Die EU-Erbrechtsverordnung ist schon in Kraft, gilt aber erst für Todesfälle ab dem 17. August 2015. Ob für Mallorca-Renter, Auswanderer oder internationale Patchwork-Familien: Ein Jahr vorher muss die Erbrechtspraxis sich schon auf die Neuregelungen einstellen. Was Erbrechtler bereits jetzt beachten müssen, erklärt Herbert Grziwotz.
Die Europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO), die schon seit dem 16. August 2012 in den meisten EU-Staaten in Kraft ist, soll die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen von Justizbehörden und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen im Erbrecht unterstützen und erleichtern. Die Bürger sollen ihre Rechte im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Erbfällen leichter durchsetzen können. Die Verordnung gilt für ab dem 17. August 2015 eintretende Erbfälle.
Erbrechtler müssen sich allerdings spätestens jetzt mit der Verordnung beschäftigen. Verfügungen von Todes wegen können schon jetzt auf das neue Recht abstellen, insbesondere eine Rechtswahl treffen. Stirbt der Erblasser vor dem Stichtag in einem Jahr, hat diese Wahl keine Wirkungen, bei seinem Tod danach gilt das gewählte Recht. Frühere Rechtswahlen, insbesondere solche hinsichtlich des im Inland belegenen Immobilienvermögens, bleiben auch bei einem Todesfall nach dem 17. August 2015 bestehen. Nachlassspaltungen, welche die Verordnung zukünftig vermeiden will, können also zunächst auch nach diesem Zeitpunkt noch auftreten.
Die Verordnung bedarf keiner Umsetzung in nationales Recht. Allerdings muss das deutsche Recht teilweise angepasst werden. Hierzu liegt ein Referentenentwurf für ein Begleitgesetz vor, der vor allem das bislang geltende Staatsangehörigkeitsprinzip abschaffen will. Gleichzeitig stellt der Entwurf das Europäische Nachlasszeugnis dem deutschen Erbschein in seinen Rechtswirkungen gleich.
Der Anwendungsbereich: Wo sie gilt, wofür und wofür nicht
In der EU haben Großbritannien, Irland und Dänemark die Verordnung nicht übernommen. Das nach der Verordnung maßgebliche Recht ist jedoch auch dann anzuwenden, wenn es sich um das Recht eines Drittstaates handelt. Die Europäische Erbrechtsverordnung beansprucht somit universelle Geltung.
Die Europäische Erbrechtsverordnung betrifft die Rechtsnachfolge, also jeden Übergang von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten, von Todes wegen. Gleichgültig ist, ob diese auf gesetzlicher Erbfolge oder einer Verfügung von Todes wegen beruht. Die gesetzliche Erbfolge bestimmt sich dabei nach nationalem Recht.
Fragen des Güterrechts klammert die Verordnung ebenso aus wie unentgeltliche Zuwendungen, insbesondere Lebensversicherungen und Sparbücher zugunsten Dritter auf den Todesfall. Für die Pflichtteilsberechnung gilt dagegen auf jeden Fall das nach der EU-ErbVO bestimmte Erbrecht.
Probleme bereitet die Abgrenzung zum Sachenrecht. Ungeklärt ist vor allem, ob bei einem Grundstücksvermächtnis ein automatischer dinglicher Übergang erfolgt oder, wie bisher in Deutschland, nach dem Erbfall noch die sachenrechtlichen Vollzugshandlungen erfolgen, also die Auflassung erklärt und die Änderung im Grundbuch eingetragen werden müssen.
Es zählt: Der letzte gewöhnliche Aufenthalt
Die wohl relevanteste Änderung ist die Anknüpfung aller Rechtsfolgen von Todes wegen an das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies gilt unabhängig davon, ob er dort oder beispielsweise auf einer Reise verstorben ist.
Für Erbfälle ab dem 17. August 2015 wird demnach nicht mehr relevant sein, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte oder wo sein Nachlass belegen ist. Ein deutscher Rentner mit Grundbesitz in Frankreich und weiterem Vermögen in Köln, der seinen Lebensabend in Südtirol verbringt, wird dann nach italienischem Erbrecht beerbt.
Eine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts enthält die Verordnung nicht. Er ist nicht identisch mit dem Wohnsitz. Bedeutung kann das bei einer zur Geschäftsunfähigkeit führenden Altersdemenz haben. Um einen Wohnsitz zu begründen, ist nämlich Geschäftsfähigkeit erforderlich, nicht jedoch für den gewöhnlichen Aufenthalt, der nach rein objektiven Kriterien festzulegen ist. Der Erblasser kann nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Das gilt auch für den "Mallorca-Rentner", der im Sommer in Deutschland und im Winter in Spanien lebt.
Um den gewöhnlichen Aufenthalt festzustellen, ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers vor seinem Tod und bei seinem Tod vorzunehmen. Wie oft und wie häufig hält er sich in dem Staat auf? Hat er Bindungen, insbesondere familiärer und sozialer Art? Ein Indiz können auch die Staatsangehörigkeit und Vermögensgegenstände sein, ebenso der Arbeitsplatz und Kenntnisse der Landessprache.
