Daten für alle von den Internetkonzernen?: Pro­blem erkannt, Gefahr nicht gebannt

Gastkommentar von Dr. Björn Herbers

21.08.2018

SPD-Chefin Andrea Nahles will Tech-Giganten verpflichten, einen Teil ihrer Daten öffentlich zu teilen. Björn Herbers bezweifelt, dass das der richtige Hebel wäre, um die Marktmacht der Internetkonzerne zu brechen.

In einem Gastkommentar im Handelsblatt übte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles scharfe Kritik an der "Monopolisierung des Internets" durch die großen US-Tech-Konzerne. Von unten seien die Imperien der Mega-Onlinehändler, Suchmaschinen und sozialen Netzwerke aufgrund ihrer enormen Marktmacht nicht mehr zu schlagen. Ihre marktbeherrschenden Stellungen nutzten die Internetmonopolisten rücksichtslos aus.

Als Hebel schlägt Nahles ein "Daten-für-Alle-Gesetz" vor. Es soll bei Big Data – dem Rohstoff der Internetökonomie – ansetzen und Folgendes regeln: Sobald ein Digitalunternehmen einen festgelegten Marktanteil für eine bestimmte Zeit überschreitet, soll es verpflichtet sein, einen anonymisierten und repräsentativen Teil seines Datenschatzes öffentlich zu teilen. Die Idee dahinter: Mit den Daten könnten dann andere Unternehmen und insbesondere Startups eigene Produkte entwickeln und an den Markt bringen. "Die Daten gehören dann nicht mehr exklusiv Google, sondern allen", schreibt Nahles.

Auf den ersten Blick ist das eine schöne Idee. Aber bei genauerem Hinsehen spricht vieles dagegen, dass ein Zugang zu einem anonymisierten und repräsentativen Teil der Daten der Internetkonzerne zu einem schlagkräftigen Wettbewerb führen könnte.

Die Tech-Giganten stellen das Kartellrecht vor große Herausforderungen

Andrea Nahles hat für ihren Vorschlag viel Applaus geerntet, aus der Politik und auch von Fachleuten. Das ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie mit ihrem Vorstoß den Finger in eine große kartellrechtliche Wunde legt: Bekommen die Kartellwächter mit ihren herkömmlichen Mitteln des Kartellverbots, der Missbrauchsaufsicht und der Fusionskontrolle die Tech-Giganten noch in den Griff?

Darüber wird schon seit einiger Zeit heftig diskutiert, und auch das Bundeskartellamt beteiligt sich intensiv. Das Problem, das die Bonner Wettbewerbshüter erkannt haben: Es gibt Fälle, in denen Unternehmen einen "Datenvorsprung" vor ihren Wettbewerbern erlangt haben, den diese nicht mehr einholen können. Und Daten sind der entscheidende Bestandteil vieler digitaler Geschäftsmodelle.

In einem Diskussionspapier zu "Big Data und Wettbewerb" aus dem Oktober vergangenen Jahres beschreibt es die Behörde als ihre Aufgabe, zu verhindern, dass der Zugang zu Daten zur Marktmacht einzelner Unternehmen oder zu Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmen führt. Das Kartellamt beschäftigt sich dabei vor allem damit, ob ein Unternehmen im konkreten Fall Marktmacht (auch) aufgrund seines Datenschatzes hat und ob die konkrete Nutzung von Daten missbräuchlich ist.

Diese Form der Aufsicht wird von vielen aber als unzureichend kritisiert. Gern angeführtes Beispiel ist die Übernahme von WhatsApp durch Facebook, die durchgewunken wurde, weil die zuständige Europäische Kommission keine durchgreifenden kartellrechtlichen Bedenken hatte. Auch Nahles kritisiert die Genehmigung als Fehler.

Die Idee: früher ansetzen, Internetgiganten regulieren

Die Frage ist daher, ob die herkömmlichen Werkzeuge der Kartellbehörden zur Kontrolle von Big Data genügen. Mit der Kontrolle von Fusionen versuchen sie, die weitere Entstehung oder Verfestigung von Marktstrukturen zu verhindern; im Übrigen bemühen sie sich, die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht im Einzelfall zu ahnden.

Ein Daten-für-alle-Gesetz würde einen Schritt früher ansetzen. Es wäre der Versuch, auf "vermachteten" Märkten Wettbewerb zu schaffen.

Praktisch würden die Internetkonzerne damit – ähnlich wie Infrastrukturunternehmen – einer Regulierung unterworfen. Im Bereich der Infrastrukturnetzwerke hat man die bestehenden Monopole der (ehemaligen) Staatsunternehmen mit Regulierung aufgebrochen. Die Marktanteile der Internetgiganten auf einigen ihrer Märkte bewegen sich durchaus in monopolähnlichen Größenordnungen.

Daten sind der Rohstoff, aber nicht der Schatz

Ist daher ein regulierter Zugangsanspruch zur Big Data der Internetkonzerne erforderlich und erfolgsversprechend? Daten mögen zwar der viel zitierte "Rohstoff der Internetökonomie" sein. Der Schatz aber sind sie allein noch nicht.

Das zeigt ein Blick auf die Diskussion zu Daten als wesentliche Einrichtung oder "essential facility". Nach der dem US-amerikanischen Kartellrecht entstammenden, aber auch im EU-Recht anerkannten Doktrin liegt ein Missbrauch vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen einem potentiellen Anbieter Zugang zu einem unverzichtbaren Inputfaktor verweigert, ohne den dieser nicht auf dem Markt tätig werden kann.

Im Hinblick auf Big Data sind diese Voraussetzungen jedoch regelmäßig nicht erfüllt. Im Gegensatz zu Infrastruktureinrichtungen können Daten von mehreren Unternehmen besessen werden. Außerdem bestehen regelmäßig diverse Quellen für Big Data, zum Beispiel auch von spezialisierten dritten Unternehmen. Damit sind dritte Unternehmen gerade nicht auf den Zugang zu Daten eines bestimmten Unternehmens angewiesen. 

Ein regulatorischer Eingriff durch den Gesetzgeber kann sich natürlich auch an anderen Kriterien orientieren. Aber der Zugang zu Daten in anonymisierter Form ist dafür nicht der entscheidende Hebel. Die Internetgiganten gewinnen ihre Wettbewerbsvorteile tatsächlich nicht nur aus ihrem Zugriff auf Big Data, sondern durch ihre Fähigkeit, diese Daten auszuwerten und zu verwerten ("Big Analytics").

Der wahre Schatz ist also nicht der Datenrohstoff, sondern das Ergebnis seiner Auswertung. Es ist zu bezweifeln, ob die darauf beruhenden Wettbewerbsvorteile über einen Datenzugangsanspruch ausgeglichen werden können.

Welche Daten überhaupt?

Zudem will der Vorschlag für das "Daten-für-alle-Gesetz" einen Zugang zu repräsentativen Daten gewähren. In vielen Fällen folgt der Wettbewerbsvorteil aber gerade daraus, dass die ausgewerteten Daten individualisiert sind.

Erst die individuelle Zuordnung ermöglicht es, Dienstleistungen und insbesondere Werbung konkret auf den individuellen Nutzer zuzuschneiden. Zugang zu solchen Daten kann und will aber auch das "Daten-für-alle-Gesetz" gerade nicht gewähren.

Zudem würden sich in der Praxis weitere Fragen stellen: In welcher Form und vor allem in welcher Frequenz werden die entsprechenden Daten zur Verfügung gestellt? Um im "Dynamic Pricing" mit den großen Internethändlern mithalten zu können, wäre zum Beispiel ein Zugang in quasi Echtzeit notwendig.

Gleichzeitig würde mit dem Detailgrad der zur Verfügung gestellten Daten auch die Gefahr von negativen wettbewerblichen Effekten durch eine Abstimmung der Unternehmen wachsen: Warum sollten die Wettbewerber nicht einfach ihr Marktverhalten mithilfe der zur Verfügung gestellten Daten an dem der Internetgiganten ausrichten, anstatt diese anzugreifen? Algorithmen von Internetunternehmen, die sich an anderen Unternehmen oder Algorithmen orientieren, sind schon länger im Fadenkreuz der Kartellbehörden.

Netzwerkeffekte vermeiden: Netzwerke müssen sich öffnen

Schließlich könnte ein "Daten-für-alle"-Zugang sicherlich nicht "nebenbei" vom Bundeskartellamt verwaltet werden. Dafür wäre eine spezialisierte Behörde erforderlich, die in Regulierungsverfahren Märkte definieren und Zugangsverfügungen erlassen müsste, was mit erheblichem Aufwand verbunden wäre.

Das heißt nicht, dass ein solcher Zugang zu einem anonymisierten und repräsentativen Teil der Daten der Internetkonzerne wertlos wäre. Auch mit statischen, nicht individualisierten Daten lassen sich Geschäftsmodelle entwickeln. Das Problem der Marktmacht der Internetkonzerne aber würde man damit nicht adressieren.

Im Hinblick auf deren wettbewerbliche Kontrolle spricht Andrea Nahles in ihrem Gastkommentar auch die Netzwerkeffekte an: Je mehr Nutzer eine bestimmte Plattform nutzen, desto attraktiver wird diese auch für andere. Auf diese Weise konzentrieren sich die Märkte immer weiter.

Dieses Problem der Netzwerkeffekte ließe sich vielleicht eher mit Eingriffen wie einer sogenannten Interoperabilitätsverpflichtung lösen. Eine Verpflichtung, Netzwerke durch offene Schnittstellen zu öffnen, könnte verhindern, dass sich Nutzer für eine Plattform entscheiden müssen. So würde auch kein Schneeballeffekt mehr dazu führen, dass diese Plattform immer weiter wächst und unangreifbar wird.  

Der Autor Dr. Björn Herbers ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS am Standort Brüssel. Er berät Unternehmen zu allen Fragen des europäischen und deutschen Kartellrechts.

Zitiervorschlag

Daten für alle von den Internetkonzernen?: Problem erkannt, Gefahr nicht gebannt . In: Legal Tribune Online, 21.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30447/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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