EuGH segnet die Eurorettung ab: Die Mitgliedstaaten dürfen einander eben doch Kredite geben

von Prof. Dr. Christoph Herrmann, LL.M. European Law (London)

27.11.2012

Der EuGH hat den Vertrag zur Errichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus für europarechtskonform erklärt. Wichtige Streitfragen, vor allem zum Inhalt der so genannten "No-Bailout-Klausel" sind damit jetzt abschließend geklärt. Endlich, kommentiert Christoph Herrmann – und hofft, dass nun endlich Schluss ist mit der notorischen Kritik an der Eurorettung.

Über europarechtliche Streitfragen dürfte kaum jemals mit solcher Leidenschaft, Intensität und öffentlicher Wahrnehmung gestritten worden sein wie bei den europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen der "Euro-Rettungspolitik".

In der deutschen Öffentlichkeit hatte sich insoweit allzu schnell der Eindruck eines "offenkundigen Rechtsbruchs" festgesetzt. Der Diskussionslage in der Europarechtswissenschaft entsprach dieser aber keineswegs. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun zum ersten Mal die Gelegenheit, zum Kern der Rettungspolitik Stellung zu nehmen. Die Entscheidung, mit welcher die Luxemburger Richter  Abschluss und Ratifikation des Europäischen Stabilitätsmechanismus für europarechtskonform erklären (Urt. v. 27.11.2012, Az. C-370/12), hätte klarer kaum ausfallen können.

Sie bestätigt diejenigen, die bereits seit 2010 die Auffassung vertreten haben, dass die EU-Verträge den Mitgliedstaaten und den Organen der Europäischen Union (EU) mehr Spielraum gewähren als viele – unter Beschwörung des "Geists von Maastricht" - wahrhaben wollten.

Die Rettung des Euro und die große Frage nach der No-Bailout-Klausel

Die Rettungspolitik besteht im Wesentlichen aus der Gewährung von Krediten an die Mitgliedstaaten, die an den Finanzmärkten nicht mehr zu bezahlbaren Zinsen Finanzmittel aufnehmen können und denen daher ein ungeordneter "Staatsbankrott" droht. Die Darlehen wurden bislang zunächst von den Mitgliedstaaten direkt und dann von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gewährt. Zukünftig soll die Kreditgeberrolle der dauerhafte Europäische Finanzstabilitätsmechanismus (ESM) übernehmen, der auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages im Oktober 2012 errichtet worden ist.

Jegliche Kreditgewährung geschieht unter strengen wirtschaftspolitischen Auflagen. Diese sollen  sicherstellen, dass der betroffene Mitgliedstaat finanzpolitisch wieder auf solideren Kurs zurückfindet.

Von den vielfältigen Rechtsfragen, welche die Rettungspolitik aufwirft, war eine stets besonders leidenschaftlich umstritten: Dürfen Euromitgliedstaaten Kredite gewährt werden, obwohl Art. 125 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine automatische Haftung der Mitgliedstaaten untereinander sowie eine Schuldenübernahme ausschließt, um die haushaltspolitische Eigenverantwortlichkeit sicherzustellen?

EuGH: Europäischer Rat durfte ESM-Errichtung durch Mitgliedstaaten vorsehen

Der EuGH hat nun – in einer Entscheidung des gesamten Plenums aller 27 Richter, was äußerst selten ist – die rechtliche Zulässigkeit der Euro-Rettungspolitik in aller Deutlichkeit bejaht. Zutreffend stellt der Gerichtshof fest, dass die Rettungspolitik keine Währungspolitik darstellt. Sie ist vielmehr dem Bereich der Wirtschaftspolitik zuzuordnen, für welche die EU gerade keine ausschließliche Kompetenz besitzt (Art. 5 Abs. 1 AEUV).

Die Mitgliedstaaten dürfen dementsprechend untereinander auch völkerrechtliche Verträge schließen, soweit diese die Regeln der EU nicht beeinträchtigen. Der Europäische Rat durfte zudem im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) die Vorschrift des Art. 136 AEUV um einen neuen Abs. 3 ergänzen, welcher die Errichtung des ESM durch die Mitgliedstaaten der Eurozone ausdrücklich vorsieht (Beschl. 2011/199).

Diese Änderung berührt weder eine Kompetenz der Union selbst, da ein solcher Mechanismus bisher nicht vorgesehen war, noch überträgt sie der EU eine Zuständigkeit. Letzteres wäre im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nicht zulässig gewesen.

No-Bailout-Klausel steht ESM nicht entgegen

Bis hierhin dürfte das Urteil aus Luxemburg auch die Kritiker der Rettungspolitik kaum überraschen. Jedem musste klar sein, dass die Mitgliedstaaten Art. 136 Abs. 3 AEUV im vereinfachten Änderungsverfahren einführen durften.

Mit größerer Spannung war erwartet worden, ob der EuGH die Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV überhaupt für erforderlich halten würde. Wären die Luxemburger Richter zu dem Ergebnis gekommen, dass erst die Einfügung des Art. 136 Abs. 3 AEUV eine Ausnahme von der so genannten "No-Bailout-Klausel" (Art. 125 Abs. 1 AEUV) schafft, hätten sie  damit implizit die Rechtswidrigkeit der Rettungspolitik bis zur Einführung dieser Vorschrift, d.h. der Griechenlandhilfen und der EFSF-Darlehen festgestellt.

In begrüßenswerter Deutlichkeit hat der EuGH entschieden, dass die so genannte "No-Bailout-Klausel" einer solchen konditionierten Kreditgewährung auch ohne den neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht entgegensteht. Die Funktion der Vorschrift, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten auf eine solide Haushaltspolitik achten, werde durch derartige Kredite nicht beeinträchtigt.

Schluss mit der notorischen Kritik an den Rettungspakten

Die Entscheidung aus Luxemburg, die im Einzelnen noch zahlreiche weitere Fragen klärt, erteilt der Euro-Rettungspolitik von EU, Eurozone und Mitgliedstaaten nun im Kern den höchstrichterlichen Segen - und zwar in Ergebnis und Begründung zu Recht.

Offen ist hingegen noch die Frage, ob die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Anleihekäufen das Europarecht verletzt. Diese Frage war vom Gerichtshof im vorliegenden Verfahren noch nicht zu entscheiden; er dürfte dazu aber voraussichtlich im nächsten Jahr Gelegenheit erhalten. Auch insoweit sprechen die überzeugenderen Argumente allerdings dafür, dass die EZB das Europarecht nicht bricht.

Abzuwarten bleibt, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner noch ausstehenden Hauptsacheentscheidung zum ESM auf die Klarstellungen reagieren wird. Die Hoffnungen der notorischen Gegner aller Rettungspakete wird aber auch Karlsruhe wohl einmal mehr enttäuschen müssen – und das wäre auch gut so!

Prof. Dr. Christoph Herrmann, LL.M. European Law (London), Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth) ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Christoph Herrmann, LL.M. European Law (London), EuGH segnet die Eurorettung ab: Die Mitgliedstaaten dürfen einander eben doch Kredite geben . In: Legal Tribune Online, 27.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7651/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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