EuGH-Generalanwalt zum Schächten von Tieren: Prak­ti­sche Kon­kor­danz im Schlachthof

von Thomas Traub

30.11.2017

Nach einer EU-Vorschrift muss das rituelle Schlachten in zugelassenen Schlachthöfen erfolgen – die wurden in Belgien allerdings knapp. Thomas Traub erläutert, warum das nach Ansicht des Generalanwalts nicht die Religionsfreiheit verletzt.

Viele Jahre lang war es in Belgien praktizierenden Muslimen erlaubt, rituelle Schlachtungen aus Anlass des islamischen Opferfests durchzuführen. Die Tiere wurden in Übereinstimmung mit den religiösen Geboten geschächtet, also ohne vorherige Betäubung getötet. Dies fand einerseits in regulären, zugelassenen Schlachthöfen statt, andererseits an vorübergehend aufgebauten Schlachtstätten, die nur während des Opferfests genutzt wurden und die temporär erhöhte Nachfrage decken sollten. Die belgischen Behörden haben ab 2014 keine Zulassung mehr für diese temporären Schlachtstätten erteilt, weil die Genehmigung nach der europäischen Verordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (VO EG Nr. 1099/2009) nicht vorgesehen ist.

Das staatliche Verbot temporärer Schlachtstätten führte in Belgien zu Kapazitätsproblemen, da die bestehenden Schlachthöfe die höhere Nachfrage während des Opferfests nicht befriedigen konnten und die Aufrüstung der stationären Schlachtstätten erhebliche Investitionskosten erforderte. Ein belgisches Gericht hat deshalb im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens den Europäischen Gerichtshof gefragt, ob die Vorgabe der EU-Verordnung, nach der Schlachtungen nur in einem zugelassenen Schlachthof durchgeführt werden können, die Religionsfreiheit verletzt.

In seinen Schlussanträgen vom Donnerstag hat der Generalanwalt Nils Wahl jetzt überzeugend begründet, warum die Religionsfreiheit nicht verletzt ist und interessante Überlegungen zum Verhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz angestellt (Az. C-426/16).

Staatliche Gerichte entscheiden nicht über religiöse Fragen

Artikel 10 der europäischen Grundrechte-Charta schützt die Religionsfreiheit. Dazu zählt auch die Freiheit, seine Religion durch Bräuche und Riten auszuüben. Viele Muslime sehen es als religiöse Pflicht an, zu Beginn des Opferfestes ein Tier in Übereinstimmung mit religiösen Regeln zu schlachten und dessen Fleisch anschließend mit Nachbarn, Verwandten und Bedürftigen zu teilen. Dagegen gibt es andere Muslime, die der Ansicht sind, dass das Schlachten nicht unbedingt ohne Betäubung erfolgen muss und modernere Vorstellungen, nach denen das Tieropfer auch durch eine Spende ersetzt werden kann.

Generalanwalt Wahl widerstand nun der Versuchung, wegen der unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Islam in Zweifel zu ziehen, dass das rituelle Schlachten von der Religionsfreiheit geschützt wird. Es sei nicht Aufgabe staatlicher Gerichte zu entscheiden, welche Interpretation religiöser Vorschriften die richtige ist. So gebe es in allen Religionen unterschiedliche Strömungen, orthodoxe und moderne Ansätze.

Damit liegt er genau richtig: Staatliche Institutionen haben keine Kompetenz, religiöse Gebote verbindlich auszulegen. Die Religionsfreiheit kann als Grundrecht nur dann ihre schützende Wirkung entfalten, wenn ihr Inhalt nach dem Selbstverständnis des Gläubigen bestimmt wird. Verwaltung und Gerichte müssen sich darauf beschränken, zu überprüfen, ob das religiöse Gebot plausibel begründet wird. Dass damit eine uferlose Ausweitung des Schutzes der Religions- und Weltanschauungsfreiheit wirksam verhindert werden kann, machen etwa die Urteile zu den "Pastafari" anschaulich.

Zitiervorschlag

Thomas Traub, EuGH-Generalanwalt zum Schächten von Tieren: Praktische Konkordanz im Schlachthof . In: Legal Tribune Online, 30.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25785/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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