Bekämpfung von Fake-News: Lügen und lügen lassen

von Florian Albrecht

30.12.2016

Das BMI möchte künftig mit einer "Abwehrzentrum gegen Desinformation" gegen Falschmeldungen vorgehen. Florian Albrecht sieht darin eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Bürger hätten auch ein Recht darauf, sich belügen zu lassen.

In der Bundesregierung scheint man sich um den Ausgang der kommenden Bundestagwahl zu sorgen. Aus dem Bundesministerium des Innern (BMI) wurde kürzlich die Einrichtung eines "Abwehrzentrums gegen Desinformation" vorgeschlagen. Dieses soll dafür sorgen, dass für unliebsame Beeinflussungen angeblich besonders afällige Bevölkerungsgruppen (genannt werden Russlanddeutsche und türkischstämmige Menschen) künftig die Information erhalten, die sie aus Regierungssicht benötigen. Der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bringt im Kampf gegen Fake-News zudem gesetzliche Maßnahmen ins Spiel, mit denen die Verbreitung von solchen Nachrichten über soziale Netzwerke eingedämmt werden soll.

Dass Falschmeldungen gefährlich sein können, und das Vorgehen gegen sie sinnvoll, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit. So soll etwa der pakistanische Verteidigungsminister erst kürzlich einer Fake-News Glauben geschenkt und daraufhin Israel mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht haben. Der Irrtum ließ sich recht schnell aufklären. Auch bei der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten sollen Fake News eine Rolle gespielt haben, die sich allerdings nur schwer quantifizieren lässt.

Unbestritten dürfte jedenfalls sein, dass einer Regierung das Recht zusteht, andere Staaten und die eigene Bevölkerung über Sachverhalte aufzuklären und Fehlschlüsse aufzudecken. Eines Abwehrzentrums, das sich in politische Debatten einmischt, bedurfte es bislang allerdings augenscheinlich nicht.

Auf die Durchsetzungskraft der Wahrheit vertrauen

Von krassen Einzelfällen abgesehen scheint die staatlich gelenkte Korrektur von Falschmeldungen für unsere an Freiheitsidealen ausgerichtete Demokratie mehr schädlich als nützlich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat folglich mit gutem Grund schon 2013 und erneut 2015 entschieden, dass die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern durch einen türkischen Politiker von der durch Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Freiheit der Meinungsäußerung umfasst ist, obwohl dies seitens der Mehrheit der Deutschen Bundestagabgeordneten anders bewertet wird.

Auch mit Blick auf die sich aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebende Meinungsfreiheit ist ein Wahrheitsanspruch des Staates höchst bedenklich, selbst dann, wenn er sich nur auf die Richtigstellung von nachweislich falschen Tatsachen bezieht. Einerseits lässt sich nämlich oftmals gar nicht so einfach feststellen, was Tatsache und was Meinungsäußerung ist, also zur Bewertung der Tatsache gehört. Und anderseits muss man berücksichtigen, dass auch die Verbreitung von Unwahrheiten einen Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung leisten kann, weil falsche Tatsachenbehauptungen zu intensiven Diskussionen führen können, die der Wahrheitsfindung und deren Durchsetzung letztendlich förderlich sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes vertraut folglich mit gutem Grund auf die eigenständige Durchsetzungskraft der Wahrheit.

Staat muss auf Wahrheitsanspruch verzichten

Die Fragwürdigkeit der Forderungen im Kampf gegen Falschnachrichten wird durch einen Blick in unser Nachbarland Österreich noch verstärkt. Dort wurde der aus dem Jahr 1975 stammende und die Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte unter Strafe stellende § 276 StGB zum 31. Dezember 2015 außer Kraft gesetzt. Maßgeblich war für diesen Schritt einerseits die Erkenntnis, dass der unbestimmte Tatbestand, der der Verbreitung bekanntermaßen falscher Gerüchte gegenwirken sollte, laut derStandard in den vergangenen 20 Jahren zu keiner einzigen Verurteilung geführt hatte. Christian Pilnacek, Sektionschef für Strafrecht im österreichischen Justizministerium, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch rechtspolitische Bedenken gegen eine solche Strafnorm angeführt werden können. Demnach sei es sinnvoller, wenn Fake-News nicht mit Verboten, sondern vielmehr mit einer gesellschaftlichen Debatte sowie Widerrede begegnet würde. Diese Linie entspricht vollends der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Es bedarf keiner eingehenden Analyse, um erkennen zu können, dass den gegenwärtig hinsichtlich der Bekämpfung von Fake-News und Hatespeech geführten Debatten starke antidemokratische Tendenzen anhaften. Gesellschaftliche Debatten, die der Grundpfeiler unserer Demokratie sind, drohen dann erstickt zu werden, wenn sich der Staat seiner übermächtigen Ressourcen bedient und sich einer Art Wahrheitsministerium bedient, wie in George Orwells Dystopie 1984 geschildert. Der Verfassungsrechtler Sebastian Müller-Franken folgert völlig zu Recht, dass ein Staat erst dann freiheitlich ist, wenn er keinen Anspruch auf die Festlegung der Wahrheit erhebt: "Erst mit dem Verzicht auf den Wahrheitsanspruch überlässt er es den Bürgern, ob sie ihn und die von ihm ausgeübte Herrschaft bejahen oder verwerfen wollen." Diese Maxime muss auch und erst recht im Kampf gegen die Verbreitung von Fake-News unser Leitfaden sein.

Der Autor Florian Albrecht M.A. (Kriminologie) ist Oberregierungsrat und hauptamtlich Lehrender für die Rechtsfächer an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Bekämpfung von Fake-News: Lügen und lügen lassen . In: Legal Tribune Online, 30.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21615/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen