Die EU-Kommission will auch den Handel ins digitale Zeitalter bringen. Bislang legt sie nur Zahlen vor. Aber die lassen erahnen, dass sie nicht mehr lange dulden wird, dass Händler Kunden aus anderen Ländern aussperren, erklärt Ingo Spahr.
Verbraucher sollen verstärkt über das Internet im EU-Ausland einkaufen können. Höhere Kosten der Händler, sei es für Transport und Logistik oder aber für die Anpassung an nationale Rechtsordnungen, sollen nicht dazu führen, dass sie Kunden in anderen EU-Staaten den Online-Einkauf verwehren. Das ist das Ziel der Europäischen Kommission. Vorläufige Untersu-chungsergebnisse zum Status Quo zeigen aber, dass das mit der Realität wenig zu tun hat.
Im vergangenen Dezember hatte die Kommission schon ihre Pläne für eine Reform des Urhe-berrechts vorgestellt, die Verbrauchern die Portabilität digitaler Inhalte zwischen den Mitglied-staaten ermöglichen soll. Abonnenten von Streaming-Diensten wie Netflix oder Amazon Prime sollen diese in Zukunft auch außerhalb ihres Heimatlandes nutzen können.
Aber das Exekutivorgan der EU prüft den E-Commerce-Sektor auch darüber hinaus, vor allem mit Blick auf das Kartellrecht. Es geht darum, ob und unter welchen Voraussetzungen der (Online-) Zugang zu Waren oder digitalen Inhalten innerhalb des Binnenmarktes überhaupt beschränkt werden darf.
Ein wichtiges Instrument, das Unternehmen dazu gern nutzen, ist das sogenannte Geoblocking - die Umleitung von Kunden auf länderspezifische Websites oder die Sperrung digitaler Inhalte in einzelnen Ländern. Ausländische IP-Adressen werden gesperrt und wenn die Verbraucher sich registrieren, prüfen die Händler, ob eine inländische Adresse oder Zahlungsart vorliegt. Das vorläufige Untersuchungsergebnis der Kommission zeigt, wie weit das Geoblocking in der EU verbreitet ist. Und es lässt vermuten, dass die Kommission einschreiten wird.
Geoblocking: ganz alltäglich
Dass es der Kommission ernst ist, zeigt allein der Umfang ihrer Untersuchung: 1.400 Händler und Anbieter digitaler Inhalte aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten hat sie umfassend befragt, neben klassischen Händlern auch Betreiber von Preisvergleichsportalen und Online-Marktplätzen. Über letztere bieten Unternehmen ihre Produkte häufiger grenzüberschreitend an als Händler, die nur ihre eigene Website für den Vertrieb nutzen.
Den Handel mit Kleidung und Schuhen, mit Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik, mit Kosmetika und Spielwaren hat die Kommission untersucht. Bei den digitalen Inhalten geht es vor allem um audio-visuellen Inhalte wie Filme, TV-Serien oder Sportübertragungen und Musik.
Das Ergebnis: Geoblocking sei sowohl beim Verkauf von Gebrauchsgütern als auch beim Zugang zu digitalen Inhalten in der gesamten EU alltäglich. 38 Prozent der Gebrauchsgüter verkaufenden Einzelhändler, die sich an der Untersuchung beteiligten, und 68 Prozent der Anbieter digitaler Online-Inhalte hätten angegeben, Verbraucher aus anderen EU-Mitgliedstaaten durch Geoblocking auszuschließen.
2/2: Verbotene Vereinbarungen und einseitige Entscheidungen
Bei Konsumgütern beruhe Geoblocking vor allem auf einseitigen Entscheidungen der Unter-nehmen, nicht im Ausland zu verkaufen, so die Kommission. Solche Entscheidungen könnte sie als EU-Wettbewerbsbehörde überhaupt nur dann auf ihre Wettbewerbswidrigkeit hin prüfen, wenn die Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung hätten.
Beim Vertrieb digitaler Inhalte ist Geoblocking dagegen nach den Ergebnissen der Analyse häufiger Gegenstand einer Vereinbarung zwischen Unternehmen. Solche Vereinbarungen, in der Regel zwischen Lieferanten und Vertreibern, unterfallen regelmäßig dem Kartellverbot. Die Kommission als EU-Wettbewerbsbehörde kann sie daher überprüfen.
Von den befragten Anbietern digitaler Inhalte berichteten nach Angaben der Kommission 68 Prozent, dass sie Geoblocking anwendeten. 59 Prozent erklärten, sie seien hierzu vertraglich durch die Bereitsteller der Inhalte verpflichtet.
Territoriale Beschränkungen gerechtfertigt?
Statistisch repräsentativ für die EU-Märkte für elektronischen Handel sind die Ergebnisse der Sektoruntersuchung nicht, weil die Beteiligung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich groß war. Wettbewerbsrechtliche Bedenken will die Kommission jetzt nicht aussprechen, auch kartellrechtliche Ermittlungen gegen Unternehmen leitet sie nicht ein. Noch nicht.
Allerdings hat sie angekündigt, entsprechende Verfahren gegen die betroffenen Unternehmen zu eröffnen, falle die Kommission im Rahmen der weiteren Untersuchung Anlass zu wettbewerblichen Bedenken hat, etwa weil Vereinbarungen zu unzulässigen Gebietsbeschränkungen führen. Die Wettbewerbshüter müssen zwischen den Interessen von Verbrauchern, Rechteinhabern und Wett-bewerb im Binnenmarkt abwägen. Der Verordnungsentwurf zur Portabilität digitaler Inhalte vom Dezember 2015 lässt einen strengen Maßstab vermuten.
Für die Anbieter von Produkten und Dienstleistungen wird am Ende entscheidend sein, wann die Kommission Geoblocking für gerechtfertigt hält. Dies gilt vor allem bei Filmen und anderen digitalen Inhalten, für die das Urheberrecht bislang territoriale Beschränkungen im Rahmen der Verwertung gestattet. Können Unternehmen keine hinreichenden Rechtfertigungsgründe vorbringen und geht die Kommission von einer unzulässigen Gebietsbeschränkung entlang nationaler Grenzen aus, kann sie Bußgelder bis zu 10 Prozent des Konzernumsatzes verhängen. In der Beratung der Unternehmen wird es also darum gehen, unter welchen Voraussetzungen territoriale Beschränkungen innerhalb der EU gerechtfertigt sind und inwieweit Vertriebsverträge ggf. angepasst werden müssen.
Ihren ausführlichen Bericht zum Thema Geoblocking und den Ergebnissen ihrer bisherigen Untersuchung hat die Kommission für die Jahresmitte angekündigt. Neben den nun ausgewerteten Händler-Antworten sollen dann auch die Rückmeldungen der Hersteller, Lieferanten und Rechteinhaber einfließen. Zu den Ergebnissen können Unternehmen im Rahmen einer öffentlichen Konsultation Stellung nehmen.
Der Autor Ingo Spahr ist Associate bei Osborne Clarke in Köln. Einer seiner Tätigkeitsschwerpunkte ist die Beratung und Verteidigung von Unternehmen in Kartellverfahren vor der EU-Kommission.
Ingo Spahr , Mehr Digitalhandel über die Grenzen: Kommission will Geoblocking reduzieren . In: Legal Tribune Online, 23.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18871/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag