Internationale Ermittlungen gegen Unternehmen: Eine Grenze, meh­rere Ver­folger

von Dr. Oliver Sahan

14.10.2016

VW, Siemens, Deutsche Bank: Sehen sich Unternehmen im strafrechtlichen Krisenfall erstmals mit Ermittlungen aus unterschiedlichen Ländern konfrontiert, stellen sich für die Betroffenen neue Fragen. Ein Überblick von Dr. Oliver Sahan.

VW-Abgasaffäre, Panama Papers, die Deutsche-Bank-Skandale der letzten Jahre – die aktuell prominentesten Beispiele strafrechtlicher Ermittlungen gegen Unternehmen weisen eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit auf: Sie werden nicht allein durch die Verfolgungsbehörden eines einzigen Landes betrieben.

Doch auch abseits dieser medial viel beachteten Fälle ist das keine Seltenheit. Aufgrund der grenzüberschreitenden Tätigkeiten zahlreicher Unternehmen in einer globalisierten Welt stehen diese im strafrechtlichen Krisenfall beinahe zwangsläufig internationalen Ermittlungen gegenüber. Neben all den Herausforderungen, die Krisenfälle ohnehin mit sich bringen, stellen sich den Betroffenen zusätzliche Fragen: Wie groß sind die Verfolgungs- und Sanktionsrisiken? Und wie reagiert man am besten?

USA in der Vorreiterrolle, UK besonders streng

Das traditionell größte Ermittlungs- und Sanktionsrisiko für ausländische Unternehmen droht aus den USA. In der berühmt gewordenen Siemens-Korruptionsaffäre zahlte der Konzern 900 Millionen Dollar an US-Behörden. Auch für Volkswagen ist die strafrechtliche Drohkulisse in den USA bereits weit aufgespannt. Die USA erweisen sich dabei nicht nur als konsequentes Land in Sachen Strafverfolgung: Aufgrund exterritorial anwendbarer Gesetze reicht die Sanktionsgewalt sehr weit. Insbesondere der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) ermöglicht eine US-amerikanische Verfolgung korruptiver Handlungen weit über die USA hinaus. Die konsequente Anwendung der eigenen Strafgesetze erfolgt dabei, sobald nur geringste Anknüpfungspunkte zu den USA bestehen. So kann etwa bereits ein E-Mail-Versand über einen amerikanischen Server als Ermittlungsgrund ausreichen.

Daneben hat auch das Vereinigte Königreich mit dem U.K. Bribery Act ein Gesetz erlassen, das darauf abzielt, Korruptionstaten über die eigenen Staatsgrenzen hinweg zu bekämpfen. Aufgrund der materiellen Ausgestaltung verdiente sich das Gesetz schnell den Titel als strengstes Anti-Korruptionsgesetz der Welt. Dabei galt der UK Bribery Act mangels Anwendung in den ersten Jahren eher als Scheinriese, lediglich eine Hand voll Individualverurteilungen stützten sich auf das Gesetz. Verschärft sich die Wettbewerbssituation durch den Brexit, dürfte auch dies das Sanktionsinteresse gegenüber ausländischen Unternehmen fördern.     

Europa und Deutschland setzen eher auf Kooperation

Die übrigen Staaten der Europäischen Union definieren ihre Bemühungen um grenzüberschreitende Strafverfolgung derzeit noch vornehmlich über eine verstärkte behördliche Vernetzung. Vielfach werden Ermittlungsverfahren in Europa über gemeinsame Stellen, wie etwa das OLAF (Office Européen de Lutte Anti-Fraude), der Stelle zur Überwachung des Einsatzes von EU-Mitteln, EUROJUST und EUROPOL, angestoßen oder koordiniert. Vor diesem Hintergrund passt es ins Bild, dass die Diskussionen über eine europäische Staatsanwaltschaft deutlich weiter fortgeschritten ist, als die um die Etablierung eines materiellen europäischen Strafrechts.   

Das deutsche Strafrecht erfasst bereits heute eine Vielzahl von Auslandssachverhalten. Durch verschiedene Gesetzesinitiativen, etwa im Bereich der Steuer- und Korruptionsbekämpfung, ist das materielle Recht zudem in den letzten Jahren bewusst in diese Richtung angepasst worden. Nicht selten übersehen wird zudem die strukturelle Reichweite von Unternehmensgeldbußen. Fällt die Tathandlung eines ausländischen Unternehmensvertreters unter die deutsche Sanktionsgewalt – zu erinnern ist an die enorme Reichweite des Territorialitäts- und Personalitätsprinzips der §§ 3 ff. Strafgesetzbuch –, so ermöglicht § 30 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten im Falle der Betriebsbezogenheit grundsätzlich auch die Verhängung von Geldbußen gegen die ausländische Einheit.

Wirtschaftsstrafverfolgung als Einnahmequelle und Abschreckung

Schon bei der nationalen Verfolgung wirtschaftsstrafrechtlicher Sachverhalte ist die fiskalische Motivation deutlich zu erkennen. Die Nationalstaaten haben das Wirtschaftsstrafrecht längst als haushaltsrelevante Einnahmequelle erschlossen. Die Verfolgung von Auslandstaten und Auslandstätern schafft zusätzliche Möglichkeiten. Anders als mit der Bekämpfung anderer grenzüberschreitender Delikte lässt sich mit der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität sogar Geld machen.

Darüber hinaus scheint in Anlehnung an die ökonomischen Theorien der Verbrechensforschung bei Strafverfolgern die Überzeugung zu bestehen, dass Entscheidungen im Wirtschaftsumfeld oftmals auf reinen Kosten-Nutzen-Rechnungen basieren und somit nur die Sorge vor erheblichen finanziellen Sanktionen und einer umfassende Gewinnabschöpfung kriminelle Verhaltensweisen wirksam bekämpfen können.

Zitiervorschlag

Dr. Oliver Sahan, Internationale Ermittlungen gegen Unternehmen: Eine Grenze, mehrere Verfolger . In: Legal Tribune Online, 14.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20817/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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