Verträgen. Darin ist aufgenommen, dass das Recht nicht missbraucht werden darf, um politisch Verfolgte oder Gewissenstäter in ein Land zu überstellen. Das ist auch in dem Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien verankert. Journalisten und viele Politiker weltweit setzen sich deswegen inzwischen für Assange mit Appellen an die die britische Regierung ein.

Wegen des Vorwurfs, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben, ist Assange unverständlicherweise fast zur Höchststrafe verurteilt worden. Allerdings hat sich die Sicht auf den Fall zunehmend verändert, selbst in den USA. Denn es geht nicht um die Frage, ob man das sympathisch und richtig findet, was er macht, sondern darum, dass an einem unliebsamen Vertreter der Presse kein Exempel statuiert wird.

Sind Ihnen vergleichbare Fälle bekannt?

Wikileaks ist eine neue Form von Journalismus. Wir hatten einen ähnlichen Fall mit der Diskussion um netzpolitik.org, als gegen Blogger wegen Landesverrats ermittelt wurde. Auch dort stellte sich die Frage, wie die Justiz mit dieser Form von Journalismus umgeht.

Jetzt kann man fragen, ob nicht professionelle journalistische Standards über den Haufen geworfen werden, wenn die Plattformen ungeprüft Dokumente ins Netz stellen. Unabhängig von dieser Diskussion müssen publizistische Plattformen wie Wikileaks und Netzpolitik.org im Ergebnis von der Pressefreiheit geschützt sein.

Eine Prognose wage ich nicht. Der bisherige Umgang der britischen Behörden mit dem Fall Assange lässt allerdings befürchten, dass die Abwägung zu Lasten der Pressefreiheit und Assanges ausfällt. Es wäre fatal, wenn die globale Zivilgesellschaft dies zuließe.

Wolfgang Kaleck ist Mitbegründer und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und ist in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen.

Zitiervorschlag

Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: "Ich wage keine Prognose" . In: Legal Tribune Online, 20.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40383/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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