Fluglotsenstreik vor Gericht: Teure Solidarität für Gewerkschaften

von Dr. Clemens Höpfner

12.03.2012

Vor dem Frankfurter Arbeitsgericht klagen derzeit vier Fluggesellschaften Streikschäden ein, obwohl nicht ihre Mitarbeiter, sondern die der Flughafenbetreiber ihre Arbeit niedergelegt hatten. Sollten die Richter der Klage stattgegeben, würden sie damit nicht nur das Arbeitskampfrecht reformieren, sondern auch ein Signal in puncto Tarifeinheit setzen, meint Clemens Höpfner.

Das Arbeitskampfrecht in Deutschland ist eine Erfindung der Arbeitsgerichte. Es gibt kein Gesetz, das die Einzelheiten oder auch nur die grundlegenden Prinzipien des Streikrechts regelt. Das gilt selbst für weithin bekannte und anerkannte Grundsätze wie die Friedenspflicht.

Am 27. März hat das Arbeitsgericht (ArbG) Frankfurt die Chance, das Streikrecht in einem wichtigen Punkt weiterzuentwickeln. Lufthansa, Air Berlin, Tuifly und Germanwings fordern den Ersatz der Schäden, die ihnen aufgrund eines Unterstützungsstreiks am Stuttgarter Flughafen im April 2009 entstanden sind. Sollten die Frankfurter Richter den Fluggesellschaften Recht geben, könnte das massive Auswirkungen auf die gesamte Streikkultur in Deutschland haben.

Hintergrund des Verfahrens ist der Arbeitskampf der Vorfeldmitarbeiter am Stuttgarter Flughafen vor drei Jahren. Damals rief die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) die bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) angestellten Fluglotsen auf, durch Arbeitsniederlegung den Streik der Vorfeldmitarbeiter gegen deren Arbeitgeberin, nämlich die Betreibergesellschaft des Stuttgarter Flughafens (FSG), zu unterstützen.

Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg und später vor dem ArbG Frankfurt scheiterte die FSG mit ihrem Versuch, den Arbeitskampf durch einstweilige Verfügung untersagen zu lassen. Die Gerichte hielten den Unterstützungsstreik für rechtmäßig.

Auch Solidarität hat Grenzen

Für den aktuellen Rechtsstreit ist diese Einschätzung allerdings nicht bindend, da die Fluggesellschaften an den damaligen Verfahren nicht beteiligt waren. Es ist durchaus möglich, dass das ArbG Frankfurt den Streik für rechtswidrig erklärt. Erst jüngst hatte das Gericht einen Unterstützungsstreik der Towerlotsen am Frankfurter Flughafen wegen seiner Unverhältnismäßigkeit untersagt (Urt. v. 28.2.2012, Az. 9 Ga 25/12).

Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2007 sind Unterstützungsstreiks unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. So muss etwa der Hauptarbeitskampf rechtmäßig sein, für den die Solidarität bekundet wird. Auch die Dauer und der Umfang des Unterstützungsstreiks sind von Bedeutung. Die Kampfmaßnahmen der Sympathisanten dürfen nicht so gravierend sein, dass sich hierdurch der Schwerpunkt des Arbeitskampfs signifikant auf den Unterstützungsstreik verlagert.

Entscheidend sind danach die Umstände des konkreten Einzelfalls – und über deren Bewertung lässt sich im vorliegenden Fall trefflich streiten. Einerseits besteht ein starkes Gefälle in der Kampfkraft. Vorfeldmitarbeiter sind – wie der aktuelle Streik am Frankfurter Flughafen belegt – mit wenig Aufwand ersetzbar, der Flugbetrieb kann weitgehend aufrechterhalten werden. Streiken dagegen die Towerlotsen, geht gar nichts mehr. Der Unterstützungsstreik ist also ungleich effizienter als der Hauptarbeitskampf – und könnte gerade aus diesem Grund unzulässig sein.

Andererseits war der Solidarstreik recht kurz. Er wurde nach gut fünf Stunden vorzeitig beendet und später nicht mehr fortgeführt. Das spricht eher für dessen Zulässigkeit.

Musterprozess mit ungewissem Ausgang

Sollte das ArbG den Streik für rechtswidrig erachten, stellt sich darüber hinaus ein weiteres grundsätzliches Problem: Die klagenden Fluggesellschaften wurden gar nicht selbst bestreikt. Der Arbeitskampf der GdF richtete sich allein gegen die Flughafenbetreiberin und die Flugsicherung.

