Der EuGH hat die deutsche Preisbindung für Medikamente gekippt, Internet-Apotheken dürfen sich freuen. Zumindest noch im Moment, sagt Arne Thiermann, denn die Entscheidung könne sich in der Praxis zum Nachteil von Doc Morris & Co auswirken.
Die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneien in Deutschland verstößt gegen den freien Warenverkehr. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Mittwoch entschieden (Urt. v. 19.10.2016, Az. C-148/15). Das Urteil betrifft unmittelbar nur ausländische Internet-Apotheken, allen voran Doc Morris, die mittelbar an dem Verfahren vor dem EuGH beteiligt waren. Ob dies tatsächlich zu sinkenden Preisen für verschreibungspflichtige Medikamente führt oder als Reaktion auf das Urteil der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland verboten wird, bleibt aber abzuwarten: Die bereits in der Vergangenheit einflussreiche Apothekerlobby wird vermutlich nichts unversucht lassen, um die Pfründe niedergelassener Apotheker gegen die unliebsame Internet-Konkurrenz aus dem Ausland auch in Zukunft zu sichern.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte den EuGH im März 2015 per Vorabentscheidungsverfahren angerufen. Es ging um die Grundsatzfrage, ob das deutsche Arzneimittel-Preisrecht auch für ausländische Arzneimittel-Versender gilt, wenn diese rezeptpflichtige Medikamente an Kunden in Deutschland verkaufen und verschicken. Die höchsten EU-Richter haben nun entschieden, dass die deutsche Preisbindung in diesem Fall für ausländische Versender nicht bindend ist. Obwohl sich bereits Generalanwalt Maciejj Szpunar in seinem Schlussantrag im Juni gegen die Preisbindung ausgesprochen hatte, ist die heutige Entscheidung des EuGH in ihrer Deutlichkeit doch überraschend.
Seit mehr als zehn Jahren tobten Streitigkeiten auf allen gerichtlichen Ebenen um die ausländischen Internet-Apotheken, die Medikamente nach Deutschland liefern. Noch im Jahr 2012 hatte der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes entschieden, dass die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel auch für ausländische Apotheken gilt. Die Apotheker-Branche hatte sich seitdem in Sicherheit gewogen und branchennahe Juristen hatten in ihren Kommentaren zur Vorlage beim EuGH nicht damit gerechnet, dass das höchste europäische Gericht seinem Generalanwalt in dieser Frage tatsächlich folgt.
Internet-Apotheken dürfen rabattieren, heimische Apotheken bleiben gebunden
Fürs erste hat der Kläger, die Selbsthilfevereinigung Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV), damit einen großen Sieg gegen die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs errungen. Ihre – zumeist schwerkranken – Mitglieder dürfen von Rabatten profitieren, die ihnen die niederländische Internet-Apotheke DocMorris gewährt, wenn sie sich ihre online bestellten Parkinson-Medikamente per Post zusenden lassen. Genau das ist den Apothekern in Deutschland ein Dorn im Auge. Für niedergelassene Apotheker und deutsche Online-Apotheken gilt weiter die Preisbindung mit einheitlichen Apothekerabgabepreisen.
Die Begründung des EuGH folgt einer wettbewerbsfreundlichen Argumentationslinie und ist zugleich eine deutliche Absage an jede Form von Eingriffen in den Preismechanismus, die mit einem angeblichen Lebens- und Gesundheitsschutz begründet werden, ohne diese Behauptungen jedoch ausreichend belegen zu können.
Zunächst stellt der EuGH fest, dass sich einheitliche Abgabepreise viel stärker auf Apotheken in anderen Mitgliedstaaten auswirken als auf die heimischen Anbieter. So werde nämlich der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus anderen EU-Mitgliedsstaaten stärker behindert als für inländische Erzeugnisse. Der Versandhandel stelle für ausländische Apotheken ein wichtigeres, wenn nicht sogar das einzige Mittel dar, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten.
Außerdem sei der Preiswettbewerb vor allem für Versandapotheken ein wichtiger Wettbewerbsfaktor – jedenfalls sei der Preis für Versandanbieter viel wichtiger als für traditionelle Apotheken, die Patienten mit Personal vor Ort individuell beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherstellen können, so die Luxemburger Richter.
2/2: Deutsche Preisbindung verfehlt das Ziel: den Gesundheitsschutz
Der EuGH bestätigte zwar, dass der freie Warenverkehr grundsätzlich beschränkt werden könne, wenn der Schutz der Gesundheit und des Lebens sichergestellt werden soll. Doch gerade die deutsche Preisverordnung für Arzneimittel ist nach Auffassung der EU-Richter nicht dazu geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Die Befürworter der Preisbindung konnten jedenfalls nicht nachweisen, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann.
"Im Gegenteil legen einige eingereichte Unterlagen nahe, dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern würde, da Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten", heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Zudem lägen dem Gerichtshof keine Belege dafür vor, dass sich die Versandapotheken ohne die betreffende Regelung einen Preiswettbewerb liefern könnten, der dazu führen könnte, dass wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr gewährleistet wären, weil die Zahl der Präsenzapotheken abnehmen würde. Tatsächlich könnten andere Wettbewerbsfaktoren wie die persönliche Patientenberatung durch Personal vor Ort den alteingesessenen Apotheken dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.
Ein Weiterer positiver Effekt nach Auffassung des Gerichts: Stünden die traditionellen Apotheker tatsächlich in einem Preiswettbewerb mit Versandapotheken, hätten sie einen Anreiz, mehr "Leistungen im Allgemeininteresse wie die Herstellung von Rezepturarzneimitteln" anzubieten. Und natürlich würde Preiswettbewerb auch den Patienten Vorteile bringen, da verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen angeboten werden könnten als sie derzeit festgelegt werden.
Verbot des Versandhandels als mögliche Folge des Urteils
Die Politik wird sich nun Gedanken über die Zukunft des Systems der Preisbindung machen müssen. Das Urteil rüttelt derart stark an der deutschen Arzneimittelpreisbindung, dass es am Ende zu einer tiefgreifenden Änderung im System kommt – allerdings anders als von den ausländischen Online-Apotheken erhofft: Wie das Branchenblatt Pharmazeutische Zeitung berichtet, könnte das patientenfreundliche EuGH-Urteil doch noch von einer parteienübergreifenden Koalition ausgebremst werden.
Beim Deutschen Apothekertag vergangene Woche in München hätten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und die gesundheitspolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien bereits ein grundsätzliches Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ins Spiel gebracht, berichtet das Blatt.
Nach europäischem Recht können die Mitgliedsstaaten zwar nicht den Versandhandel mit Selbstmedikations-Arzneien verbieten, wohl aber für rezeptpflichtige Medikamente. Gut möglich, dass sich das zunächst positive EuGH-Urteil damit nicht nur für die Mitglieder der Deutschen Parkinson Vereinigung, sondern für alle Internet-Apotheken noch ins Gegenteil verkehrt.
Der Autor Arne Thiermann ist Counsel im Bereich Commercial & Regulatory Life Sciences am Hamburger Standort von Hogan Lovells International LLP.
Arne Thiermann, EuGH zu Preisbindung für Medikamente: Gerichtlicher Sieg, wirtschaftliche Niederlage? . In: Legal Tribune Online, 19.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20907/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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