Hate-Speech: "Besser digi­tale Poli­zei­be­hörden als neue Gesetze"

Interview von Dr. Anja Hall

04.01.2017

3/3 "Gesetzliche Regelungen konsequent anwenden"

LTO: Die Gesetzeslage reicht also aus, um gegen Hassrede vorzugehen, trotzdem passiert kaum etwas. Woran liegt das?

Haberkamm: Letztlich müsste man die bestehenden gesetzlichen Regelungen nur ernsthaft und konsequent anwenden und die vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten mit der jeweils gebotenen Härte tatsächlich umsetzen. Das wäre sinnvoller, als unter Beteiligung der Ministerien weitere Initiativen zu starten oder nach neuen Gesetzen zu rufen.

Zunächst müssen die Nutzer strafbare Inhalte im Internet konsequent zur Anzeige bringen. Leider werden eindeutig strafbare Inhalte größtenteils ignoriert, weil die Betroffenen davon ausgehen, "dass man dagegen ja eh nichts machen kann". Durch eine solche Haltung toleriert man Straftaten und macht das Internet und die sozialen Netzwerke zu einem Fass ohne Boden für immer weitere Straftaten. Die schlichte Billigung von Straftaten wird dazu führen, dass strafbare Äußerungen als Standard im Internet akzeptiert werden. Dies wäre die Kapitulation der Gesellschaft vor dem Medium Internet.

LTO: Viele Internetnutzer scheinen nicht gerade auf eine effektive Strafverfolgung zu vertrauen…

Haberkamm: Richtig, und das führt auf der einen Seite zum Tolerieren von strafbaren Äußerungen und auf der anderen Seite spiegelbildlich auch zu einem Anstieg der getätigten strafbaren Äußerungen, weil eben gerade keine konsequente Sanktionierung gefürchtet wird.

In der Praxis werden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von strafbaren Äußerungen im Internet in den ganz überwiegenden Fällen eingestellt. Das liegt v.a. daran dass die zuständigen Stellen überlastet und überfordert sind. Das wird dann von den falschen Leuten als Freifahrtschein für strafbare Äußerungen verstanden.

Erster Schritt: Digitale Polizeibehörden

LTO: Wie könnte man dem abhelfen?

Haberkamm: Es müssen weitere hochspezialisierte Kriminalkommissariate geschaffen oder die vorhandenen Kommissariate und Abteilungen ausgebaut und spezialisiert werden. Das würde eine zutreffende Analyse und Bearbeitung internetspezifischer Äußerungsstraftaten ermöglichen. Diese Sachverhalte müssen dann über gleichfalls spezialisierte Staatsanwaltschaften weiterverfolgt werden, um letztlich über ein Gerichtsverfahren zu einer Verurteilung des strafbaren Verhaltens zu führen. 

Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die Einführung digitaler Polizeibehörden, bei denen problematische Äußerungen online und damit vereinfacht und mediumsgerecht zur Anzeige gebracht werden können. Dieser erste Schritt ist aber sinnlos, wenn dann zu wenige und nicht ausreichend qualifizierte Polizeibeamte vorhanden sind, um die Anzeigen zielführend zu bearbeiten.

LTO: In welcher Rolle sehen Sie dabei die Politik?

Haberkamm: Die Politik muss ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um weitere qualifizierte Stellen bei den Strafverfolgungsbehörden zu schaffen und den Beamten eine effektive Handhabung internetspezifischer Äußerungsstraftaten zu ermöglichen. Zudem müssen die zuständigen Ministerien die Polizei über die Staatsanwaltschaften scharf anweisen, entsprechende Straftaten mit der gebotenen Härte und Konsequenz zu verfolgen.

Wenn die Sanktionsmöglichkeiten wirklich umgesetzt werden, muss auch niemand nach neuen Gesetzen rufen. Werden die bestehenden Gesetze aber weiterhin so ineffektiv umgesetzt wie bisher, dann erscheint der Ruf nach neuen Gesetzen sogar als simpler Populismus.

Dr. Niklas Haberkamm ist Partner der Kölner Medienrechtskanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum. Er ist spezialisiert in den Bereichen des Medienrechts und Geistigen Eigentums und betreut Verfahren im Bereich des Persönlichkeitsschutzes (Reputationsmanagement).

Zitiervorschlag

Anja Hall, Hate-Speech: "Besser digitale Polizeibehörden als neue Gesetze" . In: Legal Tribune Online, 04.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21648/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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