EGMR bestätigt Burkaverbot: Was braucht es für ein demokratisches Zusammenleben?

von Dr. Kirsten Wiese

01.07.2014

2/2: Burkaverbote in anderen europäischen Ländern

Unmittelbar trifft das Urteil nur Frankreich. Sicher fühlen kann sich jetzt aber auch Belgien. Dort gilt seit 2011 ein ähnliches Verschleierungs-Verbot. Im Schweizer Kanton Tessin haben sich im September 2013 in einem Volksentscheid 65 Prozent der Bevölkerung für ein Gesichtsschleierverbot in der Öffentlichkeit ausgesprochen. Noch muss allerdings der Bundesrat – die Schweizer Bundesregierung – beurteilen, ob das Gebot bundesrechtskonform ist. Und auch in anderen europäischen Ländern, insbesondere in den Niederlande und Österreich, werden in Abhängigkeit von den jeweiligen politischen Mehrheiten seit Jahren immer mal wieder entsprechende Vorstöße gemacht.

In Deutschland ist es nach wie vor in acht Bundesländern verboten, als Lehrer religiöse Symbole und Kleidungsstücke zu tragen, in Hessen und Berlin gilt das auch für Staatsbedienstete (das trifft etwa auch Referendarinnen bei der Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft). Burka und Nikab spielten aber bislang keine große Rolle. 2010 – zu Zeiten der entsprechenden Debatten in Frankreich – wurden in Deutschland vereinzelt Burkaverbote in der Öffentlichkeit gefordert, dem stand aber eine starke öffentliche Meinung gegenüber, dass diese grundgesetzwidrig seien. 2011 erließ Hessen aufgrund eines konkreten Falles in Frankfurt auch ein ausdrückliches Burkaverbot für den öffentlichen Dienst.

Frankreich kann nun vorerst weiterhin seine laizistische Politik verfolgen. Der französische Verfassungsgerichtshof hatte das Verbotsgesetz bereits 2010, gleich nachdem es verabschiedet worden ist, für verfassungsmäßig erklärt. Laizismus, die völlige Enthaltsamkeit des Staates in weltanschaulichen Fragen, ist ein eigenständiges Rechtsprinzip in der französischen Verfassung und Gründungsbaustein der Französischen Republik. Staatliche Bedienstete dürfen daher in Frankreich seit jeher keine religiösen Symbole und Kleidungsstücke tragen.

Auch private Kindergärten müssen keine Erzieherin mit  Kopftuch beschäftigen – das hat das oberste französische Zivilgericht erst in der vergangenen Woche entschieden. Ebenso wenig dürfen seit 2004 Schüler offensichtlich religiöse Symbole an öffentlichen Schulen tragen. 2013 wurde debattiert, dieses Verbot auf Studenten auszuweiten. Gegen diese Verbote hatte der EGMR bislang ebenfalls nichts einzuwenden, vielmehr hielt er 2009 das Verbot religiöser Kleidung – neben Kopftüchern auch Sikh-Turbane – an öffentlichen Schulen für rechtens.

Laxer Umgang mit islamfeindlichen Motiven enttäuscht

Die französische Debatte um Burka- und Nikabverbote wurde zwar primär unter dem Aspekt "Schutz der republikanischen Werte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" geführt. Danach ist es in Frankreich staatsbürgerliche Pflicht, sich in die Gesellschaft zu integrieren und dabei das Gesicht zu zeigen. Anderseits wurde das Verbot von Anfang an vor allem von Feministinnen stark kritisiert. Vermutet wurde zudem, dass Sarkozy damals mit dem Gesetz und den begleitenden islamfeindlichen Debatten von innenpolitischen Problemen ablenken wollte.

Der EGMR hat in seinem Urteil diese Islamfeindlichkeit der öffentlichen Debatte zwar gesehen, dies aber nur zum Anlass für einen Appell an die französische Regierung genommen, die Werte der EMRK – Toleranz, Sozialer Frieden und Nicht-Diskriminierung – zu wahren.

Dieser laxe Umgang der Straßburger Richter mit den islamfeindlichen Motiven des Verhüllungsverbotes enttäuscht. In der Tat gehen die europäischen Staaten mit Religion und Weltanschauung sehr unterschiedlich um. Das rechtfertigt einen gewissen Beurteilungsspielraum zugunsten der Mitgliedstaaten der EMRK.

Entscheidend ist aber, die mehr oder weniger starke Feindseligkeit, die Muslimen in vielen europäischen Ländern begegnet. Da sich die EMRK-Staaten alle dazu verpflichtet haben, ihre Bürger gleich zu behandeln, ist es am EGMR, den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten zugunsten dieser Gleichbehandlung einzuschränken und die individuelle Religionsfreiheit zu stärken. Das würde ein demokratisches Zusammenleben in Europa sicher sehr fördern.

Die Autorin Dr. Kirsten Wiese ist Juristin und Mitglied der Grünen. Neben ihrer Arbeit bei der Senatorin für Finanzen in Bremen interessiert sie sich für Fragen von Gleichbehandlung und Religionsfreiheit. Der Artikel gibt ausschließlich ihre persönliche Ansicht wieder.

Zitiervorschlag

Dr. Kirsten Wiese, EGMR bestätigt Burkaverbot: Was braucht es für ein demokratisches Zusammenleben? . In: Legal Tribune Online, 01.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12413/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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