Geplante Justizreform in Rheinland-Pfalz: Pro­teste, Politik und Per­so­nal­que­relen

von Martin W. Huff

20.05.2011

Der Streit zwischen Justiz und neuer Landesregierung in Rheinland-Pfalz hat mit der geplanten Verlagerung des OLG und der Generalstaatsanwaltschaft von Koblenz in das 200 Kilometer entfernte Zweibrücken einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Ein Kommentar von Martin W. Huff zu einer Politposse, in der Ministerpräsident Beck offenbar keinen Zweifel daran lassen will, wer das Sagen hat.

Was haben Kurt Beck und Edmund Stoiber gemeinsam? Beide schließen gerne einmal anerkannte Gerichte – angeblich aus Gründen der Ökonomie. So wurde unter Ministerpäsident Stoiber das allseits anerkannte Bayerischen Oberste Landesgericht in München bereits Mitte 2006 dicht gemacht  – danach hörte man nie wieder etwas davon, ob diese Maßnahme tatsächlich zu den propagierten Einsparungen geführt hatte.

2011 nun legt Kurt Beck die Oberlandesgerichte (OLG) und die Generalstaatsanwaltschaft in seinem Flächenland zusammen. Auch jetzt stehen angeblich wieder Sparüberlegungen im Mittelpunkt.

Jedoch gibt es daran erhebliche Zweifel, die auch immer lauter von Seiten der Justiz des Landes zu vernehmen sind – und zwar auch von Richtern und Staatsanwälten, die durchaus eine Nähe zur SPD haben. Am vergangenen Freitag fanden sich fast 3.000 Menschen, viele von ihnen Juristen in ihren schwarzen Roben, in Koblenz ein, um gegen die geplanten Zusammenlegungen zu demonstrieren. Die Demonstranten skandierten: "Finger weg vom OLG!", auf Plakaten stand: "Für Argumente - gegen Willkür." Einige Protestierende trugen symbolisch einen Sarg durch die Stadt.

Koblenz hat schon gewaltige Summen geschluckt

Natürlich fragt man sich bei einem so überschaubaren Land wie Rheinland-Pfalz, warum es überhaupt zwei Oberlandesgerichte braucht. Tatsächlich hat es historische Gründe, dass in beiden Landesteilen, der Pfalz und im Rheinland, je ein OLG und zwei Generalstaatsanwaltschaften existieren.

Warum die Rotstift-Keule der Regierung nun aber ausgerechnet die heimliche Justizhauptstadt des Landes treffen soll, erstaunt nicht nur Juristen: Das OLG Koblenz hat etwa 60 Richter und über 80 Mitarbeiter. In seinem Bezirk mit vier Land- und 31 Amtsgerichten arbeiten rund 500 Richter, 500 Rechtspfleger und 2.000 weitere Beamte. Dazu kommen Angestellte und Arbeiter sowie mehr als 70 Bewährungshelfer. Insgesamt 110 Notare haben ihren Amtssitz im OLG-Bezirk, über 2.100 Rechtsanwälte sind dort zugelassen. Der Bezirk des OLG Zweibrücken ist demgegenüber nur so groß wie der Landgerichtsbezirk Koblenz. Am OLG selbst sind 90 Mitarbeiter tätig, davon etwa 30 Richter. Es sind dort aber deutlich weniger Anwälte zugelassen als in Koblenz.

Dazu kommt, dass das Gerichtsgebäude in Koblenz auch mit Blick auf die Bundesgartenschau in diesem Jahr mit einem erheblichen finanziellen Aufwand renoviert wurde. Auch die Generalstaatsanwaltschaft erhielt ein neues Gebäude, das wohl rund 30 Millonen Euro gekostet hat.

Über hundert Regelungen müssen geändert werden

Angesichts dieser Fakten ist die Formulierung auf Seite 84 im Koalitionsvertrag schon reichlich erstaunlich: "Für uns gehört eine gute Erreichbarkeit von Justiz zur Garantie des Rechtsstaats. Gerade deshalb wollen wir Amtsgerichte in der Fläche erhalten. Gleichwohl sind strukturelle Reformen auch unter dem Gesichtspunkt der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse unumgänglich. Im Hinblick auf die Größe anderer Oberlandesgerichtsbezirke und Generalstaatsanwaltschaften ist jeweils eine Einrichtung für Rheinland-Pfalz angemessen. Wir werden diese mit Sitz in Zweibrücken zusammenführen."

