Er wollte am Willkommensfest für Flüchtlinge teilnehmen. Ein Bonner Jurastudent ist der einzige Bundesbürger, der gegen das Versammlungsverbot in Heidenau geklagt hat. Das BVerfG hat Michael Fengler gerade Recht gegeben*. Ein Gespräch.
LTO: Herr Fengler, Sie haben noch am Freitagabend, nachdem das OVG Bautzen entschieden hat, das Verbot weit überwiegend aufrecht zu erhalten, einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eingereicht. Sie wollen weiterhin das an diesem Wochenende für das gesamte Stadtgebiet geltende Versammlungsverbot in Heidenau kippen. Wie ist der Sachstand?
Fengler: Über den eingereichten Antrag berät nun die zuständige Kammer beim BVerfG. Die drei Richter, die einstimmig entscheiden müssen, müssen dazu überhaupt erst einmal zusammen kommen.
* Update 12:28 Uhr: Das BVerfG hat dem Antrag stattgegeben. Das Demonstrationsverbot in Heidenau wurde soeben aufgehoben.
LTO: Worüber wird das BVerfG dann entscheiden?
Fengler: Darüber, ob die mit einem polizeilichen Notstand begründete, für die gesamte Stadt Heidenau geltende Allgemeinverfügung fortbesteht, welche Versammlungen untersagt. Das OVG Bautzen hat mit seiner Entscheidung ja nur das Willkommensfest der Flüchtlinge am gestrigen Freitag zwischen 15 und 20 Uhr von diesem Verbot ausgenommen.
"Auch das OVG hat den polizeilichen Notstand abgelehnt"
LTO: Mit welcher Begründung?
Fengler: Mit einer aus unserer Sicht absurden: Weil ich geltend gemacht hatte, zu dieser Veranstaltung gehen zu wollen. Das OVG hat den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz also für im Übrigen unzulässig erklärt, weil mir die Antragsbefugnis fehle, weil ich nicht angegeben hatte, an diesem Wochenende noch weitere Versammlungen besuchen zu wollen.
LTO: Nur um das klarzustellen: Das OVG Bautzen hat also Ihren Antrag für begründet erachtet, soweit er zulässig war? Ihr Antrag ist im Übrigen, also bezüglich des Versammlungsverbots für das gesamte Wochenende, an der Zulässigkeit gescheitert?
Fengler: Genau richtig. Ganz explizit hat das OVG den polizeilichen Notstand, mit dem die Behörden in Heidenau das absolute Demonstrationsverbot begründet hatten, in der Sache rundweg abgelehnt. Aber da die Richter meinen Antrag als unzulässig ansahen, soweit er andere Demonstrationen als das Willkommensfest betraf, konnten sie aus ihrer Sicht das Verbot im Übrigen nicht aufheben.
LTO: Inwiefern halten Sie diese Begründung für absurd?
Fengler: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt nicht nur namentlich benannte, sondern auch Spontanversammlungen – weder ich noch sonst irgendwer könnte sich also an diesem Wochenende irgendwo im gesamten Stadtgebiet von Heidenau spontan versammeln.
Zudem geht der Beschluss des OVG nicht konform mit einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1985, nach der über Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs nur einheitlich entschieden werden kann.
Und es geht mir - neben der Versammlungsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit - noch um etwas anderes: Das OVG hat mir am gestrigen Freitag eine Stellungnahmefrist von 15 Minuten gewährt. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes sieht für mich anders aus.
"Wir wollten es versuchen – wir könnten Erfolg haben"
LTO: Das BVerfG betont aber immer wieder, dass es Anordnungen nach Art. 32 BVerfGG nur in absoluten Ausnahmefällen ausspricht. Schon von Gesetzes wegen nur, wenn das "zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist".
Fengler: Natürlich sind die formalen Hürden unglaublich hoch. Zu Recht, denn das BVerfG ist bekanntlich keine Superrevisionsinstanz. Wir wollten es trotzdem versuchen – wir könnten Erfolg haben, zumal das BVerfG die Versammlungsfreiheit sehr hoch hält.
LTO: Und wenn nicht?
Fengler: Dann verfolgen wir die Hauptsache weiter, notfalls durch alle Instanzen.
2/2: Lieber handeln statt viel reden"
LTO: Herr Fengler, warum tun Sie das?
Fengler: Für mich geht es um eine grundsätzliche, fundamentale Frage. Ich habe nichts dagegen, wenn Behörden Auflagen machen, das ist manchmal erforderlich. Aber ein Versammlungsverbot für ein ganzes Stadtgebiet für ein gesamtes Wochenende? Das geht gar nicht!
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit darf nicht auf dem Altar von Budgetierung, Konsolidierung und der unzureichenden Ausstattung der Polizei geopfert werden – das sehen ja im Übrigen auch das VG und das OVG so.
Für die Umsetzung möchte ich lieber handeln statt viel reden. Dabei halte ich nichts von zivilem Ungehorsam, sondern wollte den Rechtsweg beschreiten – und das hat ja auch funktioniert.
LTO: Gerichtsverfahren kosten Geld. Wer trägt nach der Entscheidung des OVG die Kosten? Und vor allem: Wer bezahlt sie?
Fengler: Das ist eine sehr gute Frage. Nach Ansicht des OVG habe ich die Kosten zu 90 Prozent zu tragen, weil ich nur zu einem Zehntel obsiegt habe. Das sind rund 1.000 Euro für die beiden Instanzen …
LTO: Und Sie sind Student.
Fengler: Richtig. Aber heute Morgen hat mich Sigmar Gabriel angerufen – das passiert einem ja auch nicht gerade jeden Tag (lacht). Er hat mir seine Anerkennung für die Einleitung des Verfahrens ausgesprochen. Und mich gebeten, die Rechnung für die Verfahrenskosten an ihn zu schicken, damit er diese übernehmen kann.
"Junge Juristen hinterfragen zu wenig"
LTO: Sind Sie ein politischer Mensch?
Fengler: Ich bin selbst JuSo, also sicherlich kein unpolitischer Mensch.
LTO: Sind Sie die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt? Oder teilen Sie die häufig zu hörende Kritik nicht, dass gerade die jungen Juristen nur noch auf ein Prädikatsexamen hinstreben und Wissen pauken, anstatt Dinge zu hinterfragen?
Fengler: Was die breite Masse der Juristen angeht, muss man wohl leider einsehen, dass das kritische Denken in den vergangenen Jahren gelitten hat. Ich würde mir wünschen, dass junge angehende JuristInnen kritischer begutachten, was sie tun.
Aber es gibt ja auch Ausnahmen: An vielen Fakultäten gibt es Arbeitskreise kritischer JuristInnen. Dort setzen Menschen sich kritisch mit unserem Rechtssystem auseinander. Und sie wie auch viele Anwälte bieten Pro-Bono-Beratung an.
LTO: Herr Fengler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Michael Fengler ist Jurastudent in Bonn. Er arbeitet seit mehreren Jahren in der Kanzlei Felser in Brühl und spezialisiert sich auf das Beamtenrecht. Die Anträge an die Gerichte in Sachsen hat er selbst verfasst, sein Chef Michael Felser hat den Antrag an das BVerfG gestellt. Fengler hat, obgleich er noch keinen deutschen Studienabschluss hat, bereits einen Master of Laws an der University of East Anglia absolviert. Dabei wurde er gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Pia Lorenz, Jurastudent lässt Demoverbot in Heidenau aufheben*: "Das BVerfG hat unserem Antrag stattgegeben"* . In: Legal Tribune Online, 29.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16748/ (abgerufen am: 19.03.2024 )
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