Am Donnerstag hat das Europäische Parlament die sog. Portabilitätsverordnung verabschiedet, die Streaming-Dienste europaweit einheitlich nutzbar machen soll. Philipp Roos erklärt die Auswirkungen für Nutzer, Anbieter und Lizenzgeber.
Ihre Beliebtheit steigt und aus dem Leben vieler Menschen sind sie nicht mehr wegzudenken: Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime, Spotify, Apple Music oder Sky Go, um nur einige der vielen Anbieter auf dem stetig wachsenden Markt zu nennen. Innerhalb der Europäischen Union haben derzeit bereits rund 11 % aller Haushalte einen Video-On-Demand-Dienst abonniert. Bis 2020 soll sich diese Zahl verdoppeln. Wer den von ihm abonnierten Streamingdienst allerdings schon einmal im Ausland nutzen wollte, konnte dabei die böse Überraschung erleben, dass nur ein eingeschränkter Teil oder überhaupt keine Inhalte des Angebots abrufbar waren.
Damit ist zukünftig – zumindest innerhalb der Europäischen Union – für die Abonnenten entsprechender Dienste Schluss. Als Teil der umfassenden „Strategie für den digitalen Binnenmarkt in Europa“ verabschiedete das Europäische Parlament nun die sog. Portabilitätsverordnung. Sie trägt der stetig wachsenden Bedeutung von Onlinediensten, zu denen etwa auch Portale zur Vermietung von E-Books oder Gamingportale zählen, Rechnung. Das Vorhaben war bereits im Dezember 2015 von der Kommission angestoßen worden.
Territoriale Lizenzen als Hemmnis für einen europäischen Digital-Binnenmarkt
Als Ursache der bisherigen Beschränkungen im digitalen Binnenmarkt erweist sich das im Urheberrecht und für verwandte Schutzrechte geltende Territorialitätsprinzip. Hiernach benötigen Verwerter wie die Anbieter von Streamingdiensten für jedes Land, in dem sie ein geschütztes Werk nutzen wollen, eine Gebietslizenz. Die Vergabe entsprechender Lizenzen erfolgt innerhalb der Europäischen Union regelmäßig an verschiedene Verwerter, die jeweils zur Kasse gebeten werden.
Die Einhaltung des Territorialitätsprinzips wird über das sog. Geoblocking gewährleistet. Mittels der IP-Adresse des Nutzers kann festgestellt werden, in welchem Land sich dieser gerade befindet. Angezeigt werden dann nur diejenigen Inhalte, die für das betreffende Land lizensiert sind.
Die Portabilitätsverordnung schafft weder das Territorialitätsprinzip noch das Geoblocking vollends ab, schränkt jedoch beide ein. Hierfür bedient sich die Verordnung einer Rechtsfiktion: Sobald der Abonnent seinen Onlinedienst im Raum der Europäischen Union nutzt, gilt die Nutzung als ausschließlich im Wohnsitzland stattfindend (Art. 4).
Streaming am Strand auf Mallorca nun möglich
Durch die Portabilitätsverordnung werden die Anbieter von Streamingdiensten wie Netflix verpflichtet, ihren Abonnenten bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat den uneingeschränkten Zugriff auf den im Wohnsitzland abonnierten Dienst zu ermöglichen (Art. 3 Abs. 1).
Der Anbieter muss dabei den identischen Leistungsumfang wie im Wohnsitzland gewährleisten: Betroffen sind die Inhalte, die Anzahl von Geräten sowie der Funktionsumfang. Praktisch bedeutet dies für deutsche Abonnenten also, dass alle in Deutschland verfügbaren Formate künftig auch im Spanien-Urlaub verfügbar sein müssen. Dabei kann aufgrund der schon ab Juni 2017 geltenden Abschaffung der Roaminggebühren unter Umständen sogar auf das im Wohnsitzland bestehende Datenkontingent zurückgegriffen werden, ohne dass Zusatzkosten entstehen.
Einschränkend sind von der Pflicht nur die gegen Zahlung erbrachten Angebote erfasst. Frei empfangbare Dienste wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind aber berechtigt, ihre Angebote aus den Mediatheken über Landesgrenzen hinweg zum Streaming bereitzustellen, wenn sie die von der Verordnung vorgegebenen Prüfpflichten erfüllen. Zugleich müssen sie die Lizenzgeber über ihre Absicht informieren. Eine Möglichkeit zum Widerspruch der Lizenzgeber besteht nicht.
Ausdrücklich stellt die Verordnung klar, dass Anbieter für die grenzüberschreitende Nutzungsmöglichkeit keine Zusatzentgelte erheben dürfen. Anderslautende Vertragsbestimmungen finden keine Anwendung (Art. 5 Abs. 1). Dabei ist ohne Bedeutung, ob der Vertrag bereits vor dem Geltungsbeginn der Verordnung geschlossen wurde oder nicht.
