Ein Vorbild für ganz Europa: 200 Jahre Bayerisches Strafgesetzbuch

Am 16. Mai 1813 genehmigte der bayerische König das vom Geheimen Rat Paul Johann Anselm von Feuerbach entworfene neue Strafgesetzbuch für Bayern. Das Land erhielt damit europaweit eine der modernsten strafrechtlichen Kodifikationen, die anderen Staaten als Vorbild diente. An dieses Jubiläum erinnert Herbert Grziwotz.

1805 erteilte Max I. Joseph, der erste König in Bayern, dem aus Jena stammenden und in Landshut tätigen Rechtsprofessor Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach den Auftrag, das bestehende Strafrecht einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Zu diesem Zeitpunkt galt in Bayern noch der Codex Iuris Criminalis Bavarici des Wirklichen Geheimen Kanzlers Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayr von 1751. Bestraft wurden Gotteslästerung, Ketzerei und Hexerei (Titel 1, Kap. 7, §§ 1, 5 und 7). Geschärfte Todesstrafen – wie Pfählen, Vierteilen oder Verbrennen – (Titel 1, Kap. 1, § 6) sollten lediglich teilweise zur "Vermeydung ohnnöthiger Kösten, hinführo unterlassen werden".

Während andere Länder im Geist der Aufklärung die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung bereits eingeschränkt hatten, bestand nach Kreittmayrs Codex Criminlis "die Lands-gebräuchliche Tortur theils in dem Daumstock, theils in dem Aufziehen, theils in der Spitz-Ruthe: … Darauf folgt der zweite Gradus, würkliche Tortur selbst, entweder mittels Zuschrauffung des Daumstockes oder mittels erstmaligem leeren Aufziehen, oder durch Versetzung der Spitz-Ruthen-Streich. … Der höchste und schärffste Gradus ist endlich, wenn nebst der Spitz-Ruthen auch die Leib-Gürtel oder … gar der Bock gebracht wird."

Lediglich "bey verspürender Ohnmacht" war "mit der Tortur so lang innezuhalten, bis sich der Delinquent wieder erholet". Dieses Gesetzbuch hatte sich, wie es in der Einleitung zum Strafgesetzbuch 1813 hieß, seiner "unverhältnismäßigen Strenge wegen" selbst überlebt.

Abschaffung der Folter

Feuerbach hatte 1806 bereits nach seiner Versetzung in das Ministerialjustiz- und Polizeidepartement nach München auf die Abschaffung der Folter hingewirkt. Erst das Strafgesetzbuch von 1813 schaffte die Folter aber förmlich ab. Gleichzeitig ging es von dem Grundsatz "nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz) aus. Art. 1 lautete: "Wer eine unerlaubte Handlung oder Unterlassung verschuldet, für welche ein Gesetz ein gewisses Übel gedroht hat, ist dieses Übel als seiner Strafe unterworfen".

Damit eng verbunden ist die Maxime "keine Strafe ohne Schuld" (Art. 119). Exakt formulierte Straftatbestände und genau festgelegte Strafrahmen sollten richterlicher Willkür entgegenwirken. Letztlich ging es nicht nur um die Humanisierung des Strafrechts, die Abschaffung verstümmelnder Leibesstrafen und der rechtstechnisch sinnlosen Folter, sondern auch, wie dies der deutsche Rechtsphilosoph Gustav Radbruch formulierte, um die "junge Idee des Rechtsstaates … im Kampf mit der … alten Machten des Polizeistaates".

Humanisierung und Entmoralisierung des Strafrechts

Viele Straftatbestände wurden modernisiert oder gestrichen. Feuerbach wandte sich gegen moralische Strafen. Solche wollte er dem Staat, der "durchaus nicht weder Aufsicht, noch Gewalt über die Gesinnung und das Gewissen der Bürger hat", nicht zugestehen. Das Sittlichkeitsstrafrecht wurde entschärft und auf die Verletzung privater Rechtsgüter zurückgeführt. Die Strafbarkeit der Homosexualität entfiel. Auch die Blasphemie (Gotteslästerung) wurde ersatzlos gestrichen. Auf das Delikt der Kindestötung stand wegen der psychologischen Zwangslage der Täterin nicht mehr die Todesstrafe, sondern nur noch Zuchthaus (Art. 158). Eine Abtreibung durch die Schwangere wurde entsprechend beurteilt (Art. 171).

Mit diesem Strafgesetzbuch gelang Bayern eine fortschrittliche Kodifikation des Straf- und Strafprozessrechts. Die Reform trat am 1. Oktober 1813 in Kraft und wurde zum Vorbild einer auf der Kant'schen Vernunftlehre aufbauenden modernen Strafgesetzgebung. Sachsen, Württemberg, Hannover, Braunschweig und andere Staaten übernahmen das Bayerische Strafgesetzbuch als Modell, die Schweizer Kantone ließen sich nachhaltig davon beeinflussen. Die Schweden übersetzten es sogar in ihre Sprache.

Feuerbach selbst berücksichtigte 1824 die Kritik an weiterhin zu harten Sanktionen in dem Entwurf einer Novellierung. Der Richter sollte bei stark schuldmindernden Umständen die Strafe herabsetzen können. Im Vergleich: Preußen erhielt erst 1851 ein neues Strafgesetzbuch. Vorbild war auch hier der materiellrechtliche Teil des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813. Allerdings verknüpfte es, anders als das bayerische Recht, wieder Moral und Strafe. Beispiel ist der "§ 175", der Homosexualität auch zwischen erwachsenen Männern bestrafte und erst 1994 in Deutschland endgültig aufgehoben wurde. In Bayern war dies bereits 1813 erfolgt.

Der Autor Professor Dr. jur. Dr. phil. Herbert Grziwotz ist Jurist und Historiker.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Ein Vorbild für ganz Europa: 200 Jahre Bayerisches Strafgesetzbuch . In: Legal Tribune Online, 16.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8748/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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