EuGH kippt Kürzung von Asyl-Mindestsicherung: Befris­teter Auf­ent­halt recht­fer­tigt keine Absen­kung

von Prof. Dr. Winfried Kluth

23.11.2018

Österreich zahlte subsidiär Schutzberechtigten deutlich weniger Geld als dauerhaft Asylberechtigten – darin sieht der EuGH einen Verstoß gegen EU-Recht und gibt auch Signale für den deutschen Gesetzgeber, erläutert Winfried Kluth.

Die Frage, wieviel Spielraum "nach unten" der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe im Bereich des Asylrechts hat, beschäftigte in den letzten Jahren immer wieder Politik und Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 2012 klargestellt, dass für die Leistungen während des laufenden Anerkennungsverfahrens zwar einerseits sich gegenüber Sozialhilfe etwas abgesenkten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungsrechtlich zulässig sind – zugleich aber klargestellt, dass diese nicht unter dem Existenzminimum liegen dürfen und regelmäßig an die Kostenentwicklung angepasst werden müssen.

Zudem hat das Gericht ausgeführt, dass migrationspolitische Erwägungen, insbesondere die Abschreckung weiterer Schutzsuchender, denen es vor allem auf diese Leistungen ankommt, kein hinreichender Rechtfertigungsgrund für solche Absenkungen sein können. Nun hat der EuGH mit seiner Entscheidung vom 21. November 2018 in der Rechtssache Ayubi (C-713/17) eine Klarstellung zu den Fällen anerkannter Flüchtlinge vorgenommen, denen ein dreijähriger Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt wurde. Der Umstand der auf drei Jahre begrenzten Geltung des Aufenthaltstitels rechtfertigt danach keine Absenkung der Leistungsansprüche, wie sie im österreichischen Recht vorgesehen sind.

Ergebnis und Begründung sind wenig überraschend. Das macht im Verfahrensablauf auch der Verzicht auf Schlussanträge der Generalanwältin deutlich. Sowohl Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention als auch Art. 29 der EU-Asyl-Qualifikations-Richtlinie 2011/95/EU verlangen von den Staaten eine Gleichbehandlung der anerkannten Flüchtlinge mit den eigenen Staatsangehörigen.

Keine Unterscheidung nach Geltungsdauer des Aufenthaltstitels

Beide Regelungen beschreiten den formalen Weg der Inländergleichbehandlung zur Konkretisierung des Anspruchs, weil das Niveau der Sozialleistungen in den einzelnen Staaten erheblich divergiert und es deshalb auch nicht möglich war und ist, ein bestimmtes Leistungsniveau einheitlich vorzuschreiben.

Für eine Unterscheidung bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe zwischen anerkannten Flüchtlingen anhand der Geltungsdauer des erteilten Aufenthaltstitels bleibt vor diesem Hintergrund kein Raum. Und zwar auch weil bei Fortbestand der Verfolgungsgründe die Verlängerung der Geltungsdauer vorprogrammiert ist. Auch nach deutschem Recht wird anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten zunächst ein auf drei Jahre bzw. ein Jahr befristeter Aufenthaltstitel erteilt, bevor sie nach § 26 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nach drei bzw. fünf Jahren einen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis haben. Damit gibt die Entscheidung des EuGH auch eine verbindliche Orientierung für den deutschen Gesetzgeber und die aktuelle Debatte über die Verminderung sogenannter Pull-Effekte durch die Absenkung sozialstaatlicher Leistungen.

Der EuGH hat weiter entschieden, dass die Vorgaben des Art. 29 der EU-Asyl-Qualifikations-Richtlinie auch eigene subjektive Recht der anerkannten Flüchtlinge begründen, so dass sie gegenüber den Mitgliedstaaten den Anspruch auf Inländergleichbehandlung auch gerichtlich geltend machen können. Dadurch wird die Durchsetzung des Anspruchs wirksam abgesichert.

Insgesamt trägt das Urteil zur Klärung der Rechtslage in der gesamten Europäischen Union bei. Es ändert aber zugleich nichts daran, dass Länder wie Deutschland, die anders als z.B. Italien und Griechenland ein hohes Niveau der Sozialleistungen etabliert haben, für Flüchtlinge attraktiver bleiben. Daran kann selbst der europäische Gesetzgeber für anerkannte Flüchtlinge nichts ändern, indem er die Leistungen anhand von bestimmten Merkmalen einheitlich vorgibt, da die Vorgabe der Inländergleichbehandlung in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist. Deren Änderung erscheint wegen der Gefahr ihrer Aufkündigung durch viele Vertragsstaaten im Falle einer Änderung derzeit gänzlich ausgeschlossen.

Der Autor Prof. Dr. Winfried Kluth ist Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Forschungsstelle Migrationsrecht. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte liegt seit Jahren im Bereich des Migrations- und Integrationsrechts.

Zitiervorschlag

EuGH kippt Kürzung von Asyl-Mindestsicherung: Befristeter Aufenthalt rechtfertigt keine Absenkung . In: Legal Tribune Online, 23.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32299/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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