2/2: "Vorübergehender Aufenthalt"
Bereits am Kommissionsvorschlag aus Dezember 2015 wurde kritisiert, dass dieser nicht eindeutig festzulegen vermochte, was unter einem "vorübergehenden Aufenthalt" zu verstehen ist. Trotz der Kritik wurde an dem Begriff festgehalten und lediglich klargestellt, dass der Aufenthalt nicht dauerhaft sein darf (Art. 2 lit. c, d). Klar ist nach Verabschiedung der Verordnung nur, dass sowohl Privat- und Geschäftsreisen als auch ein ERASMUS-Semester an einer europäischen Hochschule als "vorübergehender Aufenthalt" gelten sollen – diese Beispiele finden sich in den Erwägungsgründen.
Eine zeitliche Höchstgrenze benennt die Verordnung nicht. Anbieter von Onlinediensten stellt dies vor das Dilemma, dass sie sich im Falle einer unberechtigten Sperrung eines Abonnenten diesem gegenüber schadensersatzpflichtig machen können. Zugleich müssen sie aber ihre Pflichten gegenüber den Lizenzgebern erfüllen und gegen Missbrauch vorgehen. Hier empfehlen sich Vereinbarungen im Rahmen künftiger Lizenzverträge. Absehbar erscheint bereits, dass sich der EuGH mit der Konkretisierung des Begriffs wird befassen müssen.
Prüfpflichten für Anbieter
Um den Missbrauch der Rechte aus der Portabilitätsverordnung durch die Nutzer zu verhindern, kommen auf die Anbieter zukünftig Prüfpflichten zu. Nach Art. 3a Abs. 1 der Verordnung müssen sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und bei einer Vertragsverlängerung das Wohnsitzland des Nutzers kontrollieren. Die Verordnung nennt beispielhaft einige Kriterien wie den Personalausweis, die Bankverbindung oder eine Betriebskostenabrechnung, anhand derer die Prüfung erfolgen darf. Ebenfalls möglich sind die Nutzung der Postanschrift oder der IP-Adresse des Abonnenten. Die IP-Adresse darf aber nur dann erhoben werden, wenn die Postanschrift in keinem öffentlichen Register zu finden ist.
Im Gegensatz zu einer früheren Entwurfsfassung der Verordnung sind die Anbieter nunmehr darauf beschränkt, maximal zwei dieser Kriterien einzusetzen. Damit wurde datenschutzrechtlichen Bedenken Rechnung getragen und einer unbegrenzten Datenerhebung ein Riegel vorgeschoben.
Sofern berechtigte Zweifel am Wohnsitzland des Abonennten entstehen, kann die Überprüfung wiederholt werden (Art. 3a Abs. 2). Der Anbieter ist in diesem Fall berechtigt, zunächst erneut Informationen vom Abonnenten anzufordern und ihm im Falle der Nichtübermittlung die grenzüberschreitende Nutzbarkeit zu versagen.
Ab wann gilt die Verordnung?
Wirkung entfaltet die Verordnung neun Monate nach ihrem Inkrafttreten durch die Veröffentlichung im EU-Amtsblatt. Daher kommen Abonnenten ab dem Frühjahr 2018 in den Genuss, ihre Onlinedienste über Landesgrenzen hinweg nutzen zu können. Aufgrund der Rechtsnatur als Verordnung bedarf es auch keiner weiteren Umsetzungsakte der Mitgliedstaaten, wie dies etwa bei EU-Richtlinien der Fall ist.
Die Verabschiedung der Portabilitätsverordnung ist aus Sicht der Nutzer erfreulich und begrüßenswert. Sie stellt einen ersten – kleinen – Schritt in Richtung eines europäischen, modernen Urheberrechts dar. Für die Anbieter entsprechender Plattformen enthält sie aufgrund des kurzen Umsetzungszeitraums den Auftrag, schnell rechtskonforme Lösungen in rechtlicher und technischer Sicht zu erarbeiten. Internationalen Lizenzgebern wie amerikanischen Filmstudios dürfte die Verordnung dagegen missfallen, da das für sie wirtschaftlich wichtige Territorialitätsprinzip zumindest berührt wird. Ob und welchen Einfluss dieser Umstand auf zukünftige Lizenzverhandlungen nehmen wird, bleibt dagegen abzuwarten.
Der Autor Dr. Philipp Roos ist Assessor. Er promovierte auf dem Gebiet des Urhebervertragsrechts.
Philipp Roos, EU-Parlament beschließt Portabilitätsverordnung: Der Anfang vom Ende des Geoblockings? . In: Legal Tribune Online, 19.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22976/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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