Erste Umwandlung in eine Europäische Genossenschaft: SCE: Genossen­schaften im Um­bruch

von Dr. Dirk Jannott und Paul Caesar Rode

20.07.2015

Was die SE für die AG, ist die SCE für die Genossenschaft. Bloß kennt man die eine, die andere nicht. Das könnte sich ändern, nachdem eine erste deutsche Genossenschaft die Umwandlung beschlossen hat, meinen Dirk Jannott und Paul Caesar Rode.

Während die Societas Europaea (SE) längst als europäische Rechtsform etabliert ist, hat die wenig später eingeführte Societas Cooperativa Europaea (SCE) einen langen Dornröschenschlaf gehalten. Der könnte jetzt vorbei sein.

Genossenschaften stehen nicht so im Fokus wie börsennotierte Konzerne oder bekannte Familienunternehmen. Dabei spielen sie im Alltag für die meisten Menschen eine größere Rolle als Daimler & Co.: Bei EDEKA oder REWE kaufen wir Milch, Fleisch und Wein von genossenschaftlichen Produzenten. Wir haben ein Konto bei der Volksbank, einen Bausparvertrag bei Schwäbisch Hall und einen Steuerberater, der mit DATEV arbeitet. Wir wohnen in Genossenschaftswohnungen und tanken bei Genossenschafts-Tankstellen. Und manch einer liest sogar die taz.

Die rund 5.600 deutschen Genossenschaften haben zusammen über 20 Millionen Mitglieder. In den letzten zehn Jahren wurden in Deutschland alleine 800 Genossenschaften im Bereich erneuerbare Energien gegründet. Das zeigt, dass die Rechtsform bei weitem kein verstaubtes Auslaufmodell, sondern eine zukunftsfähige Alternative zur Kapitalgesellschaft ist.

Die Bedeutung des Genossenschaftswesens ist auch europaweit erheblich. Im europäischen Dachverband Cooperatives Europe sind 160.000 Genossenschaften organisiert, die zusammen 5,4 Millionen Arbeitsplätze in Europa schaffen. Bedingt durch die Chancen des Binnenmarkts einerseits und den intensiven Wettbewerb andererseits engagieren sich einstmals regional aufgestellte genossenschaftliche Unternehmen zunehmend international.

Eine Rechtsform für alle

Um vor diesem Hintergrund für die Genossenschaften in Europa einen gemeinsamen Rechtsrahmen zu schaffen, wurde 2006 die Europäische Genossenschaft "SCE" eingeführt. Diese neue europäische Rechtsform ist für Genossenschaften das, was für Aktiengesellschaften die SE ist.

Die SCE ist dabei geprägt von den genossenschaftlichen Grundsätzen: Bedarfsdeckung und Förderung der Mitglieder, demokratische Struktur ("ein Mitglied eine Stimme"), Leistungsaustausch mit den Mitgliedern, nachhaltige Ausrichtung. Sie unterscheidet sich insofern deutlich von der SE als klassischer, am Shareholder Value orientierter Kapitalgesellschaft. Gemeinsam haben SE und SCE die wesentlichen Vorteile der europäischen Rechtsformen:

•    Positive Imagewirkung durch modernes europäisches Branding – für europäisch agierende Genossenschaften wird die SCE in absehbarer Zeit zur Standard-Rechtsform werden

•    Einheitlicher, in ganz Europa geltender Rechtsrahmen

•    Europaweit verbesserte Akzeptanz der Rechtsform bei Geschäftspartnern und Behörden

•    Wahlmöglichkeit zwischen einer zweistufigen Leitungsstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat und einer einstufigen Struktur mit einem Verwaltungsrat nach angelsächsischem Vorbild

•    Flexible Vereinbarung eines europaweit einheitlichen Mitbestimmungsregimes
Viele Mitglieder, viele Stimmen

Trotz der erheblichen Vorteile war die Akzeptanz der SCE bislang verhalten. In Deutschland wurden insgesamt neun SCEs gegründet, darunter kein größeres Unternehmen. Insgesamt gibt es bis heute weniger als 30 in ganz Europa.

