Ein neues Gespenst geht durchs Land: Seit am Montag bekannt wurde, dass eine Facebook-Nutzerin für den Gebrauch der Teilen-Funktion abgemahnt wurde, überschlagen sich die Medien mit Schreckensmeldungen über die nun womöglich heran rollende Abmahnwelle. Dabei werden viele falsche Antworten abgeschrieben, aber nur wenige richtige Fragen gestellt.
Eine neue Woche beginnt und eh man sich versieht, ist die Welt wieder ein Stück komplizierter, gefährlicher, feindseliger geworden. Die digitale Profilpflege von gestern ist der Haftungsfall von heute, oder könnte es zumindest morgen werden. Und weil den keiner erleben will, heißt der Rat schon jetzt: Teile mit Weile – oder lass es am besten gleich ganz bleiben.
Denn Facebook, das muss man wissen, wird sich in den kommenden Monaten zu einem veritablen juristischen Minenfeld entwickeln. Vielleicht. Immerhin sind von den rund 28 Millionen aktiven Nutzern in Deutschland in den vergangenen Jahren mindestens zwei abgemahnt worden. Da ist es keinesfalls zu früh, über das Heranrollen einer neuen Abmahnwelle tsunamihaften Ausmaßes zu spekulieren. Schon das Wort weckt schließlich Urängste, und Gefahrenmeldungen werden eifrig gelesen und geteilt. Auch auf Facebook.
Einer schreibts vor, alle schreiben ab
Aber was ist eigentlich passiert? Am Montag meldete die Kölner Medienrechtskanzlei Wilde Beuger Solmecke auf ihrer Homepage, dass eine Mandantin eine bislang einzigartige Form der Abmahnung erhalten habe. Die Betreiberin einer Fahrschule hatte auf ihrer Facebook-Seite eine Meldung von Bild.de über Marco Reus‘ langjähriges Fahren ohne Führerschein geteilt. Ein entsprechender Button befindet sich jeweils unter den Beiträgen auf bild.de – ebenso wie bei zahlreichen anderen Onlinemedien. Drückt man ihn, erscheint in der eigenen Facebook-Chronik ein kurzer Post, der den Artikel anteasert und zudem – ohne, dass der Nutzer darauf Einfluss nehmen könnte – eine verkleinerte Variante des Artikelbildes enthält.
Dieser letzte Punkt ist der kritische: Denn das Artikelbild war von einem Fotografen geschossen worden, der nun von der Fahrschulbetreiberin über 1.000 Euro fordert, weil sie ihn nicht als Urheber genannt hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Teilen eines Artikels inklusive Vorschaubild eine Vervielfältigung bzw. eine öffentliche Zugänglichmachung des Bildes darstellt, die nach § 13 Urheberrechtsgesetz die Nennung des Urhebers erfordert. Den Gebrauch des Bildes als solchen moniert der Fotograf offenbar nicht, doch auch dies wäre grundsätzlich denkbar. Und weil täglich Unmengen von Beiträgen geteilt werden und natürlich niemand vorher beim Urheber um Erlaubnis fragt, wird es "mit Sicherheit nicht bei dieser einen Abmahnung bleiben". Und es "besteht nun eine erhöhte Abmahngefahr für die Nutzer und eine noch größere Gefahr für die Blogbetreiber, die womöglich bald zahlreichen Regressansprüchen ausgesetzt sein werden", warnte Rechtsanwalt Solmecke am Montag.
Ähnlicher Fall bereits seit 2013 bekannt
Ihm könnte es ganz recht sein; seine Kanzlei lebt von der Verteidigung von Abmahnungsempfängern –dem Vernehmen nach besser als die meisten Abmahnkanzleien. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt auf die erfolgreiche Pressearbeit von Wilde Beuger Solmecke zurückzuführen, die ihre Wirkung auch in diesem Fall nicht verfehlt hat: Von Stern über Focus bis zur ehrwürdigen NZZ wurde die Meldung aufgegriffen und teils um faktische Unrichtigkeiten ergänzt.
Auf eigene Recherche wurde hingegen meist verzichtet. Sonst wäre sicherlich aufgefallen, dass schon die Bezeichnung als erste Abmahnung wegen Teilens auf Facebook unpräzise bis falsch ist: Schon Anfang 2013 meldete Rechtsanwalt Frank Weiß auf seiner Homepage einen weitgehend identischen Fall. Auch dort hatte jemand einen Beitrag auf Facebook geteilt, allerdings nicht durch Gebrauch des Teilen-Buttons, sondern, indem er den Link auf den Beitrag in sein Statusfenster kopierte, was insofern einen Unterschied macht, als bei dieser Form des Teilens die Möglichkeit besteht, das Vorschaubild manuell auszublenden. Und noch zwei Jahre früher hatten die teils identischen Medien, ebenfalls unter Berufung auf Herrn Solmecke ("Eine typische Facebook-Pinnwand ist für Abmahnanwälte bis zu 15.000 Euro wert"), bereits den ganz großen Haftungsexzess im Social Media-Zeitalter herbeigeschrieben, der allerdings bis heute auf sich warten lässt.
