Leipziger Immobilienskandal: Dunkle Machenschaften oder unglaubliche Behördenschlamperei?

von Alexander Knauss

02.05.2012

In Leipzig sollen Mitarbeiter der Stadtverwaltung "herrenlose" Grundstücke an Investoren verkauft haben, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die Eigentümer zu ermitteln. Wie aber kann es dazu kommen, dass ein Grundstück einen solchen Status erhält? Alexander Knauss über ostdeutsche Besonderheiten im Immobiliarsachenrecht, die der Affäre möglicherweise Vorschub geleistet haben.

Ein Immobilienskandal erschüttert Leipzig: Medienberichten zufolge haben Mitarbeiter des städtischen Rechtsamtes seit Mitte der 1990er Jahre angeblich "herrenlose" Grundstücke verkauft, ohne dass Ermittlungen angestellt wurden, den jeweiligen wahren Eigentümer herauszufinden. In über 560 Fällen sollen die Beteiligten nach diesem Muster vorgegangen sein.

Während die Alt-Eigentümer laut "Frankfurter Rundschau" und "Bild" mit niedrigen Entschädigungen abgespeist wurden, verkauften die Investoren die Grundstücke mit hohen Gewinnen. Die Affäre schlägt in Leipzig hohe Wellen, immerhin geht es um die Frage, ob hinter dem Vorgehen tatsächlich System steckte. Die Stadt hat mittlerweile den ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Gerichtspräsident a.D. Eckart Hien, engagiert, um den Vorwürfen nachzugehen.

Massenhaft unklare Eigentumslagen nach der Wiedervereinigung

Neben den vielen tatsächlichen Ungereimtheiten mag man sich aus juristischer Sicht zunächst an dem Begriff "herrenloses" Grundstück stoßen. Und tatsächlich geht es hierbei um einen einen eher exotischen Fall: Ein "herrenloses" Grundstück im klassischen Sinn entsteht dadurch, dass der Eigentümer gegenüber dem Grundbuchamt die Aufgabe des Eigentums erklärt und dies im Grundbuch eingetragen wird. Der Fiskus - und nur dieser - kann sich das Grundstück dann aneignen, § 928 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Deutlich häufiger hingegen ist eine andere und vor allem in Ostdeutschland auftretende Erscheinungsform: Grundstücke nämlich, deren Eigentumslage ungeklärt oder deren Eigentümer nicht auffindbar ist. Diese sind "herrenlos" in dem Sinne, dass sich niemand um sie kümmert. Im Zuge der Wiedervereinigung mussten die Eigentumsverhältnisse zahlloser Grundstücke geklärt werden. Eine Mammutaufgabe angesichts in der ehemaligen DDR jahrelang nicht fortgeschriebener Grundbücher und zahlreicher eigens im Rahmen der Wiedervereinigung geschaffener Regelungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen frühere Eigentümer ihre Grundstücke zurückerhalten sollten.

Um geordnete Eigentumsverhältnisse herzustellen, wurde unter anderem in Art. 233 § 2 Abs. 3 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) und in § 11b des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) die Möglichkeit geschaffen, für Grundstücke im Beitrittsgebiet einen so genannten gesetzlichen Vertreter zu bestellen. Voraussetzung dafür, dass ein solcher Vertreter bestellt wird, ist die Feststellung, dass der Eigentümer unbekannt oder unbekannten Aufenthaltes ist und ein Bedürfnis für die Vertretung des Eigentümers besteht. Die Bestellung erfolgt grundsätzlich entweder auf Antrag der Gemeinde oder eines Dritten, der ein berechtigtes Interesse hat – zum Beispiel, weil er das Grundstück erwerben will.

In Leipzig war für derartige Bestellungen das Rechtsamt der Stadt zuständig. Anders als z.B. bei Anordnung einer Pflegschaft für einen Volljährigen, dessen Aufenthalt unbekannt ist (§ 1911BGB) bzw. einer Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben (§ 1960 BGB)  fand eine gerichtliche Prüfung also nicht statt.

Nach dem Wert des Grundstücks bemessen sich Intensität der Suche und Frist

Voraussetzung für die Bestellung des gesetzlichen Vertreters ist zunächst die Feststellung, dass der Eigentümer unbekannt oder unbekannten Aufenthaltes ist. Dies führt zu der Frage, in welchem Umfang die Behörde die Pflicht hat, vor Bestellung des gesetzlichen Vertreters den Eigentümer zu ermitteln.