Gleichwohl sind vor allem die Airlines die Leidtragenden, wenn ein Flughafen durch einen Streik lahmgelegt wird. Die rund 32.000 Euro, um die es im vorliegenden Verfahren geht, sind dabei ein eher symbolischer Wert und täuschen über die wahre Bedeutung des Prozesses hinweg. Aus den Reihen der Kläger ist zu vernehmen, dass hier ein Musterverfahren angestrebt wird, über dessen Ausgang am Ende das BAG oder gar das Bundesverfassungsgericht entscheiden könnte.

Die Summen, um die es dabei gehen könnte, sind immens und könnten die GdF in Ihrer Existenz bedrohen. Derzeit ist beim ArbG Frankfurt noch eine weitere Schadensersatzklage gegen die Gewerkschaft anhängig: Lufthansa, Air Berlin und Ryanair verlangen insgesamt 3,2 Millionen Euro wegen eines im Sommer 2011 angekündigten, dann aber abgesagten Fluglotsenstreiks. Damit nicht genug: Infolge der jüngsten Streiks am Frankfurter Flughafen spricht allein die Lufthansa von Schäden "im hohen zweistelligen Millionenbereich", die sie ebenfalls einklagen will.

Frankfurter Richter betreten juristisches Neuland

Rechtlich ist bisher ungeklärt, ob nicht unmittelbar bestreikte Unternehmen von der Gewerkschaft Schadensersatz verlangen können. Sicher ist nur: Ein rechtmäßiger Streik verpflichtet die Gewerkschaft nicht zum Schadensersatz, und zwar weder gegenüber dem bestreikten Arbeitgeber noch gegenüber Dritten.

Schwieriger zu beurteilen ist die Rechtslage bei einem rechtswidrigen Streik. Nach § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) muss Schadensersatz zahlen, wer einem anderen vorsätzlich und sittenwidrig Schaden zufügt. Nicht jeder rechtswidrige Streik begründet also eine Schadensersatzpflicht. Es müssen weitere Umstände hinzutreten, etwa die vorsätzliche Anwendung unsittlicher Mittel, Gewaltandrohung oder Sabotageakte.

Daneben kommt eine Schadensersatzpflicht nach § 823 BGB wegen Verletzung des "Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" in Betracht. Hierfür ist jedoch eine Handlung erforderlich, die sich "gegen den Betrieb selbst" richtet. Für bloße Reflexschäden würde die Gewerkschaft deshalb nicht haften.

Das BAG gibt die Richtung vor

Nun ist jeder Streik ein gezielter Eingriff in den Betrieb – aber eben grundsätzlich nur in den Betrieb des bestreikten Arbeitgebers. Eine Schädigung Dritter, also zum Beispiel von Abnehmern, Lieferanten oder Kunden, nimmt die Gewerkschaft zwar gerne hin, da sie den Kampfdruck erhöht. Gleichwohl handelt es sich meist um bloße Reflexwirkungen.

Eine mögliche Lösung hat das BAG in einer fast schon vergessenen Entscheidung von 1988 aufgezeigt. Im Rahmen eines Streiks um die Einführung der 35-Stunden-Woche blockier¬te die damalige IG Druck und Papier das "Stuttgarter Verlags- und Druckzentrum". Die obersten Arbeitsrichter sprachen der Herausgeberin der Stuttgarter Zeitung Schadensersatz zu, obwohl sie selbst nicht am Tarifstreit beteiligt war. Die Begründung: Der Arbeitskampf habe sich nicht nur gegen das bestreikte Unternehmen, sondern gegen alle Betriebe im Verlagshaus gerichtet (Urt. v. 21.6.1988, Az. 1 AZR 653/86).

Auf einen Streik am Flughafen ließe sich diese Argumentation recht zwanglos übertragen. Das ArbG Frankfurt könnte auf diese Weise den schutzwürdigen Interessen unbeteiligter Dritter gerecht werden. Zugleich würde es damit den Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit den Wind aus den Segeln nehmen.

Dr. Clemens Höpfner ist Akademischer Rat und Habilitand am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln.

Zitiervorschlag

Dr. Clemens Höpfner, Fluglotsenstreik vor Gericht: Teure Solidarität für Gewerkschaften . In: Legal Tribune Online, 12.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5763/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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