Hochwasser-Pflichtversicherung: "Gummistiefelpolitik schafft falsche Anreize"

Interview mit Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther

13.06.2013

Während entlang der Elbe noch Sandsäcke geschleppt werden, beraten die Justizminister über eine Hochwasser-Pflichtversicherung. Experte Dirk-Carsten Günther hält davon wenig. Hauseigentümer sollten sich stattdessen freiwillig versichern und gemeinsam mit dem Staat besser vorsorgen. So sei es nicht wirklich sinnvoll, zerstörte Häuser an derselben Stelle ohne besonderen Schutz wieder aufzubauen.

LTO: Nach jeder Flutkatastrophe werden fast schon reflexartig Forderungen nach einer Pflichtversicherung für Hauseigentümer in den Hochwassergebieten laut. Nachdem Thüringen angesichts der Schäden der aktuellen Überschwemmungen nun diesen Vorschlag gemacht hat, diskutierten am Mittwoch die Justizminister von Bund und Ländern den Vorschlag. Wie könnte eine solche Versicherung aussehen?

Günther: Denkbar wäre eine Übernahme des Schweizer Modells. Dort ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Feuerversicherungsverträge nur mit eingeschlossener Elementarschadendeckung vom Versicherer angeboten werden dürfen. Allerdings sind Hauseigentümer in der Schweiz nicht verpflichtet, eine solche Versicherung abzuschließen.

Wenn man eine solche Elementarschadenversicherung als verpflichtend ausgestalten würde, müsste der Staat dies zumindest mittelbar fördern, das könnte sonst kein Versicherer stemmen.

LTO: Wer müsste sich versichern?

Günther: Wenn man sich an das Schweizer Modell anlehnt, wäre dies jeder private und gewerbliche Gebäudeeigentümer, unabhängig davon ob in einem Hochwassergebiet oder in ungefährlichen Regionen.

Prof. Dr. Dirk-Carsten GüntherNur die Bewohner in den Hochwassergebieten zu versichern, wäre absurd. Die Prämie wäre astronomisch, da es in diesen Regionen keine Frage ist, ob, sondern nur in welchen Abständen es zu einem Versicherungsfall kommt. Mit dem Begriff einer Versicherung hätte dies nur noch wenig zu tun. Es müssten daher alle Gebäudeversicherungsverträge zwingend die Elementarschadendeckung beinhalten und sowohl der Deckungsumfang als auch der Prämientarif einheitlich sein.

LTO: Welche Schäden würde eine solche Versicherung abdecken?

Günther: Sämtliche Schäden, die durch Naturkatastrophen entstehen, also nicht nur durch Überschwemmung durch Hochwasser oder Starkregen, sondern auch durch Erdrutsch, Schneedruck,  Lawinen oder Erdbeben und – vielleicht in Deutschland nicht ganz so von Bedeutung – Vulkanausbrüche.

LTO: Wie viel würde das die Versicherten Kosten? Im Moment können sich die meisten Bewohner von Hochwassergebieten eine freiwillige Elementarschaden-Versicherung kaum leisten, weil die Prämien so hoch sind.

Günther: Da bin ich kein Experte. Nur soweit: Die gegenwärtige freiwillige Elementarschadendeckung ist recht preiswert.

"Brauchen wir Ikeamärkte mit versiegelten Parkplätzen auf der grünen Wiese?"

LTO: Was wären Alternativen zu einer Pflichtversicherung?

Günther: Hauseigentümer sollten freiwillig eine Elementarschadenversicherung abschließen. Selbst nach der Hochwasserkatastrophe des Jahres 2002 nahm die Versicherungsdichte für Elementarschadenversicherungen nur ganz langsam zu. Und dies, obwohl sicherlich mehr als 95 Prozent aller Gebäude ohne Probleme versicherbar sind. Ich kann nur jedem empfehlen, eine solche Versicherung abzuschließen, zumal es bei Starkregen überall, ohne das ein Gewässer über die Ufer tritt, zu Überschwemmungen kommen kann. Leider ist es noch nicht im Bewusstsein vieler Gebäudeeigentümer verankert, dass eine Elementarschadenversicherung genauso wichtig ist wie eine Feuerversicherung.

