Innere Sicherheit: Der Staat ist nicht das Opfer

Polizei- und Sicherheitsbehörden scheinen durch Großprojekte wie Stuttgart 21 und Einsätze bei Großveranstaltungen zunehmend überlastet. Die Gewerkschaft fordert mehr Personal, Ausstattung und eine Verschärfung der Gesetze. Aber was hat sich wirklich verändert? Und können für die Beamten die gleichen Maßstäbe gelten wie für Bürger? Ein Kommentar von Florian Albrecht.

Angesichts eines angeblich ungebremsten Personalabbaus im Polizeibereich, einer stetig steigenden Einsatzbelastung der Polizeikräfte und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft innerhalb der Bevölkerung warnt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg: "Die innere Sicherheit steht vor dem Kollaps".

Eine sich verschärfende soziale Schieflage, ungelöste Integrationsprobleme, die real existierende Terrorgefahr und immer mehr zu bewältigende Aufgaben werden seitens der Polizei angeführt, um deren Ruf nach mehr Personal, besserer Ausstattung und einer Verschärfung der Gesetze zu untermauern. Jedenfalls zu einer Verschärfung der Gesetze zum Schutz Polizeibeamter gegen Gewalt dürfte es zeitnah kommen, nachdem das Bundeskabinett am Mittwoch einen Entwurf zur Änderung der Vorschrift zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Strafgesetzbuch) auf den Weg brachte.

Fakt ist, dass der Polizeiberuf für junge Staatsbürger immer unattraktiver wird. Hohe Krankenstände und eine zunehmende Arbeitsunfähigkeit der Polizeibeamten lassen sich auf deren zunehmende Arbeitsbelastung zurückführen. Der Staat möchte auf immer mehr Tätigkeitsfeldern regulierend eingreifen und bedient sich dazu vermehrt seiner Sicherheitsbehörden.

Schwinden Rückhalt und Solidarität?

Ursächlich für die gefühlte Handlungsunfähigkeit der Polizei dürfte aber auch eine zunehmende Frustration der Polizeibediensteten sein. Nicht zuletzt auch die anhaltende Kritik an deren Verhalten im Zusammenhang mit Großdemonstrationen wie "Stuttgart 21" trägt zu diesem Gefühl bei. Die Polizei sieht Rückhalt und Solidarität in der Bevölkerung schwinden und wähnt sich von der Politik im Stich gelassen und missbraucht.

Eine Verbesserung der konfliktträchtigen Lage kann allerdings nicht mittels eines Ausbaus des polizeilichen Machtapparates erzielt werden. Ursächlich für die gegenwärtige Entwicklung sind gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die sich nicht mit einer Verschärfung der Rechtslage beseitigen lassen. Das zunehmend sorglose Gegeneinander und der Verlust an sozialer Kontrolle fordern Ansätze, die weit über den Bereich des Polizierens hinausreichen.

Die Polizei erweist sich in diesem Zusammenhang einen Bärendienst, wenn sie schärfere Gesetze und mehr Kontrollmacht fordert. Solche Forderungen könnten den Konflikt mit dem Bürger noch vorantreiben.

Miteinander statt Gegeneinander

Nicht das Schüren von (Kriminalitäts-)Ängsten, sondern vielmehr eine sachliche und weniger emotionsgeprägte Diskussion scheint zielführend. Polizei und Gesellschaft müssen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Der immer wiederkehrende Vorwurf der zunehmenden Gewalt gegen Polizeibeamte ist in diesem Kontext wenig zweckdienlich

Natürlich liegt es nahe, dass Polizeibeamte überdurchschnittlich oft Opfer leichter Straftaten wie Beleidigungen oder Bedrohungen werden. Gewaltexzesse aber bleiben auch im Polizeialltag nachweislich die Ausnahme.

