Griechenland unterliegt vor dem IGH: Maze­do­nien trägt wei­terhin das Erbe des großen Alex­an­ders

Seit Jahren streiten Griechenland und die "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" darüber, ob sich diese auf internationaler Ebene "Republik Mazedonien" nennen darf. Nachdem hieran schon der mazedonische Antrag auf NATO-Mitgliedschaft scheiterte, hat das Land vor dem IGH nun  einen Prestigesieg errungen. Doch der Streit wird weitergehen, meint Przemyslaw Roguski.

Der geschichtsinteressierte Leser wird wohlmöglich direkt an die Antike denken, wenn er den Namen "Mazedonien" hört. Im Jahre 334 v. Chr. zog Alexander II. von Makedonien, der später den Beinamen "der Große" erhielt, mit einer griechisch-makedonischen Armee Richtung Osten und schuf innerhalb weniger Jahre ein Weltreich, das von der Ägäis bis zum Indus reichte. Der Ruhm jener Heldentat klingt sogar noch heute, 23 Jahrhunderte später, und haftet auch dem Namen Makedonien/Mazedonien an. Es verwundert daher nicht, dass sich Staaten und Völker als Erben jenes antiken Makedoniens sehen möchten.

Diese historische Anknüpfung ist im Wesentlichen auch der Hintergrund jenes Namensstreits, der seit Jahren zwischen Griechenland und Mazedonien schwillt. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens erklärte die Teilrepublik Mazedonien im Jahre 1991 ihre Unabhängigkeit. Den über Jahrzehnte als jugoslawischer Gliedstaat benutzten Namen wollte die junge Republik nunmehr auch als unabhängiger Staat führen. Dieses Ansinnen stieß jedoch auf heftigen Widerstand Griechenlands, welches dem neuen Staat die Anerkennung unter diesem Namen verweigerte. Griechenland beansprucht das kulturelle Erbe des alten Makedonien für sich und behauptet, der Name "Mazedonien" suggeriere einen territorialen Anspruch auf die nordgriechische Provinz Makedonien.

Sein angebliches Vorrecht auf den Namen Makedonien/Mazedonien verteidigt Griechenland auch mit diplomatischen Mitteln. Doch diese waren nicht immer ganz „sauber“, wie der Internationale Gerichtshof (IGH) nun entschied. Das aktuelle Urteil beschert dem beklagten Griechenland damit eine herbe Niederlage und erlaubt dem klagenden Land, sich selbst weiterhin "Republik Mazedonien" zu nennen (Urt. v. 05.12.2011 - Application of the Interim Accord of 13 September 1995).

Aus Mazedonien wird FYROM

Dem Verdikt aus Den Haag gingen jahrelange umfangreiche Verhandlungen zwischen den betroffenen Staaten voraus. Um die Aufnahme Mazedoniens in die Vereinten Nationen (UN) nicht durch die Querelen um den Namen zu gefährden, empfahl der Sicherheitsrat der Generalversammlung in Resolution 817 die Aufnahme des Staates mit der Maßgabe, dass er innerhalb der UN den Namen "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" (im Englischen "Former Yugoslav Republic of Macedonia", kurz FYROM) tragen solle. Dieser Name sollte so lange gelten, bis die Parteien im Namensstreit eine einvernehmliche Lösung gefunden haben.

Zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen bis zu der Klärung des Namensstreits, schlossen Griechenland und Mazedonien am 13. September 1995 ein Interimsabkommen. Dessen Artikel 11 Absatz 1 bestimmt, dass Griechenland in internationalen Organisationen, denen es selbst angehört, keine namensbezogenen Einwände gegen die Mitgliedschaft Mazedoniens erheben darf, solange gegenüber Mazedonien in diesen Organisationen der innerhalb der UN benutzte Name "FYROM" verwendet wird.

In der Folgezeit trat Mazedonien mehreren internationalen Organisationen bei, denen auch Griechenland angehörte. Das Land stellte auch einen Aufnahmeantrag bei der NATO, nachdem es seit 1995 an der "Partnerschaft für den Frieden" und seit 1999 am "Membership Action Plan" teilnahm. Über den Aufnahmeantrag Mazedoniens sollte während des NATO-Gipfels in Bukarest im April 2008 entschieden werden. Eine Einladung Mazedoniens in die NATO scheiterte jedoch am Widerstand Griechenlands, das bereits vor dem Gipfel unter anderem in diplomatischer Korrespondenz ankündigte, solange der Aufnahme entgegenzustehen, bis der Namensstreit abschließend gelöst ist.