Bei aller menschlichen Tragödie muss man sich auch fragen: Ist es wirklich sinnvoll, zerstörte Häuser an derselben Stelle und ohne zusätzliche Schutzvorkehrungen wieder zu errichten? Brauchen wir Ikeamärkte sprichwörtlich "auf der grünen Wiese" mit versiegelten Parkplatzflächen in der Größe von mehreren Fußballfeldern?

Bei den wenigen Gebäuden, die nicht versicherbar sind, sollten die Sachversicherer Augenmaß walten lassen und nicht pauschal den Versicherungsschutz ablehnen. Sie sollten individuelle Lösungen finden. Dies kann zum Beispiel ein höherer Selbstbehalt sein, aber auch die Vereinbarung einer sogenannten Sicherheitsobliegenheit. Ein einfaches Beispiel: Oft ist nicht der Wasserschaden das größte Problem, sondern der eindringende Schlamm. Wenn das Wasser abfließt, bildet der eine richtig fiese Kruste. Eine erhöhte Türschwelle könnte aber bereits helfen, das Eindringen des Schlammes zu verhindern.

"Hochwasserschutz ist nicht sexy"

LTO: Sehen Sie daneben auch den Staat in der Pflicht?

Günther: Vor kurzem hat das Institut für Versicherungswesen an der FH Köln, wo ich auch tätig bin, ein Symposium zu dieser Frage abgehalten. Einig waren sich sowohl Anhänger als auch Gegner einer Elementarschadenversicherung in einem Punkt: der Ablehnung der "Gummistiefelpolitik". Sie schafft falsche Anreize. Warum sollen Betroffene eine Versicherung abschließen, wenn im Schadenfall ohnehin der Staat aufkommt? Wozu teure Schutzvorkehrungen treffen? Prävention durch die Grundstückseigentümer und den Staat ist der entscheidende Punkt. Hochwasserschutz ist aber nicht gerade "sexy" und enorm mühsam.

Versuchen Sie mal einen Kölner zu überzeugen, dass er Überflutungsflächen zur Verfügung stellt, damit Düsseldorf nicht absäuft. Es wird auch bei vielen Bürgermeistern auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn in potentiell gefährdeten Gebieten keine neuen Bebauungsgebiete ausgewiesen werden dürfen oder gar extrem gefährdete Gebiete "aufgegeben" werden müssen.

Bedenken Sie bei alledem: Die Schäden durch Starkregen nehmen nicht nur aufgrund des ungebrochenen Landschaftsverbrauchs und der Zunahme der versiegelten Fläche zu, sondern auch und gerade durch die Klimaerwärmung. Was wir gegenwärtig erleben, ist nur ein müder Auftakt. So richtig wird es erst in einigen Jahrzehnten losgehen.

LTO: Bereits nach der Flut im Jahr 2002 gab es ähnliche Überlegungen. Die Finanzminister der Länder verwarfen die Idee 2004 aber wieder. Warum?

Günther: Es gab verfassungs- und europarechtliche Bedenken. Außerdem, und ich vermute, das was der Hauptgrund, konnte die Frage der staatlichen Absicherung nicht geklärt werden. Da eine Vollversicherung ohne eine wie auch immer geartete staatliche Unterstützung nicht vorstellbar ist, wird wohl auch die gegenwärtige Diskussion nach einiger Zeit still und leise beendet werden.

LTO: Herr Professor Günther, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner bei BLD Bach Langheid Dallmayer Partnerschaftsgesellschaft, Köln (www.bld.de). Er ist ferner Inhaber des Lehrstuhls für Sachversicherung am Institut für Versicherungswesen an der Fachhochschule Köln und Mitdirektor der dortigen Forschungsstelle Versicherungsrecht.

Die Fragen stellte Andreas Schmitt.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, Hochwasser-Pflichtversicherung: "Gummistiefelpolitik schafft falsche Anreize" . In: Legal Tribune Online, 13.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8923/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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