Bei der SE war es zunächst ähnlich. Nachdem die Wirtschaft in den ersten Jahren nach ihrer Einführung noch zurückhaltend war, strömen inzwischen immer mehr Unternehmen in die noch junge Rechtsform. Das Eis haben hier vor allem Blue Chips wie Allianz, BASF und E.ON gebrochen und die SE damit zu so etwas wie dem Gold-Standard für europäische Großunternehmen gemacht. Parallel hat der Mittelstand die Vorteile der SE für sich entdeckt.

Unsicherheit im Hinblick auf das neue Rechtskleid war einer der Gründe für die Zurückhaltung. Viele praktische und rechtliche Fragen waren ungeklärt. Auch das eher komplizierte Zusammenspiel von europäischem und nationalem Recht mag abschreckend gewirkt haben. Diese psychologischen Hürden waren für Aktiengesellschaften leichter zu nehmen als für Genossenschaften. Denn während bei den einen international aufgestellte Großaktionäre den Ton angeben, gilt bei den anderen der alte Genossenschaftsgrundsatz "ein Mitglied eine Stimme". Hier müssen nicht nur die großen Fische überzeugt werden, sondern der ganze Schwarm.

Einer geht voran

Mit Westfleisch, einem Milliardenkonzern und Top-Player im europäischen Fleischmarkt, hat nun der Erste den Schritt gewagt. Das europäische Image dürfte auch bei der SCE eine Sogwirkung entfalten, der sich die anderen großen genossenschaftlichen Unternehmen nicht entziehen können.

Die Umwandlung steht jeder Genossenschaft offen, die seit mindestens zwei Jahren eine Niederlassung oder Tochter in einem anderen Mitgliedstaat hat. Das Verfahren ähnelt dem zur Umwandlung einer AG in eine SE und ist vergleichbar mit einem Formwechsel nach dem deutschen Umwandlungsgesetz. Es wird flankiert durch die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern über das zukünftige Mitbestimmungsregime im Unternehmen.

Im Vergleich zu den starren Vorgaben des nationalen Rechts ist die Arbeitnehmervertretung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat bei der SCE flexibler und an die individuellen Verhältnisse im Unternehmen anpassbar. So kann etwa der Aufsichtsrat verkleinert oder die Beteiligungsquote der Arbeitnehmer auf den aktuellen Stand eingefroren werden.

Die Flexibilisierung ist nicht nur aus Sicht der Anteilseigner ein Plus. Nach einem 2010 vorgelegten Bericht der EU-Kommission zu den ersten Erfahrungen mit der SE begrüßen auch die zunächst kritischen Gewerkschaften die neue Rechtsform. Ein Grund dafür ist die Möglichkeit zur Entsendung von  Arbeitnehmervertretern aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten und die damit verbundene Förderung des europäischen Verständnisses. 

Es ist davon auszugehen, dass die Vorteile der SCE sich nun in der Genossenschaftsszene schnell herumsprechen. In den nächsten Jahren werden sicherlich viele deutsche Genossenschaften ihre Rechtsform dem anpassen, was sie als starke und nachhaltige Wirtschaftsunternehmen längst sind: europäisch. Auf den Milchtüten der Zukunft steht dann "SCE".

Die Autoren Dr. Dirk Jannott und Paul Caesar Rode sind Rechtsanwälte bei CMS Hasche Sigle in Düsseldorf und haben Westfleisch bei der ersten SCE-Umwandlung begleitet. Dirk Jannott ist zudem Herausgeber des ersten Handbuchs zur SE nach deren Einführung.

Zitiervorschlag

Dr. Dirk Jannott und Paul Caesar Rode, Erste Umwandlung in eine Europäische Genossenschaft: SCE: Genossenschaften im Umbruch . In: Legal Tribune Online, 20.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16287/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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