Es sei denn: Eine andere Rechtswahl wurde getroffen
Die EU-ErbVO lässt eine Rechtswahl zu. In einer Verfügung von Todes wegen kann die wählende Person das Recht des Staates wählen, dem sie bei der Rechtswahl oder bei ihrem Tod angehört. Das kann auch das Recht eines Drittstaates sein. Mehrstaater können jede Rechtsordnung wählen, der sie angehören. Anders als bisher im deutschen Recht kann man keine auf Grundstücke beschränkte Rechtswahl mehr treffen.
Das Erbstatut und damit die Rechtswahl betreffen das Erbrecht insgesamt, also auch das anwendbare gesetzliche Erbrecht, die erbberechtigten Personen, deren Erbquoten, mögliche Enterbungen, Vermächtnisse, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sowie Pflichtteile oder diesbezügliche Noterbrechte.
Mit einer solchen Rechtswahl ist es also theoretisch möglich, Erbrechte ungeliebter Verwandter auszuschließen, weil das Pflichtteils- und Noterbrecht in einzelnen europäischen Staaten anders ausgestaltet sind. Eine zunächst geplante Regelung, nach der eine ausländische, von der innerstaatlichen Regelung abweichende Pflichtteilsgestaltung nicht gegen den Ordre public verstoßen sollte, wurde in die finale Version der Verordnung nicht aufgenommen. Hat eine Rechtswahl aber den ausschließlichen Zweck, Pflichtteilsrechte zu umgehen, bestehen dennoch Risiken hinsichtlich ihrer Gültigkeit.
Testamente und Erbverträge auf europäisch
Als Verfügungen von Todes wegen nennt die Europäische Erbrechtsverordnung das Testament, das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag.
Die Form des Testaments regelt nicht die Europäische Erbrechtsverordnung. Vielmehr gilt insoweit das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht. Da dieses Abkommen nicht alle Staaten unterzeichnet haben, in denen die Europäische Erbrechtsverordnung anwendbar ist, ist zusätzlich Art. 27 EU-ErbVO anwendbar. Die Vorschrift regelt detailliert die Voraussetzungen der Formgültigkeit einer Verfügung von Todes wegen. Grundsätzlich reicht es aus, wenn das Recht des Staates eingehalten wird, in dem der Erblasser letztwillig verfügt.
Maßgeblich für die Zulässigkeit und Wirksamkeit ist der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Auch bei einer Änderung seines gewöhnlichen Aufenthalts bleibt das Testament also wirksam. Wird es später noch einmal geändert oder widerrufen, kommt es wiederum auf das gewählte oder nach den Bestimmungen der Erbrechtsverordnung anwendbare Erbstatut an.
Ein Erbvertrag erfasst nach der europäischen Definition auch Verfügungen aufgrund gegenseitiger Testamente. Die Begriffe des Erbvertrages und des gemeinschaftlichen Testaments nach der Verordnung entsprechen daher nicht den entsprechenden deutschen Worten. Bei einem gemeinschaftlichen Testament mit wechselseitigen Verfügungen von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern handelt es sich vielmehr nach der EU-ErbVO um einen Erbvertrag, und zwar selbst dann, wenn nur ein Ehegatte bzw. Lebenspartner letztwillig bindend verfügt. Auch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- und Zuwendungsverzichtsverträge fallen, weil sie Rechte am Nachlass entziehen, unter den europarechtlichen Begriff des Erbvertrages.
Für die Form von gemeinschaftlichen Testamenten gilt das Haager Übereinkommen, das wiederum auf Erbverträge keine Anwendung findet. Insoweit ist die deutsche Unterscheidung maßgeblich.
Leichter erben mit dem Europäischen Nachlasszeugnis
Nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers soll vor allem auch das Europäische Nachlasszeugnis erhebliche Vereinfachungen bei grenzüberschreitenden Erbfällen bringen. Erben und Testamentsvollstrecker sollen damit in allen Mitgliedstaaten, in denen die Verordnung gilt, ihre Rechtsstellung einheitlich nachweisen können.
Das Europäische Nachlasszeugnis wird auf Antrag außerdem auch Vermächtnisnehmern und Nachlassverwaltern ausgestellt. Voraussetzung für seine Erteilung ist, dass es in mehreren Mitgliedsstaaten Anwendung findet und nicht nur innerstaatliche Sachverhalte betrifft. Die Gutglaubenswirkung des Europäischen Nachlasszeugnisses erlischt – anders als beim deutschen Erbschein – nicht erst bei positiver Kenntnis von seiner Unrichtigkeit, sondern bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis.
Es wird nur eine beglaubigte Abschrift erteilt, während die Urschrift bei der Ausstellungsbehörde verbleibt. Die beglaubigte Abschrift ist nur sechs Monate nach Ausstellung gültig, kann aber in diesem Zeitraum nicht eingezogen werden, selbst wenn sie unrichtig ist.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen u.a. zum Erbrecht.
Herbert Grziwotz, EU-Erbrechtsverordnung: Leichter erben in Europa . In: Legal Tribune Online, 18.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12921/ (abgerufen am: 17.04.2024 )
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