2/2: Trotz zahlloser Möglichkeiten kaum Abmahnungen
Dennoch: Zwei bekanntgewordene Abmahnungen in gut zwei Jahren sind nicht gerade viel, zumal es tagtäglich zahllose potentielle Haftungsfälle gibt. Ganz offenbar bestehen auf Seiten der Rechteinhaber jedoch erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten einer entsprechenden Klage. Warum sich daran durch die jetzige Abmahnung (die eben nur eine Abmahnung ist und kein stattgebendes Urteil) etwas ändern sollte, ist schwer erklärlich.
Der auf Social-Media-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas Schwenke rechnet jedenfalls nicht damit, dass eine neue Abmahnwelle ins Rollen kommt. "Dass die Möglichkeit solcher Abmahnungen grundsätzlich besteht, ist seit Jahren bekannt; das Problem wurde unter Experten rauf und runter diskutiert. Potenzielle Abmahner haben das Kostenrisiko eines Verfahrens, das bis zum BGH gehen könnte, bislang aber gescheut – und ich denke, damit sind sie gut beraten."
Konstruierte Einwilligung des Urhebers nach § 242 BGB
Schwenke selbst glaubt nicht, dass das Teilen von Inhalten auf Facebook eine Verletzung der Rechte des Urhebers darstellt. Er bietet dazu zwei Argumentationslinien. Die erste lehnt sich an die Entscheidungen Thumbnails I und II des Bundesgerichtshofs (BGH) an (Urt. V. 29.04.2010, Az. I ZR 69/08 sowie Urt. V. 19.10.2011, Az. I ZR 140/10). Darin hatte der BGH – verkürzt gesagt – entschieden, dass der Urheber eines Bildes sich nicht gegen dessen verkleinerte Darstellung in der Google-Bildersuche wehren kann. Wer Werke ins Internet einstelle oder einstellen lasse, ohne diese gezielt vor der Erkennung durch Suchmaschinen zu schützen, willige damit automatisch in deren Darstellung bei den Bildersuchergebnissen ein.
"Ganz ähnlich könnte man hier argumentieren", sagt Schwenke: "Wer einer Nachrichtenredaktion die Nutzungsrechte an seinen Fotos einräumt, der stimmt deren redaktioneller Nutzung zu. Zur redaktionellen Nutzung gehört heutzutage aber selbstverständlich auch und gerade das Posten und Verbreiten von Inhalten auf Social Media Plattformen. Eine entsprechende Einwilligung des Fotografen, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Lizenzvertrag erklärt wird, könnte man mit Rückgriff auf § 242 BGB also durchaus konstruieren."
Die Rechte der Urheber sieht Schwenke dadurch nicht über Gebühr belastet: "Der Sinn eines Facebook-Posts ist ja gerade der, dass die Leute ihn anklicken und so zur eigentlichen Quelle gelangen. Dort aber wird in aller Regel eine korrekte Nennung des Urhebers stattfinden." Etwas anderes könne allerdings dann gelten, wenn der einzelne Nutzer die Nachricht nicht bloß zu Informations-, sondern zu Werbezwecken teilt: "So weit müsste die konstruierte Einwilligung des Urhebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nicht gehen", meint Schwenke." Insofern könnte es auch einen Unterschied machen, ob die Fahrschulbetreiberin den von ihr geteilten Bild-Artikel beispielsweise mit einem werblichen Kommentar à la 'Bei uns wäre das nicht passiert‘ versehen hat."
Teilen ist auch nur Einbetten – Berufung auf den EuGH
Neben dem Einwilligungsgedanken bringt Schwenke noch einen zweiten ins Spiel: "In der Framing-Entscheidung hat der EuGH entschieden, dass das Einbetten von bereits öffentlich verfügbaren Inhalten – konkret ging es um Youtube-Videos – auf der eigenen Webseite keine Urheberrechtsverletzung darstellt, sofern keine neue Kopie des Inhalts erzeugt wird."
So stehe die Sache aber auch hier: In dem Zeitpunkt, in dem ein Link erstmalig auf Facebook geteilt wird, lege die Plattform in ihrem Cache einen Eintrag an, in dem die Inhalte des Links (Überschrift, Teasertext, Vorschaubild) gespeichert sind. Werde der Link später von weiteren Nutzern geteilt, so würden sie, technisch betrachtet, nur die bereits im Facebook-Cache vorhandenen Daten in ihrer eigenen Chronik einbetten. Damit sei die Sache dem vom EuGH entschiedenen Sachverhalt schon sehr ähnlich.
Einen Freibrief zum Teilen von Inhalten will aber auch Schwenke nicht erteilen: "Die Sache ist gerichtlich bislang ungeklärt. Ich fände es extrem lebensfern, wenn ein Gericht in einem so alltäglichen Verhalten wie dem Teilen von Beiträgen eine Urheberrechtsverletzung sehen würde – aber vorstellbar ist es schon, zumal, wenn man sich starr nur am Gesetzeswortlaut orientiert. Das Urheberrechtsgesetz stärker den Möglichkeiten der neuen Medien anzupassen, wäre jedenfalls sicher nicht die schlechteste Idee, schon im Sinne der Rechtssicherheit."
Constantin Baron van Lijnden, Foto auf Facebook geteilt: Viel Welle um die Abmahnwelle . In: Legal Tribune Online, 25.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15053/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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