EuGH zu Mehrwertsteuerrichtlinie für Bücher: Unbe­frie­di­gend, aber nicht unrecht­mäßig

von Dr. Anna-Lisa Kühn

08.03.2017

Alle Bücher sind zum Lesen da. Trotzdem werden digitale Publikationen anders besteuert als Printprodukte. Warum dies aus Sicht des EuGH nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt, erklärt Anna-Lisa Kühn.

Nach der sogenannten Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG) genießen gedruckte Publikationen wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ein besonderes Privileg: Die Mitgliedstaaten können auf sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden. Digitale Publikationen unterliegen hingegen dem Normalsteuersatz, es sei denn es handelt sich um digitale Bücher, die mittels eines körperlichen Datenträgers wie etwa einer CD-ROM geliefert werden.

Hierin sah der polnische Bürgerbeauftragte eine rechtswidrige Ungleichbehandlung. Er ist in Polen als Ombudsperson für den Schutz der Bürger vor rechtswidrigem staatlichen Handeln und dem Schutz der Menschenrechte zuständig und kann das polnische Verfassungsgericht direkt anrufen. Und auch das Verfassungsgericht hatte Zweifel an der Gültigkeit der europäischen Regelung: Zum einen könne der ermäßigte Steuersatz für bestimmte Publikationen den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen, zum anderen sei das Europäische Parlament am Gesetzgebungsverfahren möglicherweise nicht hinreichend beteiligt worden. Diese Fragen sollte auf Ersuchen des polnischen Verfassungsgerichts der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorab klären.

Die Luxemburger Richter entschieden am Dienstag, dass die entsprechende Regelung der Mehrwertsteuerrichtlinie gültig ist (Urt. v. 07.03.2017, Az. C-390/15).

Ungleichbehandlung gerechtfertigt

Zwar liege eine Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte vor, diese sei jedoch gerechtfertigt. Das ist immer dann der Fall, wenn die Ungleichbehandlung einem rechtlich zulässigen Ziel dient und außerdem angemessen ist. Speziell bei steuerlichen Maßnahmen, so der EuGH, beschränke sich aber die gerichtliche Kontrolle auf offensichtliche Fehler. Denn hier seien derart komplexe Beurteilungen vorzunehmen, dass dem Unionsgesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zukomme.

Einen solchen offensichtlichen Fehler konnte der EuGH nicht erkennen. Er wies insofern insbesondere darauf hin, dass der Gesetzgeber im Interesse einer eindeutigen Regelung elektronische Dienstleistungen generell von einer Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes ausschließe. Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung des digitalen Marktes sei andernfalls die Handhabung der Steuersätze zu kompliziert. Vor diesem Hintergrund sei es nur kohärent, auch die Lieferung digitaler Bücher von der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auszunehmen.

EuGH folgt den Schlussanträgen der Generalanwältin

Der EuGH folgt damit der Ansicht der Generalanwältin Juliane Kokott, die in ihren Schlussanträgen vom September vergangenen Jahres ebenfalls den Beurteilungsspielraum des Unionsgesetzgebers betont hatte. Ziel der Mehrwertsteuerrichtlinie sei es, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Ob aber zwischen den betreffenden Waren tatsächlich ein Wettbewerb bestehe, sei von einer Vielzahl von Umständen abhängig und außerdem von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. Die komplexe Beurteilung der Wettbewerbssituation in der gesamten Europäischen Union obliege daher dem Gesetzgeber.

Diese Begründung aus Luxemburg mag zunächst ein wenig unbefriedigend erscheinen. Ist die Wettbewerbslage im digitalen Markt tatsächlich derart kompliziert, dass ein genereller Ausschluss aller elektronischen Dienstleistungen vom ermäßigten Steuersatz vorzugswürdig ist, auch wenn dies Ungleichbehandlungen hervorruft?

In der Verlagsbranche trifft diese Wertung jedenfalls auf Unverständnis. Branchenvertreter sehen fatale Wettbewerbsnachteile für kleinere Verlage, die gerade im so wichtigen digitalen Geschäft aufgrund der hohen Besteuerung nicht mithalten könnten. Dies führe zu einer Konzentration im Verlagswesen und einer verminderten Vielfalt, was letztlich zulasten der Leser gehe. Statt vor der Komplexität des Marktes zu kapitulieren, solle die Union die Wettbewerbssituation lieber vollständig analysieren und entsprechend regeln.

Flexible Lösung für nationale Gesetzgeber in Planung

Der Ansatz des europäischen Gesetzgebers, im Interesse einer einfachen Handhabung des Steuerrechts generell alle elektronischen Dienstleistungen dem vollen Mehrwertsteuersatz zu unterstellen, scheint nicht mehr zeitgemäß. Doch es ist nicht Aufgabe des EuGH, wertende Entscheidungen des Gesetzgebers, die einem generellen System folgen, durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen. Helfen kann hier nur der Gesetzgeber.

Verlage können auf eine baldige und vor allem für sie günstigere Änderung der Rechtslage hoffen, denn die Europäische Kommission hat bereits im Dezember 2016 eine Reform der Mehrwertsteuer-Regeln angekündigt. In diesem Rahmen soll es auch den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, ihre Mehrwertsteuersätze für elektronische Veröffentlichungen wie E-Books und Online-Zeitungen zu senken. Diese Legislativvorschläge werden derzeit dem Europäischen Parlament zur Konsultation und dem Rat zur Annahme übermittelt.

Die Autorin Dr. Anna-Lisa Kühn ist Rechtsanwältin im Berliner Büro der Kanzlei Noerr LLP und Mitglied der Praxisgruppe Gewerblicher Rechtsschutz & Medien. Sie ist spezialisiert auf Medien- und Entertainmentrecht, Urheberrecht, Verlagsrecht, Online-Recht und Prozessführung.

Zitiervorschlag

Dr. Anna-Lisa Kühn, EuGH zu Mehrwertsteuerrichtlinie für Bücher: Unbefriedigend, aber nicht unrechtmäßig . In: Legal Tribune Online, 08.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22309/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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