Und auch die Maßstäbe müssen notwendigerweise für Polizeibeamte andere sein: Was dem normalen Bürger nicht zugemutet werden kann, muss ein Repräsentant des Staates in verantwortlicher Weise hinnehmen. Polizisten sollen vorbildlich handeln und stehen insoweit in der Pflicht. Im Zusammentreffen mit dem Bürger gilt für diesen zunächst die Unschuldsvermutung. Auf die hieraus folgenden Herausforderungen sind Polizeibeamte mittels entsprechender Schulungen vorzubereiten, die die Befähigung zum angemessenen Konfliktmanagement vermitteln.

Grundlage neuer Handlungsempfehlungen muss zudem eine sorgfältige Lagebeurteilung werden. Erste Impulse liefert insoweit das neuerliche Bemühen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, verlässliche Informationen zur Gewalt gegen Polizeibeamte zu erlangen. Die diesbezüglich bisher vorliegenden Erkenntnisse sind unzureichend.

Polizeiliche Kriminalstatistik unbrauchbar

Kaum aussagekräftig bezüglich eines möglichen Anstiegs der Gewaltbereitschaft ist die polizeiliche Kriminalstatistik, die das Bundeskriminalamt alljährlich in Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern herausgibt. Die Statistik dokumentiert lediglich das Anzeigeverhalten der Bevölkerung, Polizei und Politik benötigen sie, um kriminalpolitische Forderungen zu untermauern. Sie ist nicht das Ergebnis einer unabhängigen Erhebung, das sie zu sein vorgibt.

Problematisch ist zudem, dass die polizeiliche Kriminalstatistik keine Informationen über die Beurteilung der registrierten Taten durch den Justizapparat enthält. Dabei dürfte die Justiz unzweifelhaft wesentlich besser dafür qualifiziert sein, Straftaten rechtlich zu bewerten.

Wollte man versuchen, die Kriminalitäts- und Gewaltentwicklung innerhalb der Bevölkerung aussagekräftig zu bewerten, müsste nach P.-A. Albrecht zumindest auf die Justizstatistiken der Staatsanwaltschaften und Gerichte zurückgegriffen werden. Diese ermöglichen viel eher eine Bewertung der registrierten Kriminalität als „soziale Erscheinung".

Der Staat als Opfer

Unsere Wahrnehmung von Gewalttaten wird zunehmend durch Massenmedien geprägt, die eine einseitige Sichtweise vermitteln. Ebenso wie ein Anstieg der Gewaltbereitschaft möglich scheint, könnte sich auch schlicht die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung im Umgang mit Gewaltdelikten erhöht haben. Möglich ist auch, dass die Wahrnehmung der Gewalttaten durch die Polizei selbst sich verändert hat. Die Grenzen zwischen Gewalt und zivilem Ungehorsam sind jedenfalls fließend.

Es scheint daher unangebracht, wenn Polizeikräfte und andere Repräsentanten des Staates sich angesichts der diffusen Bedrohungslage bereits für gefährdet halten. Wenn Polizeibeamte zu Opfern und die Bürger zu Gewalttätern abgestempelt werden, werden die real existierenden Gefahren, die von einer gegen die Bürger gerichteten Kontrollinfrastruktur ausgehen, kaum Beachtung finden.

Im Interesse unseres Rechtsstaates bedarf es vielmehr gegenseitigen Vertrauens und Transparenz schaffender Maßnahmen. Die mit durchaus fadenscheinigen Argumenten verhinderte Einführung einer allgemeinen Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte muss insoweit klar als Missstand identifiziert werden.

Der Autor Florian Albrecht, M.A., ist Kriminologe und Akademischer Rat a.Z. an der Universität Passau. Seit 2010 ist er dort Geschäftsführer der Forschungsstelle für Rechtsfragen der Hochschul- und Verwaltungsmodernisierung (ReH..Mo).

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Innere Sicherheit: Der Staat ist nicht das Opfer . In: Legal Tribune Online, 14.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1717/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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