Kann damit ernsthaft gemeint sein, dass OLG und Generalstaatsanwaltschaft von Koblenz nach Zweibrücken umziehen sollen? Was geschieht dann mit den verlassenen Gebäuden? Welche Kosten müssen aufgewandt werden, um den Umzug zu finanzieren? Und nicht zuletzt: In Zweibrücken gibt es derzeit keine passenden Gebäude. Will man nun neue bauen? Sinnvoller – wenn man es überhaupt so sieht – wäre doch eine bloße Veränderung der Schilder: OLG und Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz werden Außenstellen der Zweibrücker Behörden.

Im Übrigen kann auch die Rechtsanwaltskammer Koblenz durch die Auflösung des OLG nur mit einer besonderen Rechtsverordnung weiter existieren. Der Sitz einer Anwaltskammer ist nämlich immer am Sitz eines OLG. Davon gibt es in Deutschland zwar Ausnahmen, etwa die Rechtsanwaltskammer Freiburg (Auflösung des OLG Freiburg – heute Außensenate des OLG Karlsruhe) und die Rechtsanwaltskammer Kassel (Auflösung des OLG Kassel – heute Außensenate des OLG Frankfurt am Main).

Sieht man sich in Rheinland-Pfalz allerdings auch noch den zusätzlichen erheblichen Verwaltungs- und Gesetzgebungsaufwand an, so fragt man sich schon, was das Ganze überhaupt soll. So gehen erste Schätzungen davon aus, dass über hundert Gesetze und Verordnungen geändert werden müssen.

Die Justiz wird zum Spielball der Politik

Auch wenn die Pläne damit bei nüchterner Betrachtungsweise insgesamt keinen wirklichen Sinn ergeben – aus machtpolitischer Sicht tun sie dies möglicherweise doch: Der Ministerpräsident ist seit den Protesten der Justiz in Rheinland-Pfalz massiv verärgert, verglich sie schon mit einer "Revolte in Lateinamerika". Viele Juristen aber fragen sich: Will sich Rot-Grün etwa mit dem Kniff nur Personalquerelen vom Halse schaffen  - und dies auf Kosten der Justiz und auch der Bürger?

Zur Zeit wird für die OLG-Spitze in Koblenz nämlich ein Präsident gesucht, nachdem der für die SPD genehme Ralf Bartz nach höchstrichterlichem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum ersten Mal in der Geschichte den Posten tatsächlich räumen musste. Dies hatte der Koblenzer Landgerichtspräsident Hans-Josef Graefen in einem langen Rechtsstreit erreicht.  An dessen Ende hielten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter Justizminister Heinz Georg Bamberger ein rechtswidriges Auswahlverfahren samt Verfassungsverstoß vor. Dem Vernehmen nach haben sich Bartz und Graefen erneut um die Stelle beworben, so dass wieder mit langen Auseinandersetzungen gerechnet werden muss.

Allerdings ist auch die Spitze bei der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken seit 1. Mai mit der Pensionierung von Albrecht Pendt verwaist. Trotz einer schon vor acht Monaten gestarteten Ausschreibung fehlt bislang ein Nachfolger, der offenbar auch in Nordrhein-Westfalen nicht gefunden werden konnte. Bewerbungen der Leitenden Oberstaatsanwälte von Koblenz und Zweibrücken, Horst Hund und Eberhard Bayer, laufen offenbar noch. Mit der Zusammenlegung wäre dieses Personalproblem natürlich sofort gelöst.

In jedem Fall zeigen die Vorgänge in Rheinland-Pfalz einmal mehr, wie die Politik unabängig von der politischen Farbe mit der Justiz umgeht: Sie wird zum Spielball – und sie muss immer mehr um ihre Unabhängigkeit kämpfen.  Dagegen müssen ihre Organe weiter deutlich protestieren. Schließlich sollten sich auch die Bürger des Problems bewusst werden - im Ergebnis sind ja auch ihre Interessen betroffen.

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen.

 

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Zitiervorschlag

Martin W. Huff, Geplante Justizreform in Rheinland-Pfalz: Proteste, Politik und Personalquerelen . In: Legal Tribune Online, 20.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3323/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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