Eine gesetzliche Leitlinie dafür fehlt. Daher wird man zwischen der durch Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geschützten Position  des unbekannten Eigentümers einerseits und dem in Art. 233 § 2 EGBGB bzw. § 11b VermG andererseits zum Ausdruck kommenden Interesse an einer zügigen Herstellung geordneter Eigentumsverhältnisse  einen Ausgleich suchen müssen. Dabei lässt sich der hierfür geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf die Faustformel bringen: Je wertvoller das Grundstück, desto intensiver muss die Suche nach dem Eigentümer sein.

Werden gar keine Ermittlungen zur Eigentumslage angestellt, genügt dies der Pflicht ganz offensichtlich nicht. Es müssen zumindest nahe liegende Aufklärungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Nachforschungen beim Steueramt der Gemeinde, beim zuständigen Nachlassgericht usw. vorgenommen werden. Auch die Einschaltung von Erbenermittlern kommt hier in Betracht, zumal diese ihr Honorar regelmäßig auf Erfolgsbasis von den Erben erhalten, weshalb ihre Einschaltung der zur Ermittlung der Eigentümer verpflichteten Behörde keinerlei Kosten verursacht.

Erst wenn diese Nachforschungen innerhalb angemessener Frist zu keinem Ergebnis führen, kommt die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters in Betracht. Welche Frist dabei angemessen ist, hängt vom Einzelfall ab - auch hier gilt: Je wertvoller das Grundstück, desto länger die angemessene Frist.

Angebliche Verwahrlosung kein Grund für unterlassene Ermittlungen

Laut dem von der "Süddeutschen Zeitung" zitierten Bericht des Rechnungsprüfungsamtes der Stadt Leipzig  soll in mehreren hundert Fällen überhaupt keine Suche nach den Eigentümern erfolgt sein. In anderen Fällen wurden gesetzliche Vertreter nur Stunden nach Antrag eines Investors bestellt und die Grundstücke binnen weniger Wochen verkauft.

Dabei beriefen sich die befragten Mitarbeiter der Presse gegenüber darauf, man habe in den genannten Fällen schnell handeln müssen. Es habe sich nämlich um verwilderte, vermüllte und zum Teil auch baufällige Grundstücke gehandelt, von denen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen sein sollen.

Dies ist ganz offensichtlich eine Schutzbehauptung: Bei verwilderten und vermüllten Grundstücken kann die Gemeinde die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung selbst im Wege der Ersatzvornahme beseitigen und die Kosten nachträglich dem zwischenzeitlich ermittelten Eigentümer in Rechnung stellen (§ 24 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz).

Nur Zufall? Grundstückstransaktionen waren äußerst lukrativ

Lässt sich der Eigentümer nicht ermitteln, kann dann immer noch ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden, der das Grundstück verkauft und die bei der Ersatzvornahme angefallenen Kosten aus dem Kaufpreis begleicht. Ein Grund, die Ermittlung des Eigentümers von vornherein zu unterlassen, ist das jedenfalls nicht. Ohnehin wird es vermutlich das Geheimnis der betroffenen Mitarbeiter bleiben, warum eine angebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erst in dem Moment festgestellt wird, wenn ein Investor Kaufabsichten bekundet und die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters beantragt, und nicht schon all die "herrenlosen Jahre" zuvor.

Zwar geht es den Presseberichten zufolge derzeit "nur" um den Verkauf der herrenlosen Grundstücke. Womöglich ist dies aber nur die Spitze des Eisbergs: So findet sich nämlich im Jahresbericht 2009 des Sächsischen Landesrechnungshofes zu den Grundstücksgeschäften der Stadt Leipzig und der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft unter Ziff. 2.1 ein anschauliches Beispiel dazu, wie lukrativ Grundstückstransaktionen für Investoren waren - erst recht unter Einbeziehung öffentlicher Fördermittel, die in dem vom Landesrechnungshof angeführten Beispiel zu Unrecht von der Stadt Leipzig bewilligt wurden. Zufall oder nicht?

Ob es sich bei den in Rede stehenden Fällen nur um unglaubliche Schlampereien einiger Mitarbeiter der Stadtverwaltung handelte oder - wie betroffene Eigentümer vermuten - sich ein Netzwerk aus Gutachtern, Bauträgern, Rechtsanwälten gemeinsam mit städtischen Mitarbeitern an zentralen Schaltstellen systematisch auf Kosten der Alteigentümer bereichert hat, steht noch nicht fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Sie könnte noch so manche Überraschung zutage fördern.

Alexander Knauss ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht sowie Bank- und Kapitalmarktrecht in der überörtlichen Sozietät MEYER-KÖRING Rechtsanwälte Steuerberater mit Büros in Bonn und Berlin.

Zitiervorschlag

Alexander Knauss, Leipziger Immobilienskandal: Dunkle Machenschaften oder unglaubliche Behördenschlamperei? . In: Legal Tribune Online, 02.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6114/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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