Der IGH stellt sich klar auf Seiten Mazedoniens

Mazedonien sah darin eine Verletzung des Art. 11 Abs. 1 des Interimsabkommens und verklagte Griechenland vor dem IGH. Griechenland wandte ein, das Haager Tribunal sei nicht befugt, über die Klage zu urteilen, da die Entscheidung über die Nichtaufnahme von der NATO gefällt würde und daher nicht der Jurisdiktion des Gerichtshofs unterfalle. Ein Urteil würde auch keine praktische Wirkung entfalten, denn es könne weder die NATO-Entscheidung aufheben, noch die Aufnahmebedingungen abändern. Auch sei das Veto eine zulässige Repressalie und durch Art. 11 Abs. 1 gedeckt, denn Mazedonien selbst habe gegen das Interimsabkommen verstoßen, indem es sich in Kontakten mit Drittstaaten als "Republik Mazedonien" bezeichnet habe, obwohl dieser Name für den bilateralen, und multilateralen Gebrauch erst durch Verhandlungen mit Griechenland festgelegt werden sollte.

All diesen Argumenten erteilte der IGH eine klare Absage. Zu den Einwänden hinsichtlich seiner Zuständigkeit stellte der Gerichtshof fest, dass nicht der NATO-Beschluss über die Nichtaufnahme Mazedoniens, sondern eine Handlung Griechenlands Klagegegenstand sei und die Haager Richter darüber entscheiden dürften. Das Urteil müsse auch keine praktische Wirkung im Sinne einer Aufhebung oder Abänderung des NATO-Beschlusses entfalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seien auch bloße Feststellungsurteile zulässig.

Auch bei dem Hauptargument Mazedoniens, einer Verletzung des Art. 11 Abs. 1 des Interimsabkommens, stellte sich der IGH auf die Seite des klagenden Staates. Griechenland habe durch sein Veto die vertragliche Verpflichtung verletzt, keine Einwände gegen die Mitgliedschaft Mazedoniens in internationalen Organisationen, in den es selbst Mitglied ist, zu erheben. Griechenland dürfe nur dann der Aufnahme widersprechen, wenn die internationale Organisation selbst in Bezug auf Mazedonien einen anderen Namen als "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" verwenden wollte. Hingegen enthalte weder Art. 11 Abs. 1, noch eine andere Bestimmung des Interimsabkommens das an Mazedonien gerichtete Verbot, innerhalb internationaler Organisationen oder im bilateralen Verkehr in Bezug auf den eigenen Staat die Bezeichnung "Republik Mazedonien" zu benutzen. Daher käme auch eine Repressalie seitens Griechenlands nicht in Frage.

Ein offensichtlicher Verstoß Griechenlands

Es erstaunt wenig, dass das Urteil des IGH so eindeutig zugunsten Mazedoniens ausfiel: Griechenlands verstieß mit seiner Haltung klar gegen das Interimsabkommen. Dennoch sollte dieser diplomatisch sicherlich prestigevolle Sieg nicht überbewertet werden. Der NATO-Beschluss, dass Mazedonien bis zur einvernehmlichen Regelung des Namensstreits nicht in die Organisation eingeladen wird, bleibt weiterhin bestehen.

Griechenland kann weiterhin die Aufnahme Mazedoniens in die NATO und EU blockieren, darf dies aber nicht mehr mit dem Namensstreit begründen. Auch zu der Stichhaltigkeit der griechischen Argumente im Namensstreit sagte der IGH nichts, war dies doch nicht Gegenstand der Klage.

Es bleibt also beim Alten: Mazedonien wird innerhalb der UN und anderer internationaler Organisationen weiterhin "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" heißen, sich selbst aber "Republik Mazedonien" nennen. Man kann daher nur hoffen, dass das IGH-Urteil beide Seiten bewegen kann, die festgefahrenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und den Namensstreit endlich zu beenden. Das kulturelle Erbe Alexanders ist sicherlich groß genug, dass man es auch teilen kann.

Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

 

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Zitiervorschlag

Przemyslaw Roguski, Griechenland unterliegt vor dem IGH: Mazedonien trägt weiterhin das Erbe des großen Alexanders . In: Legal Tribune Online, 06.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4982/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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