Grundrechte-Report 2013: "Traurige Realität"

von Annelie Kaufmann

08.06.2013

Am Donnerstag wurde in Karlsruhe der aktuelle Grundrechte-Report vorgestellt. Die Herausgeber, eine Gruppe juristischer Verbände und Organisationen, kritisieren, dass die Sicherheitsbehörden eher gestärkt als geschwächt aus dem NSU-Skandal hervorgehen. Sie wollen den Verfassungsschutz abschaffen und kritisieren den jüngsten Polizeieinsatz bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt.

Als "Alternativer Verfassungsschutzbericht" ist der Grundrechte-Report bekannt geworden. Nun weisen die Herausgeber diese Bezeichnung schon im Vorwort zurück: "Es gibt keine Alternative mehr. Er ist der einzige." Denn 2013 steht, wie nicht anders zu erwarten war, die Kritik an den Sicherheitsbehörden im Mittelpunkt des Berichts.

Der Grundrechte-Report wirft jährlich einen Blick auf die Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, kritisiert Eingriffe in Grundrechte und dokumentiert Verstöße gegen das Grundgesetz. Zu den Herausgebern gehören vier Juristenverbände – der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, die Neue Richtervereinigung und der Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen – sowie die Bürgerrechtsorganisationen Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Internationale Liga für Menschenrechte und "Pro Asyl".

Am Donnerstag stellte die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, den Bericht in Karlsruhe vor. Sie nahm die Präsentation zum Anlass, um unabhängige Ermittlungen gegen Polizeigewalt und die Identifizierung von Polizeibeamten im Einsatz zu fordern.

Bericht stellt Verfassungsschutz in Frage

Schon im vorigen Jahr hatte sich der Grundrechte-Report mit dem Verfassungsschutz befasst, kurz nachdem der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bekannt geworden war. Die Verfassungsschutzämter seien "auf dem rechten Auge blind, auf dem linken Auge hyperaktiv bis wahnhaft", lautete damals der Vorwurf. Seitdem sind fünf Leiter von Verfassungsschutzämtern zurückgetreten und der Prozess gegen Beate Zschäpe eröffnet worden.

Dennoch kommt der diesjährige Report zu dem Ergebnis, dass sich die Situation nicht verbessert habe. So warnt der Journalist Heiner Busch davor, den NSU-Skandal lediglich als "Betriebsunfall" einzuordnen, und der Rechtsprofessor Christoph Gusy stellt "eine gewisse Ermüdung der Öffentlichkeit an Skandalen der Nachrichtendienste" fest. "Wir sind der Meinung, dass der Verfassungsschutz grundlegend in Frage gestellt werden muss", sagt Mitherausgeberin Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. "Er ist nicht kontrollierbar und deshalb demokratisch nicht vertretbar."

Derzeit sehe es jedoch eher so aus, als könnten die Sicherheitsbehörden gestärkt aus dem NSU-Skandal hervorgehen, kritisiert der Report. Schon 2011 wurde als Reaktion das Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) eingerichtet, um die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten zu verbessern. Kaum ein Jahr später wurde aus dem GAR das GETZ – das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismus Abwehrzentrum, das nun auch "Linksextremismus" und "Ausländerextremismus" bekämpfen soll.

Inzwischen wird über die Verfassungsmäßigkeit des GETZ diskutiert, zumal das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Antiterrordatei Ende April das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten betont hat. Insoweit ist der Grundrechte-Report allerdings nicht auf dem neusten Stand.

Kritik an unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung

Der Ausbau der Sicherheitsbehörden sei aber die falsche Antwort. "Geheimdienste neigen dazu, sich zu verselbstständigen und ihre eigene Idee davon zu entwickeln, was verfassungsgemäß oder nicht verfassungsgemäß ist", erklärt Stevens. Die Herausgeber des Grundrechte-Reports setzen deshalb auf zivilgesellschaftliche Organisationen – und kritisieren unverhältnismäßige staatliche Überwachung. "Es gibt ja viele Beispiele, wo Gruppen durch Verfassungsschutzberichte diffamiert werden", sagt Stevens.

"Dagegen wehren sie sich und haben vor Gericht auch oft Erfolg. Aber das bindet Kräfte, ist unsinnig und macht immer wieder deutlich, dass der Verfassungsschutz gerne jede Kritik als verfassungswidrig bezeichnet, obwohl das Grundgesetz schließlich zahlreiche Meinungen zulässt." So hatte das Jahressteuergesetz 2013 zunächst vorgesehen, Vereinen steuerliche Vorteile zu entziehen, wenn sie vom Verfassungsschutz als "extremistisch" eingestuft werden. Angesichts scharfer Kritik wurde die Vorschrift aus dem Entwurf gestrichen – was die Herausgeber begrüßen: Ansonsten hätten möglicherweise zahlreiche Vereine ihre Existenzgrundlage verloren, die bisher als gemeinnützig eingestuft worden waren.

Herausgeber verurteilen Polizeieinsatz bei Blockupy-Demo

Zivilgesellschaftliches Engagement, Meinungsäußerung und Partizipation sind regelmäßig Themen des Reports. "Ein ganz zentrales Grundrecht ist dabei das Versammlungsrecht", so Stevens. "Ich glaube es gibt keinen Grundrechte-Report in all den 18 Jahren, in dem wir nicht über die Verletzung des Versammlungsgrundrechts berichtet haben."

Im aktuellen Report geht es unter anderem um die Blockupy-Proteste in Frankfurt, die mit Versammlungsverboten und Platzverweisen eingeschränkt wurden. Die Präsentation in Karlsruhe nutzen die Herausgeber außerdem, um den Polizeieinsatz bei den diesjährigen Blockupy-Demonstrationen vom 1. Juni zu verurteilen. "Diesmal waren die Demonstrationen zwar gerichtlich erlaubt, aber die Polizei hat dann früh in die Demonstration eingegriffen und jeden weiteren Demonstrationszug verhindert", so Stevens.

"Ganz ohne unser Zutun", so die Herausgeber, sei ein weiteres Thema zu einem inhaltlichen Schwerpunkt des Reports geworden. Zwanzig Jahre nachdem das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde, spiegelten die zahlreichen Beiträge dazu eine "traurige Realität". Kritisiert werden etwa die Sonderasylverfahren für Roma, die Situation unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge und die mangelhafte Aufarbeitung im Fall des Asylsuchenden Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle verbrannte.

Soziale Grundrechte und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum sowie der Datenschutz sind weitere Themen, die in den letzten Jahren wichtiger geworden sind. Das hat etwa das soziale Netzwerk Facebook in das Blickfeld des Reports gerückt, das nicht nur umfassend Daten sammelt, sondern zunehmend auch von staatlichen Behörden und von Arbeitgebern genutzt wird, um an Informationen zu gelangen. "Die Themen gehen uns jedenfalls überhaupt nicht aus", meint Elke Stevens, "eigentlich sind es jedes Jahr mehr, als wir tatsächlich aufnehmen können."

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Grundrechte-Report 2013: "Traurige Realität" . In: Legal Tribune Online, 08.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8871/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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