Hamburger Gesetz zur Dauerobservation: Angst vor der Überwachungslücke

von Claudia Kornmeier

24.01.2014

Mitte Dezember mahnte das VG Hamburg eine Gesetzesgrundlage für die dauerhafte polizeiliche Überwachung eines ehemaligen Sicherungsverwahrten an. Einen Monat später präsentiert der Landesgesetzgeber bereits eine neue Vorschrift im Polizeirecht. So schnell arbeitet die Legislative selten. Dabei geht es nur um einen einzigen Fall.

Diskutiert haben die Hamburger Abgeordneten nicht viel. Eine Beratung im Ausschuss oder gar eine Anhörung von Experten wurde aufgeschoben. Das Gesetz sollte möglichst schnell in Kraft treten, um ja keine Lücken bei der Überwachung eines Sexualstraftäters entstehen zu lassen.

Dabei geht es um ein heikles Thema: die polizeiliche Rund-um-die-Uhr-Überwachung von entlassenen Sicherungsverwahrten, genauer: einem entlassenen Sicherungsverwahrten. Der Gesetzentwurf spricht freilich von "polizeilicher Begleitung", was gleich viel netter klingt als "Dauerobservation". Als ginge es darum, dass die Polizei dem entlassenen Straftäter im Alltag zur Seite steht, ihm bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft hilft.

"Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass …" – zu vage?

Die Linken stimmten dem Gesetzentwurf als einzige Fraktion nicht zu. Ihnen sind die Tatbestandsvoraussetzungen nicht restriktiv genug. Überwacht werden dürfen nach der neuen Regelung nur Personen, bei denen die Sicherungsverwahrung nachträglich verlängert worden ist, obwohl das Gesetz ursprünglich eine Höchstgrenze von zehn Jahren vorsah. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte diese Praxis 2009 für menschenrechtswidrig erklärt.

In der Hansestadt trifft diese Voraussetzung  im Moment für genau zwei Männer zu. Von ihnen stuft die Polizei nur einen für so gefährlich ein, dass sie eine Überwachung für nötig hält. Da nicht damit zu rechnen ist, dass in Zukunft alle entlassenen Straftätern, deren Sicherungsverwahrung zu Unrecht nachträglich verlängert worden ist, nach Hamburg ziehen, werden es auch nicht viel mehr werden. Der observierte Mann versucht auf dem Verwaltungsrechtsweg, die Überwachung zu stoppen und war in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hamburg damit sogar erfolgreich. Das Land hat allerdings Berufung eingelegt und nun Schützenhilfe vom Gesetzgeber bekommen.

Nach der neuen Vorschrift, § 12c des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der zu Überwachende schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird und die Observation zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich ist. Den Linken ist diese Formulierung zu vage. Sie wollen die Polizei gesetzlich dazu verpflichten, den Betroffenen zeitnah zu begutachten.

Was aber, wenn sich jemand weigert, sich weiter begutachten zu lassen, weil er nach zahlreichen Gutachten irgendwann in den Jahren zwischen Haft, regulärer und unvorhersehbarer nachträglicher Sicherungsverwahrung das Vertrauen in die Ärzte verloren hat? In einem Fall, über den das Freiburger VG zu entscheiden hatte, war dies so. Der Mann wollte sich einfach nicht mehr den Fragen der Psychiater und Psychologen stellen.

"Der Kernbereich privater Lebensführung ist zu wahren" – eine bloße Floskel?

Anordnen darf die Observation nach dem neuen Gesetz im Regelfall nur der Polizeipräsident oder sein Vertreter. Statuiert wird damit also nur ein Behördenleitervorbehalt, nicht der strengere Richtervorbehalt. Linke und Grüne – letztere hatten sich bei der Abstimmung in der Bürgerschaft enthalten – hatten einen Richtervorbehalt gefordert und auch das VG hatte in diese Richtung gedacht. Allerdings ist die Dauerobservation keine verdeckte Maßnahme, für die ein Richtervorbehalt eigentlich gedacht ist. Er soll kompensieren, dass der Betroffene selbst keinen Rechtsschutz suchen kann, weil er nichts von der Maßnahme weiß.

Die Anordnung der Überwachung muss ausführlich dokumentiert und auf drei Monate befristet werden. Eine Verlängerung um jeweils maximal zwei Monate ist möglich. Eine absolute Höchstfrist gibt es damit nicht, es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Anordnungsvoraussetzungen weiter vorliegen müssen, wenn die Überwachung fortgesetzt werden soll. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Restriktiver wird die Ermächtigung dadurch jedenfalls nicht, auch wenn es beim ersten Lesen vielleicht so klingen mag.

Floskelartig spricht der Gesetzgeber noch davon, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren ist. Aber ist das bei einer solchen Maßnahme überhaupt möglich? Wenn einem die Polizei auf Schritt und Tritt folgt, man kein Gespräch beginnen kann, ohne dass das Gegenüber sofort über die eigene Vergangenheit aufgeklärt wird, ein Besuch bei den Eltern nur möglich ist, wenn auch die Beamten ins Wohnzimmer gelassen werden?

Die Gesetzesbegründung geht mit keinem Wort auf die Rechtsprechung von EGMR und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Sicherungsverwahrung ein. Straßburg und Karlsruhe haben aber auch gefordert, dass sich diese von der normalen Haft deutlich unterscheidet, weil sie keine Sanktion für eine Straftat ist, sondern der Vorbeugung künftiger Straftaten dient. Das muss erst recht für die Dauerobservation der nach dem EGMR-Urteil entlassenen Männer gelten. Die Gefahrenabwehr der Polizei darf nicht zu einer mobilen Sicherungsverwahrung ohne Therapieangebote und Hilfe bei der Wiedereingliederung in den Alltag mutieren, denn damit gewönnen die Entlassenen kaum Freiheit zurück.

Keine Ausschussberatung, keine Expertenanhörung – genug Diskussion?

Der SPD, die den Gesetzentwurf in die Bürgerschaft eingebracht hat, ging es jetzt erst einmal darum, in dem einen Hamburger Fall keine Lücke in der Überwachung entstehen zu lassen. Die Fraktion war sich einig, dass weiter überwacht werden müsse und der Polizei dafür die Kontrollmöglichkeiten an die Hand gegeben werden sollten.

Deshalb wurde das Gesetz auch nicht – wie üblich – vorab im Ausschuss diskutiert. Eine Beratung und eine Expertenanhörung sollen nun im Nachgang stattfinden, wenn das Gesetz längst in Kraft getreten ist und die Dauerobservation weiterläuft.

Über ein Gesetz, das so tief in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, muss aber öffentlich diskutiert werden. Es muss dabei auch die Frage gestellt, ob man die Polizei überhaupt zur Dauerobservation ermächtigen will. Bis zu dem neuen Gesetz in Hamburg hat die Polizei diese Frage alleine beantwortet und so Tatsachen geschaffen. Die Gerichte haben lediglich entschieden, dass eine Dauerobservation nicht zwingend gegen das Grundgesetz verstoßen muss. Das entbindet aber nicht davon, die Ausgangsfrage zu beantworten: Wollen wir die Polizei zur Dauerobservation entlassener Sexualstraftäter ermächtigen?

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, Hamburger Gesetz zur Dauerobservation: Angst vor der Überwachungslücke . In: Legal Tribune Online, 24.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10768/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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