Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wis­sen­schaft

Der Bundestag hat das Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen. Die Tatbestandsmerkmale des dafür neu in das StGB eingeführten § 217 und ihre Besonderheiten erklärt Eric Hilgendorf.

Am 6. November 2015 hat der Bundestag das "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" beschlossen, welches helfen soll, die Tätigkeit von Sterbehilfevereinigungen wie "Sterbehilfe Deutschland", aber auch Suizidhilfe durch Einzelpersonen einzuschränken. Suizidhilfe soll zwar in Einzelfällen weiterhin möglich sein, es soll jedoch verhindert werden, dass die Sterbehilfevereine ihr Tätigkeitsfeld ausbauen und der assistierte Suizid zu einer Art Regelangebot für Schwerstkranke und Ältere wird.

Zu diesem Zweck wurde folgender § 217 n.F. Strafgesetzbuch (StGB) beschlossen: "(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht." (BT-Drucksache 18/5373, S. 5).

Das Gesetz schränkt den Täterkreis nicht ein, so dass grundsätzlich jeder, auch jeder Arzt, Pfleger oder Angehöriger, als Täter in Betracht kommt. Das Delikt ist als Unternehmensdelikt ausgestaltet, ein Taterfolg in Form eines vollendeten Suizids ist also nicht erforderlich. Vielmehr reicht es für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes aus, dass der Täter einem anderen geschäftsmäßig die Gelegenheit zu einer Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt. Es handelt sich mithin um ein (abstraktes) Gefährdungsdelikt. Geschützte Rechtsgüter sind nach der Gesetzesbegründung das menschliche Leben und die individuelle Entscheidungsfreiheit (BT-Drucksache 18/5373, S. 12).

Der objektive Tatbestand ist sehr weit gefasst

Selbsttötung ist jedes menschliches Verhalten, durch das ein Mensch zielgerichtet seinem Leben ein Ende setzt. Sie kann durch aktives Tun (z.B. Einnahme von Gift), aber auch durch Unterlassen (z.B. Absetzen eines lebenswichtigen Medikamentes, Einstellung der Ernährung) erfolgen. Als zielgerichtet wird man jedenfalls solche Suizidhandlungen einzustufen haben, die in der Absicht erfolgen, sich zu töten. Aber auch Wissentlichkeit reicht aus (z.B. eine Person verzichtet auf eine weitere Krebstherapie, obwohl sie sicher weiß, dass dadurch ihr Tod früher eintritt, als wenn sie die Therapie fortgesetzt hätte).

Geschäftsmäßig handelt, wessen Tun auf Wiederholung angelegt ist. Dieses schon vor Erlass des Gesetzes umstrittene Merkmal weist eine beträchtliche Unbestimmtheit auf, die den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages sogar dazu bewogen hat, die Verfassungsmäßigkeit des neuen § 217 StGB in Frage zu stellen. In der Gesetzesbegründung spricht sich der Gesetzgeber für eine weite Interpretation aus: "Geschäftsmäßig" soll schon derjenige vorgehen, der eine Handlung zum ersten Mal ausführt, wenn dies "den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt". (BT-Drucksache 18/5373, S. 17).

Insgesamt ist der objektive Tatbestand des neuen § 217 StGB sehr weit ausgefallen: Er umfasst z.B. den Fall, dass A dem B eine größere Dosis an Medikamenten überlässt, mit denen dieser sich u.U. töten kann. A verschafft damit dem B die Gelegenheit zu einem Suizid. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei A um einen Arzt, etwa einen Palliativmediziner, oder eine Person ohne fachärztliche Ausbildung handelt. Erfüllt ist der Tatbestand auch, wenn Hospizarzt A dem B einen Raum zur Verfügung stellt, in welchem dieser nach dem Absetzen lebensnotwendiger Medikamente oder Nahrung (sog. Sterbefasten) sterben kann, eine Praxis, die in Hospizen und Palliativstationen häufiger vorkommt. Eine zwangsweise Weiterbehandlung (gegen den aktuellen oder in einer Patientenverfügung festgelegten früheren Willen des Patienten) wäre sogar strafbar, § 223 StGB.

In der Regel werden eigene Sterberäume für Fälle dieser Art vorgehalten. Natürlich lassen sich die Fallgestaltungen noch fortspinnen: Wenn etwa ein Palliativmediziner einem ambulant behandelten Krebspatienten eine in hohen Dosen tödliche Medikamentenmenge zur Verfügung stellt und dieser sich damit in die Obhut einer Sterbehilfevereinigung begibt, die ihm ein Zimmer zum Sterben zur Verfügung stellt, hätten beide, der Palliativmediziner und der verantwortliche Vertreter der Sterbehilfevereinigung, den objektiven Tatbestand des § 217 n.F. erfüllt.

Voraussetzung ist in allen diesen Fällen, dass die Unterstützungshandlung geschäftsmäßig erfolgt, also nicht auf den Einzelfall beschränkt ist. Dies dürfte aber in allen oben genannten Fällen regelmäßig anzunehmen sein. Hier zeigt sich, dass dem Merkmal der Geschäftsmäßigkeit in § 217 StGB nur insofern Bedeutung zukommt, als Einzelhandlungen vom Tatbestand ausgeschlossen werden. Personen, die, wie Hospiz- und Palliativmediziner oder andere professionelle Sterbehelfer, regelmäßig mit Sterbenden zu tun haben und ihnen z.B. durch Überlassung von Medikamenten die Gelegenheit zur Selbsttötung geben, handeln stets auch geschäftsmäßig.

Zitiervorschlag

Eric Hilgendorf, Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wissenschaft . In: Legal Tribune Online, 12.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17514/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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