Künftig können Kinder von Samenspendern die Identität ihres leiblichen Vaters erfragen. Im Interview spricht Eva Becker über die Hintergründe und warum das neue Gesetz trotz seiner Mängel ein richtiger Schritt ist.
Am Freitag passierte das Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen den Bundesrat. Es sieht vor, dass Männer bei Abgabe einer Samenspende in die Weitergabe ihrer persönlichen Daten an das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) einwilligen müssen. Dieses speichert die Daten dann für 110 Jahre, bevor sie gelöscht werden können. Das aus der Samenspende entstandene Kind erhält im Zuge dessen mit seiner Geburt einen Auskunftsanspruch gegen das DIMDI, um die Daten seines biologischen Vaters erfragen zu können.
Bereits in der Vergangenheit haben deutsche Gerichte Kindern, die aus Samenspenden entstanden waren, Ansprüche auf Kenntnis ihrer Abstammung aus Treu und Glauben zugebilligt. Dies geht zurück auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus dem Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde, Art. 2 i.V.m. Art. 1 Grundgesetz (GG) ableitete. (Urt. v. 31.02.1989, Az. 1 BvL 17/87).
Anlässlich der Einführung des neuen Registers sprach LTO mit der Berliner Rechtsanwältin Eva Becker. Die Familienrechtlerin ist Mitglied des Gesetzgebungsausschusses Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins, der eine Stellungnahme zum nun kommenden Samenspenderregister abgegeben hat.
LTO: Frau Becker, Sie waren als Mitglied des Ausschusses Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) an dessen Stellungnahme zum Samenspenderregister beteiligt. Darin haben sie dessen Einführung ausdrücklich begrüßt. War eine solche Regelung aus Ihrer Sicht mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unumgänglich?
Becker: Das war sie. Natürlich könnte man seine Ansprüche immer wieder vor den Gerichten einklagen, doch es ist gut, dass das einfache Gesetz nun regelt, was das BVerfG bereits vorgegeben hat. Es ist aber nur ein erster Schritt.
LTO: Trotz seiner grundsätzlichen Zustimmung hat der Ausschuss Kritik angemeldet, u.a. an der Gesamtkonzeption der Regelung. Worum ging es Ihnen dabei?
Becker: Ich finde es kritisch, dass familienrechtliche Themen in den letzten Jahren verstärkt in Einzelgesetzen geregelt wurden. Das war schon beim Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) der Fall und ist nun wieder so. Natürlich kann man argumentieren, dass die Dinge irgendwo stehen und es im Zweifel Anwälte gibt, die sie finden können. Doch das Gesetz ist zuallererst für den einfachen Bürger gemacht und für diesen sehr unübersichtlich. Wir hätten wenigstens die Kernregelungen gerne im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gesehen.
"Es wäre wünschenswert, alles gleich zu behandeln"
LTO: Das neue Gesetz sieht vor, dass Kinder, die aus Samenspenden entstehen, einen Anspruch bekommen, die Identität ihres leiblichen Vaters zu erfragen. Dies gilt aber nur für solche, die aus einer medizinisch assistierten Spende entstehen. Kinder, die durch die sogenannte "Becherspende" ohne Unterstützung eines Arztes auf die Welt kommen, erhalten einen solchen Anspruch nicht. Wie lässt sich diese Ungleichbehandlung rechtfertigen?
Becker: Dahinter steht ein pragmatischer Ansatz. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn man alle gleich behandeln könnte, aber die Fälle der "Becherspende" sind anders gelagert und finden oft im familiären Umfeld statt, wo ohnehin vom Spender und den rechtlichen Eltern ein Kontakt zum Kind gewünscht ist. Aber Sie haben Recht, es ist dogmatisch schwierig zu begründen, warum es ins Belieben des Spenders und der Mutter gestellt sein soll, ob das Kind einen Auskunftsanspruch erhält oder nicht.
LTO: Das Gesetz sieht darüber hinaus vor, dass die betroffenen Kinder ihren Anspruch erst mit Vollendung des 16. Lebensjahrs alleine durchsetzen können. Warum will der Gesetzgeber Ihnen die autonome Entscheidung, ihren leiblichen Vater kennenzulernen, so lange vorenthalten?
Becker: Diese Entscheidung ist eine sehr zentrale im Leben des Kindes und mit ganz realen Konsequenzen verbunden. Daher möchte man einen gewissen Entwicklungsstand abwarten, um das Kind selbstständig diese Entscheidung treffen zu lassen. Welche Altersgrenze man dafür am Ende festlegt, ist natürlich etwas beliebig.
