Neuregulierung des Glücksspiel-Staatsvertrags: Die Libe­ra­li­sierer setzen sich durch

von Dr. Christian Rath

27.01.2020

Die Länder wollen das Verbot für Online-Casinos und Online-Poker aufheben. Sie haben sich auf einen neuen Glücksspiel-Staatsvertrag geeinigt. Für Christian Rath ist dies der logische Endpunkt einer gescheiterten Regulierung.
 

Seit rund 15 Jahren versucht Deutschland den Glücksspiel-Sektor rechtssicher zu regulieren. Immer neue Anläufe scheitern an der Justiz und an der Uneinigkeit der Bundesländer. Nun steht endlich ein
Durchbruch bevor, dessen Bedeutung deutlicher wird, wenn man die bisherige Geschichte der Glücksspielregulierung nachverfolgt. 

Staatsvertrag als Reaktion auf BVerfG-Urteil

Am Anfang ging es nur um Sportwetten. 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 28. 3. 2006, 1 BvR 1054/01), dass das Staatsmonopol auf Sportwetten nur zu rechtfertigen ist, wenn es ausdrücklich dem Ziel der Suchtprävention dient. Die bloße Erzielung höherer Staatseinnahmen könne kein Monopol rechtfertigen, auch nicht die Verwendung der Gelder für gemeinnützige Zwecke. 

2008 beschlossen die Länder erstmals einen Glücksspiel-Staatsvertrag (GlüStV). Das staatliche Monopol für Sportwetten und Lotterien wurde nun ausdrücklich in den Dienst der Suchtprävention gestellt. Zudem enthielt der Staatsvertrag ein Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels im Internet sowie der Werbung für öffentliches Glücksspiel im Internet und im Fernsehen.

1. Änderungs-Staatsvertrag als Reaktion auf EuGH-Urteil

Das BVerfG hielt den GlüStV 2009 für verfassungskonform (Beschluss vom 20. 3. 2009, 1 BvR 2410/08). Allerdings sah der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010, C-316/07, u.a, Stoß) 2010 in der konkreten Ausgestaltung des Monopols eine Verletzung der EU-Dienstleistungsfreiheit. Der EuGH lehnte die Regulierung der Glücksspielbranche zwar nicht generell ab, beanstandete aber zum einen die Werbung der Monopol-Anbieter. Diese sei zu sehr auf das Anlocken von Spielern ausgerichtet und konterkariere damit das Ziel der Suchtprävention. Außerdem fehle der deutschen Glücksspielpolitik die Kohärenz. Wer das Automatenspiel mit seinem relativ hohen Suchtpotenzial liberalisiere, könne nicht gleichzeitig ein Staatsmonopol für weniger gefährliche Sportwetten aufrechterhalten, so der EuGH.

2011 wurde deshalb der erste Änderungs-Staatsvertrag zum Glückspiel-Staatsvertrag (1. GlüÄndStV) beschlossen. Er sah für eine Experimentierphase von sieben Jahren die Vergabe von 20 Konzessionen für private Sportwettenanbieter vor. Diese sollten im Gegenzug 5 Prozent der Einnahmen als Spieleinsatzsteuer an den Staat abführen. Für Lotterien sollte das Staatsmonopol jedoch bestehen bleiben. Online Casinos und Online-Poker sollten verboten bleiben. Für Automatenspiele sollten künftig sogar strengere Regeln gelten. Unter anderem sollten Spielhallen einen bestimmten Mindestabstand zur nächsten Spielhalle einhalten. 

Der 1. GlüÄndStV wurde allerdings nur von 15 Bundesländern beschlossen. Schleswig-Holsteins CDU/FDP-Koalition scherte aus und beschloss ein abweichendes Landesgesetz, ohne zahlenmäßige Beschränkungen für Sportwetten-Lizenzen. Auch Online-Casinos wurden erlaubt. Erst 2013 nach dem Regierungswechsel zu einer SPD-Grün-SSW-Koalition schloss sich Schleswig-Holstein wieder den anderen Ländern an. Die zwischenzeitlich vergebenen Lizenzen für 12 Online-Casinos gelten aber fort. 

Das Scheitern des 1. Änderungs-Staatsvertrags

Die Vergabe der bundesweit 20 Lizenzen für Sportwettenanbieter durch das zuständige Land Hessen endete im Fiasko. Im Mai 2015 stoppte das Verwaltungsgericht Wiesbaden (Beschluss vom 13. 5. 2015, 5 L 1453/14.WI) auf Klage eines Bewerbers, der leer ausgehen sollte, das Verfahren. Es sei zu intransparent, die Richter könnten nicht prüfen, nach welchen Kriterien letztlich Konzessionen vergeben werden. Im Oktober 2015 bestätigte der Verwaltungsgerichtshof Kassel den Verfahrensstopp (Beschluss vom 16. 10. 2015, 8 B 1028/15). Er bemängelte zusätzlich die mangelnde demokratische Legitimation des Gremiums ("Glückspielkollegium"), das unter Beteiligung aller Länder die hessischen Verwaltungsakte vorbereitete und vorgab.

Der 1. GlüÄndStV wurde dann endgültig zahnlos, als der EuGH im Februar 2016 (Urteil vom 4. 2. 2016, C- 336/14, Ince) die Sanktionierung ausländischer Wettanbieter verbot - solange es in Deutschland kein legitimes und funktionierendes Konzessionsvergabeverfahren gibt.