2/2: "Es wird immer Schwierigkeiten geben"
LTO: In ihrer Stellungnahme haben Sie auch angeregt, den Kreis der Auskunftsberechtigten zu erweitern, beispielsweise um die Kinder des Kindes, die aufgrund möglicher Erbkrankheiten ein Interesse an der Kenntnis ihrer Abstammung haben könnten. Glauben Sie, dass solche Vorschläge sich irgendwann durchsetzen werden?
Becker: Sie sind auf jeden Fall sinnvoll. Die Medizin schreitet stetig voran und entwickelt stetig neue Möglichkeiten, weshalb genetische Informationen immer interessanter werden. Natürlich wird man bei einer Ausdehnung des Anspruchs auch immer das Persönlichkeitsrecht des Spenders im Blick behalten müssen. Aber das mögliche Behandlungsinteresse des Kindes halte ich für ebenfalls sehr gewichtig.
LTO: Das Gesetz trifft gewisse Vorkehrungen, die die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs sichern sollen, z. B. Ordnungswidrigkeitsnormen, die unterbliebene Mitteilungen an das DIMDI sanktionieren. Halten Sie das für ausreichend?
Becker: Man wird nicht viel mehr machen können. Es wird in der Praxis immer Schwierigkeiten geben, den wahren Spender zu ermitteln, ob aufgrund von Namensänderungen, fehlender Wohnsitzanmeldung oder einfach menschlichem Versagen. Aber das sind Einzelfälle, die eine Grundsatzregelung nicht entwerten.
LTO: Viele Kinder, die mit Samenspenden gezeugt wurden, erfahren dies allerdings oft erst spät oder gar nicht. Wäre vor diesem Hintergrund nicht eine Verpflichtung des DIMDI sinnvoll, den Kindern dies mitzuteilen?
Becker: Das ginge mir etwas zu weit. Man würde den Kindern damit schließlich die Information darüber aufdrängen. Viele möchten es auch möglicherweise wissen, manche aber nicht. Und dieses Recht, es nicht zu wissen, sollte man ihnen zugestehen.
"Die Spender sind umfassend geschützt"
LTO: Wie stehen Sie zu dem Schutz der leiblichen Väter, für die die Neuregelung vorsieht, dass sie nicht zum rechtlichen Vater erklärt werden können, was sie vor Unterhaltsansprüchen bewahrt?
Becker: Mehr Schutz vor rechtlichen Verpflichtungen kann es für sie nicht geben. Ob so eine Regelung allerdings zwingend ist, wage ich zu bezweifeln. Zwar haben einige unserer europäischen Nachbarländer ebenfalls sehr liberale Regelungen in dieser Hinsicht. Doch der Hinweis, dass andere es auch so machen, trägt nur bedingt, denn man muss eine Norm auch immer im sozialen und rechtlichen Kontext sehen. Durch die Entscheidung zwischen der medizinisch assistierten Spende, bei der der Haftungsausschluss gilt, und der "Becherspende" wird die wirtschaftliche Verantwortung letztlich ins Belieben des Spenders gestellt. Das lässt mich doch etwas die Stirn runzeln.
LTO: Die Freiheit vor Unterhaltsansprüchen ist das eine, aber ich würde annehmen, dass viele Spender bereits bei dem Gedanken zurückschrecken, später überhaupt einmal von "ihren" Kindern konfrontiert zu werden. Lassen sich unter diesen Umständen überhaupt noch genügend Männer finden, die zur Samenspende bereit sind?
Becker: Bisher haben sich auf der Basis der aktuellen Rechtslage offenbar genügend Samenspender gefunden. Andere Zahlen sind mir nicht bekannt.
LTO: Durch das neue Gesetz entsteht in jedem Fall eine ganz andere Ausgangslage für Samenspender. Wie schätzen Sie abschließend die praktischen Auswirkungen dieser Neuregelung ein?
Becker: Ob das Spendenaufkommen nun zurückgeht, lässt sich schwer vorhersagen. Ebenso gibt es keine belastbaren Zahlen dafür, ob es bereits nach den Gerichtsentscheidungen, die einen Auskunftsanspruch des Kindes bejaht haben, zurückgegangen ist oder es überhaupt einen Mangel an solchen Spenden gibt.
Im Zentrum des neuen Gesetzes steht vor allem das Kind, für das es nun mehr Rechtssicherheit gibt. Und das ist gut so.
Das Interview führte Maximilian Amos.
Maximilian Amos, Gesetz über Samenspenderregister: "Im Mittelpunkt steht das Kind" . In: Legal Tribune Online, 10.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23403/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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