Das Scheitern des 2. Änderungs-Staatsvertrags

Die Reaktion der Länder: Im März 2017 beschlossen die Ministerpräsidenten den 2. Glücksspiel-Änderungsstaatsvertrag (2. GlüÄndStv). Als wesentliche Änderung sollte es keine zahlenmäßige Beschränkung der Sportwetten-Konzessionen mehr geben. Alle 35 Anbieter, die noch im Verfahren waren, sollten nun eine Erlaubnis erhalten. 

Doch auch dieser Regulierungsversuch ging schief. Denn ein Staatsvertrag muss noch in 16 Landesgesetze umgesetzt werden. Das heißt, 16 Landesparlamente mussten zustimmen. Doch die Landtage von zunächst Schleswig-Holstein und dann auch Nordrhein-Westfalen verweigerten sich, vor allem auf Druck der FDP. Die beiden Landtage monierten, dass nur Sportwettenanbieter, nicht aber Online-Casinos legalisiert werden sollten. Ende 2017 war klar, dass der 2. GlüÄndStV gescheitert war. 

Der Wildwuchs greift um sich

Seitdem verhandeln die Länder wieder. Denn die mangelnde Regulierung führte zu weitgehendem Wildwuchs. Der so genannte Illegale Markt hat inzwischen einen Marktanteil von 20 Prozent am gesamten
Glückspielmarkt in Deutschland (das sind 2,6 Mrd. Euro von knapp 14 Mrd. Euro, so der Jahresreport 2018 der Glückspielaufsichtsbehörden der Länder). Bei Sportwetten haben die ausländischen Anbieter sogar einen Marktanteil von über 99 Prozent. Die staatlichen Anbieter Oddset und Toto spielen wegen ihrer schlechteren Quoten fast gar keine Rolle mehr. Online-Casinos sind das zweite umsatzstarke Online-Angebot.

Die Folgen sind nicht nur im Internet sichtbar. Wettbüros, die Angebote ausländischer Unternehmen vermitteln, können nicht geschlossen werden. Sportvereine werben auf Trikots und im Stadion für Wettfirmen ohne deutsche Konzession. Selten wirkte der Staat so machtlos und fast schon lächerlich. 

Strategischer Vorteil der Liberalisierer

Die liberalisierungsfreudlichen Bundesländer, zu denen neben Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen inzwischen auch das schwarz-grüne Hessen zählt, sitzen bei den Verhandlungen um einen neuen
Glücksspiel-Staatsvertrag am längeren Hebel. Denn wegen des EuGH-Urteils von 2016 (s.o.) können Anbieter ohne Konzession nicht sanktioniert werden, solange es kein funktionierendes Konzessionsverfahren gibt - was einzelne Länder aber verhindern können. 

Gleichzeitig drohen die liberalisierungsfreundlichen Länder, dass sie nach Auslaufen des 1. GlüÄndStA Mitte 2021, selbstständige Landesgesetze beschließen werden und nach dem zeitweiligen Beispiel
Schleswig-Holsteins eigene Konzessionen vergeben könnten. Diese würden dann zwar nur für das jeweilige Landesgebiet gelten, aber was heißt das schon bei internetbasierten Angeboten? 

Und das wirkungsvollste Instrument der Regulierungsfreunde, das finanzielle Blockieren der Zahlungen an illegale ausländische Anbieter, ist nicht nur technisch schwierig, sondern scheitert bisher auch an Bedenken von Datenschützern, die eine umfassende Durchleuchtung aller Zahlungsströme ablehnen. 

Kein Wunder, dass es bei einem Sondertreffen der Chefs der Staatskanzleien vorige Woche zum Durchbruch der liberalisierungsfreundlichen Position kam. Nach ersten Informationen soll der Glücksspiel Neuregulierungs-Staatsvertrag (GlüNeuRStV) folgende zentrale Punkte beinhalten:

  • Das staatliche Lotto-Monopol bleibt.
  • Online-Casinos, Online-Poker und Online-Automatenspiele sollen zugelassen werden.
  • Für manche Glücksspiele darf künftig auch im Internet Werbung gemacht werden.
  • Bei Sportwetten werden neben Ergebniswetten künftig auch Ereigniswetten (z.B. Zahl der Elfmeter) zugelassen. Live-Wetten bleiben aber verboten.
  • Die Liberalisierung soll durch Regeln zum Spielerschutz flankiert werden. So soll es bei Glücksspielen im Internet ein monatliches Einzahlungslimit von 1000 Euro geben. Eine Sperrdatei bei einer zentralen staatlichen Aufsichtsbehörde soll Spieler mit Selbst- oder Fremdsperre erfassen. Für jeden Spieler müssen Anbieter ein Spielkonto einrichten. Außerdem müssen Online-Veranstalter ein "automatisiertes System" zur Früherkennung von glücksspielsuchtgefährdeten Spielern einsetzen.

Am 19. Februar soll eine Verbändeanhörung zum geplanten GlüNeuRStV stattfinden. Bei der Ministerpräsidenten-Konferenz am 5. März soll der Staatsvertrag beschlossen werden. Anschließend müsste auch dieser Vertrag in Landesgesetze umgesetzt werden. Am 1. Juli 2021 soll der neue Vertrag dann in Kraft treten.

Zitiervorschlag

Neuregulierung des Glücksspiel-Staatsvertrags: Die Liberalisierer setzen sich durch . In: Legal Tribune Online, 27.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39915/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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